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Gewalt im Namen des Naturschutzes: "Was im Wald passiert, bleibt im Wald"

Menschenrechtsverletzungen, Vertreibung und Gewalt: Naturschutz in Afrika und Asien missachte die Rechte der dort lebenden indigenen Völker und sei eine neue Form von Kolonialismus, sagt Linda Poppe von Survival International.

 

Naturschutz in Afrika und Asien sei von kolonialem Denken geprägt, sagt Linda Poppe von der Menschenrechts-NGO Survival International. Dahinter stehe „die Idee, dass wir besser wissen würden, wie Naturschutz funktioniert“, sagt sie. Die Rechte der Bevölkerung werde mit Füßen getreten, Menschen würden vertrieben und seien Opfer von Gewalt. Im Interview mit MOMENT schlägt Poppe vor, was geändert werden muss, um die Natur zu schützen und die Rechte der lokalen Bevölkerung zu sichern.

MOMENT: Sie kämpfen für die Dekolonialisierung des Naturschutzes, vor allem in Afrika. Wieso ist aus Ihrer Sicht Naturschutz denn Kolonialismus?

Linda Poppe: Aus zwei Gründen: Es gibt koloniale Kontinuitäten. Viele Ideen, die jetzt im Naturschutz existieren, haben auch in der Kolonialzeit existiert oder sind damit verbunden. Etwa die Idee von Wildnis. An Naturschutzgebieten hängt oft die Idee, dass die Natur vom Menschen getrennt sein soll. Das ist ein kolonial geprägter Mythos.

Diese koloniale Denkweise zeigt auch die Idee, dass wir – also westliche, Weiße und in der Regel studierte Naturschützer:innen – besser wissen würden, wie Naturschutz funktioniert, als die Leute, die seit Generationen auf dem Land leben. Ein Land, das sie ja offensichtlich bis dahin gut gemanagt haben. Es gibt die Vorstellung, dass es eine Rangfolge gibt und wir dabei oben stehen.

Der Naturschutz ist stark militarisiert. Die Regeln werden mit Gewalt durchgesetzt.

Zum Zweiten geht es auch darum, sich Land anzueignen. Indigene Völker, die dort leben, werden nicht befragt oder konsultiert. Ihre Rechte werden mit Füßen getreten. Der Naturschutz ist stark militarisiert. Die Regeln werden mit Gewalt durchgesetzt. Leute, die protestieren und sich dagegen wehren, werden unterdrückt.

Der Naturschutz wird dann wie ein höheres, ein globales Ziel dargestellt. Im Kolonialismus hieß es oft: Wir zivilisieren die Leute. Im Naturschutz heißt es: Wir tun das, weil die Natur ein globales Gut ist. Deshalb müssten wir darüber entscheiden und nicht die Menschen vor Ort, die ja nur kurzfristige Interessen hätten.

 
MOMENT: Inwieweit wird die dort lebende Bevölkerung in ihren Rechten beschnitten, weil Naturschutzgebiete eingerichtet werden. Was passiert da?

Poppe: Meist fängt es mit Studien an, in denen nach Orten gesucht wird, die Hotspots für Biodiversität sind. Die basieren häufig auch auf dem Wissen von Personen vor Ort. Wir selbst wissen gar nicht so gut, was die „intakten schützenswerten“ Gebiete sind. Dann startet ein Prozess, der die Betroffenen nicht involviert. Es wird verhandelt auf Regierungsebene. Oft treiben internationale Naturschutzorganisationen das voran, wie der WWF oder die Wildlife Conservation Society.

Dann werden diese Naturschutzgebiete deklariert. In der Regel wissen die Betroffenen, die auf dem Land leben, bis dahin immer noch nicht, was auf sie zukommt. Es wird nicht erklärt, was daraus folgt. Und es wird auch nicht erklärt, dass die Menschen auch Nein sagen können. Es gibt international verbriefte Rechte, auch Landrechte, für Indigene.

Man will die Bevölkerung aus diesem Konzept draußen halten. Dann wird der Naturschutz zum Konflikt.

Am Ende hat man ein Naturschutzgebiet eingerichtet, was von der Bevölkerung nicht unterstützt wird. Die akzeptieren die dortigen Grenzen oder Regeln auch nicht. Etwa, weil sie schon immer dort gejagt und gesammelt haben. Man will die Leute aus diesem Konzept draußen halten. Dann wird der Naturschutz zum Konflikt. Das muss durchgesetzt werden, oft mit militarisierten Rangern, wenn die lokale Bevölkerung das in Anführungsstrichen „noch nicht verstehen will“.

Dann sagt man: Wir klären die Menschen hier auf, was sie für ein tolles Naturgut vor ihrer Tür haben. Es gibt Jobs im Tourismus. Die Menschen sind aber dann meist eher so als Gepäckträger beschäftigt oder um eine Show vorzuführen für Tourist:innen. Es zielt darauf ab, ihre bisherige nachhaltige Lebensweise zu wandeln. Dass es nachhaltiger sein soll, wenn die lokale Bevölkerung stattdessen im globalen Tourismus arbeitet, ist eine bizarre Idee.

 
MOMENT: Heißt das: Beim Naturschutz, wird das Tierwohl über das Wohl der dort lebenden Menschen gestellt?

Poppe: Ich würde sagen: So ist es – auch wenn das nicht unbedingt so gesehen wird von den Personen, die Naturschutz machen. Oft wird angenommen, dass man den Leuten was Gutes tut, indem man ihnen Jobs im Tourismus in den Reservaten schafft oder ihnen hilft, ein Leben zu führen, bei dem sie nicht so stark aufs Land angewiesen sind.

 
MOMENT: Der Ökologe Mordecai Ogada hat im Interview mit uns gesagt: Unter dem Deckmantel des Naturschutzes werde in Afrika Landraub betrieben. Stimmt das aus Ihrer Sicht?

Poppe: Ja, es ist Landraub. Denn die verbrieften Rechte der indigenen Völker an den Gebieten werden nicht eingehalten. Sie können das Land nicht oder nur mehr sehr eingeschränkt nutzen. Das ein bisschen bizarr, weil Naturschutz als eine sehr gute Sache gesehen wird. Aber es macht im Endeffekt für die Menschen keinen Unterschied, ob sie vertrieben werden, weil ein Ölkonzern dort bohren will oder für ein Naturschutzgebiet. Bei beiden verlieren sie ihre Lebensgrundlage und den Zugang zum Land.

MOMENT: Geht es also auch darum, mit der Einrichtung eines Naturschutzgebietes die Möglichkeit zu bekommen, die darunter liegenden Ressourcen auszubeuten?

Poppe: Es gibt diese Verbindung. Ich habe mit dem Beteiligten eines Entwicklungsprojekts in der Demokratischen Republik Kongo gesprochen, der mehrere Naturschutzgebiete begutachten sollte: Es sei tatsächlich so, dass auf diese Art Gebiete unter staatliche Kontrolle gebracht wurden, die vorher den Indigenen gehörten. Dort werden Strukturen etabliert, etwa durch die Naturschutzbehörden. Die sind oft mit den Eliten verbunden. Und diese beginnen dann, Ressourcen auf diesen Gebieten auszubeuten: also zum Beispiel illegale Abholzung oder Goldhandel.

Geldgeber:innen sagen: Na gut, wir vertrauen euch. Es wird nicht kontrolliert, was mit dem Geld passiert.

MOMENT: Die Naturschutzorganisationen haben Rechenschaftspflichten und müssen staatlichen Standards genügen, um etwa ein Spendensiegel zu erhalten. Spender:innen sollten davon ausgehen können, dass hier keine Vertreibung und Gewalt passieren und Land geraubt wird.

Poppe: Ja. Aber man muss es so sagen: Was im Wald passiert, bleibt im Wald. Die wenigsten Leute machen sich die Mühe, dort hinzugehen, und die Berichte zu prüfen. Die Leute, die dort leben, haben oft nicht den Zugang, zu kommunizieren, was passiert. Es kommt nicht da an, wo es ankommen sollte. So bleibt es bei Berichten von Einzelfällen. Es sind nicht nur Einzelfälle.

MOMENT: In einem Bericht kritisierte Ihre Organisation jüngst den Northern Rangeland Trust für Menschenrechtsverletzungen in Schutzgebieten. Dahinter stehen Dutzende Naturschutzorganisation, auch die EU und USAID sind beteiligt. Sind die alle blind auf dem Auge der Verbrechen gegen die Bevölkerung dort?

Poppe: Ähnlich wie gegenüber Spender:innen, präsentieren sich die Naturschutzorganisationen sehr gut gegenüber anderen Geldgeber:innen. In einem Schutzgebiet in der DR Kongo lehnte die lokale Bevölkerung dieses Schutzgebiet in hohem Maße ab. Das wurde aber schlicht nicht berichtet an die EU-Kommission. Oft sagen die Geber:innen: Na gut, wir vertrauen euch. Die Leute kennen sich untereinander, haben vielleicht früher für Regierungen gearbeitet und sind dann zu Naturschutzorganisationen gewechselt. Es wird nicht kontrolliert, was mit dem Geld passiert.

MOMENT: Was sollte denn getan werden, um Naturschutz und die Bewahrung der Rechte der Bevölkerung zusammenzubringen?

Poppe: Die Landrechte der indigenen Bevölkerung anzuerkennen ist der Schlüssel. In Südamerika sehen wir, dass das auch der Natur hilft. Dort ist dieser koloniale Ansatz von Naturschutz nicht so stark. Es zeigt sich, dass der beste Schutz für diese Gebiete die Anerkennung indigener Landrechte ist. In indigenen Territorien gibt es dort wenig Abholzung und Wilderei. Das ist eine Win-win-Situation. Dafür muss man sich aber vom Konzept verabschieden, dass wir besser wüssten, wie dieses Land verwaltet wird. Und ja, wir müssen bereit sein, Geld und Kontrolle abzugeben.

 

Zur Person: Linda Poppe leitet das Berliner Büro von Survival International. Die NGO setzt sich weltweit für die Rechte indigener Völker ein.

 

 

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