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Ungleichheit
Arbeitswelt

Barbara Prainsack: “Leute werden vom Grundeinkommen nicht faul”

Mit einem Grundeinkommen würden Menschen nicht weniger arbeiten, aber es befreie sie "vom Zwang zu menschenunwürdiger schlecht bezahlter Erwerbsarbeit", sagt Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack.

 

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle? Kann das funktionieren oder will dann niemand mehr arbeiten? Die Wiener Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack forscht dazu. In ihrem Buch „Vom Wert des Menschen“ beleuchtet sie, was ein Grundeinkommen für uns alle bringen könnte und wie es umzusetzen wäre. Sie sagt: Mit einem Grundeinkommen würden Menschen nicht weniger arbeiten, aber es befreie sie „vom Zwang zu menschenunwürdiger schlecht bezahlter Erwerbsarbeit“.

MOMENT: „Warum wir ein bedingungsloses Grundeinkommen brauchen“ heißt der Untertitel ihres Buches. Warum wäre ein Grundeinkommen so wichtig?

Barbara Prainsack: Ich bin Wissenschaftlerin und keine Aktivistin für das Grundeinkommen. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Grundeinkommen nicht alle, aber einige unserer Probleme lösen kann. Unabhängig davon, ob man glaubt, dass Automatisierung und Digitalisierung mittel- oder langfristig mehr Jobs schaffen werden als sie ersetzen, oder ob man fürchtet, dass damit Massenarbeitslosigkeit auf uns zukommt: Außer Frage steht, dass es für eine bestimmte Gruppe von Menschen immer schwieriger wird, von ihrem Einkommen zu leben. Bei denen, die jetzt am Arbeitsmarkt wenig wert haben, ist es ja schon so, dass viele von ihrem Vollzeiteinkommen nicht mehr leben können.

 
MOMENT: Ein Grundeinkommen würde die Wurzel des Problems nicht lösen, sondern nur abfedern: Nämlich, dass nicht mehr genug Arbeitsplätze für alle da sind.

Prainsack: Das ist eine grundlegende Kritik von Linken am Grundeinkommen: Man bremse damit nur die schlimmsten Folgen der Automatisierung. Aber heute ist es nicht mehr so, dass Erwerbslosigkeit eine Übergangskrise ist, in der man den Menschen helfen muss, schnell wieder in die Arbeit reinzukommen. Es wird langfristig nicht für jeden möglich sein, am Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden. Hier würde das Grundeinkommen das akute Problem lösen, dass sehr viele Menschen Hilfe brauchen, wenn sie ihren Job verlieren. Es würde aber auch, das ist mir wichtig, ein Signal senden, dass es einen Vertrauensvorschuss gibt: Wir geben dir Geld für das, was du schon tust – oder was du gerne tun würdest, wenn du die Zeit dafür hättest.

Das Grundeinkommen gibt den Menschen Werkzeuge in die Hand, die Konditionen ihrer Erwerbsarbeit viel freier und zwangloser auszuverhandeln.

MOMENT: Wie würde sich ein Grundeinkommen auf die Erwerbsarbeit auswirken?

Prainsack: Ein Grundeinkommen würde zunächst einmal die Verhandlungsposition der Erwerbstätigen verbessern. Das ist ein wichtiger Punkt. Es ist ein Fehlschluss zu sagen, dass das Grundeinkommen die Erwerbsarbeit abschafft. In Umfragen in Deutschland haben nur wenige, rund 5 Prozent der Leute, gesagt, sie würden die Erwerbsarbeit aufgeben. Was es mit einem Grundeinkommen wahrscheinlich nicht mehr geben würde, sind Jobs, die niemand tun möchte und die schlecht bezahlt sind. Die klassische Frage lautet dann: Wer putzt dann unsere Klos?
 

MOMENT: Und wer macht das dann?

Prainsack: Es wird hier die Automatisierung beschleunigen. Menschen werden nur noch Klos putzen, wenn sie viel besser bezahlt werden und weniger Zeit damit verbringen müssen. Das ist der springende Punkt. Das Grundeinkommen gibt den Menschen Werkzeuge in die Hand, die Konditionen ihrer Erwerbsarbeit viel freier und zwangloser auszuverhandeln als jetzt – oder auch außerhalb der Erwerbsarbeit zur Gesellschaft beitragen. Die Menschen sollen nicht von der Arbeit befreit werden – aber vom Zwang zu menschenunwürdiger schlecht bezahlter Erwerbsarbeit.

Leute werden mit einem Grundeinkommen nicht faul. Die meisten wollen ja arbeiten. Was sie nicht wollen, ist eine Arbeit, die stressig ist, schlecht bezahlt und wenig sinnerfüllt.

MOMENT: Einer der großen Vorbehalte gegen ein Grundeinkommen lautet, dass Menschen ohne den Druck einer Arbeit nachgehen zu müssen, um genug Geld zu haben, faul werden und sich nicht mehr einbringen. Stimmt das?

Prainsack: Die bisherigen Experimente zeigen, dass es keinen oder wenig Rückgang in der Beschäftigung gibt. Und wenn, dann sind es gute Rückgänge. Was das heißt? Das sind Männer, die länger in der Ausbildung bleiben. Das sind Mütter, die ganz kleine Kinder haben und keinen McJob annehmen müssen, nur um durchzukommen. Das ist frauenpolitisch nicht unproblematisch, weil es natürlich auch Frauen längerfristig aus der Erwerbsarbeit herausdrängen könnte. Aber es ist besser als der Status quo, wo sich Leute abstrampeln müssen, um überleben zu können.

Leute werden mit einem Grundeinkommen nicht faul. Die meisten wollen ja arbeiten. Was sie nicht wollen, ist eine Arbeit, die stressig ist, schlecht bezahlt und wenig sinnerfüllt. Ich empfehle jedem einmal seine engen Freunde und Familie anzuschauen und zu fragen: Wer von denen würde mit einem Grundeinkommen keiner Arbeit mehr nachgehen? Das sind wahrscheinlich sehr wenige.
 

MOMENT: Sie schreiben, einfach nur allen Geld zu geben, reiche nicht, damit die Idee des Grundeinkommens funktioniert. Was muss daneben noch passieren?

Prainsack: Ich möchte das anhand eines Bildes erklären: dem Butterbrot. Das Grundeinkommen ist die Butter. Die muss aber auf einer Unterlage sein, sonst ist sie nur hingeschmiert. Das Brot, das darunter liegt, ist eine gute öffentliche und soziale Infrastruktur. Etwas, was wir in Österreich zum Teil noch kennen, was in anderen Ländern nie da war oder abgeschafft wurde. Also einen effizienten und günstigen öffentlichen Nah- und Fernverkehr, leistbares und stabiles Wohnen für alle. Eine Gesundheitsversorgung und Bildung, die man kostenfrei bekommt. All das muss es geben.

Diese Grundbedürfnisse der Menschen sollten durch die öffentliche Hand befriedigt werden. Darauf kommt die Butter des kleinen Grundeinkommens. Ein System, das nur sagt, da hast du 1.200 Euro und jetzt verpiss dich? Dann würde ich lieber kein Grundeinkommen haben.

Es ist an der Zeit, den Arbeitsbegriff zu erweitern. Die meisten Menschen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, arbeiten ja auch. Ein Grundeinkommen würde zeigen, dass wir dafür wertgeschätzt werden.

MOMENT: 1.200 Euro und jetzt verpiss dich: Was wären die Folgen, wenn das Grundeinkommen so umgesetzt werden würde?

Prainsack: Das würde den Sozialstaat aushöhlen. Das ist einer der Gründe, warum viele progressiv links denkende Menschen sehr skeptisch gegenüber dem Grundeinkommen sind.
 

MOMENT: Warum wehren sich gerade Teile sozialdemokratischer Parteien gegen ein Grundeinkommen?

Prainsack: Dass es bei SozialdemokratInnen Vorbehalte dagegen gibt, ist vollkommen klar. Für viele bedeutet Arbeit in erster Linie Erwerbsarbeit – und das hatte historisch gute Gründe. Die von der ArbeiterInnenbewegung erkämpften und festgeschriebenen Rechte sind Rechte von Erwerbstätigen. Viele anderen Rechte sind davon abgeleitet. Das war wichtig und richtig so.

Aber jetzt ist es an der Zeit, den Arbeitsbegriff zu erweitern. Denn die meisten Menschen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, arbeiten ja auch. Wenn wir an die klassische Hausfrau denken, ist ganz klar: Auch wenn das keine Erwerbsarbeit ist, ist es Arbeit. Häusliche Pflegetätigkeit ist ebenfalls Arbeit, die nicht bezahlt wird. Ein Grundeinkommen würde zeigen, dass wir dafür wertgeschätzt werden.

Für manche Menschen gibt es schon ein bedingungsloses Grundeinkommen. Etwa für diejenigen, die soviel erben, dass sie davon leben können.

MOMENT: Apropos Wertschätzung: es gibt derzeit kein Grundeinkommen. Heißt das, wir bewerten den Menschen gering?

Prainsack: Die Annahme, dass es kein Grundeinkommen gibt, möchte ich in Frage stellen. Da Vermögen in Österreich sehr gering besteuert sind, gibt es für manche Menschen schon ein bedingungsloses Grundeinkommen. Etwa für diejenigen, die soviel erben, dass sie davon leben können. Es ist nur nicht universell, nicht jeder bekommt es.

Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens sagen, ein bescheidenes Leben muss ein Menschenrecht sein. Dann sind auf grundsätzlicher Ebene alle Menschen gleich viel wert. Wenn wir diese Möglichkeit menschenwürdig zu leben, auch als einen Ausdruck von Wertschätzung sehen, dann sind manche Menschen im Moment wertvoller als andere.

 
MOMENT: Wie verändert sich denn der Wert des Menschen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Prainsack: Der Wert des Menschen verändert sich gar nicht. Was sich verändert ist die Wertschätzung. Ob wir in der Arbeit ausgebeutet oder aber wunderbar bezahlt werden, ändert nicht unseren Wert. Aber der Ausdruck der Wertschätzung seitens des Arbeitgebers und der Gesellschaft ist ein anderer.

Wenn wir die SystemerhalterInnen beklatschen aber sie gleichzeitig nicht fair bezahlen, ist das eine Aussage darüber, wie wenig wir sie wertschätzen, trotz aller gegenteiligen Symbolik. Und wenn wir über das Grundeinkommen jedem die Mittel für ein bescheidenes Leben geben, tätigen wir auch eine Aussage: Alle Menschen haben dann nicht nur einen Wert, sondern sind auch wertgeschätzt.

Die Debatte um das Grundeinkommen wurde von Wirtschaftsliberalen vorangetrieben. Für diese Menschen ist ein Grundeinkommen etwas, das die Leute ruhigstellt.

MOMENT: Auf den ersten Blick erstaunlich ist, dass viele UnternehmerInnen und vermögende Menschen für ein Grundeinkommen eintreten. Warum das?

Prainsack: Das ist ein zweiter Grund für die Skepsis vieler Linker. Die Debatte um das Grundeinkommen wurde von Wirtschaftsliberalen vorangetrieben, die die öffentliche Verantwortung für den Menschen zurückdrängen wollen und einem laissez-faire-Kapitalismus das Wort reden. Für diese Menschen ist ein Grundeinkommen etwas, das die Leute ruhigstellt; das den Pöbel am Leben erhält, solange man sie noch als Arbeitskräfte braucht. Als Linker und als Sozialdemokratin gegen ein solches Modell eines Grundeinkommens Vorbehalte zu haben, ist auch richtig und wichtig.

 
MOMENT: Welche positiven Auswirkungen könnte ein Grundeinkommen haben?

Prainsack: Mir ist wichtig: Es geht darum, an einem System zu arbeiten, den Menschen das Leben einfacher zu machen und Krankheiten wie Burnout, Depressionen und andere Erkrankungen zu reduzieren. Die Daten zeigen, dass Menschen mit Grundeinkommen weniger psychische und andere gesundheitliche Probleme haben. Sie sind weniger oft krank sind und fühlen sich weniger gedemütigt. Als positiver Nebeneffekt könnte das auch volkswirtschaftliche Einsparungen bringen.

Zu fragen ist auch, wie es sich auf den Konsum und die Konjunktur auswirkt, wenn Menschen, die ganz wenig Geld hatten, dann etwas mehr haben. Manche BefürworterInnen des Grundeinkommen sagen, damit würde eine Welle an Geschäftsideen und Kreativität frei. Wer heute daran denkt, einen Vertrieb für Bio-Marmelade aufzubauen oder ein neues Elektrofahrrad zu erfinden, macht das oft nicht, weil die Menschen nicht einfach ihre Erwerbsarbeit an den Nagel hängen und sich ein Jahr Auszeit nehmen können um sich selbständig zu machen. Mit einem Grundeinkommen könnten sie das unter Umständen.

Ich bin nicht dagegen, dass reiche Menschen zur Finanzierung des Grundeinkommens beitragen. Aber das müsste über Steuern passieren.

MOMENT: Lange Zeit schien das Grundeinkommen politisch tot. Jetzt in der Corona-Krise wird es wieder stärker diskutiert. Worin sehen Sie Gründe dafür?

Prainsack: Zu Beginn der Corona-Krise haben wir im Rahmen des Corona Panel-Projekts an der Uni Wien analysiert, wer für und wer gegen ein Grundeinkommen ist. Das ist ungefähr gleich verteilt. In Österreich sind etwa 40 Prozent dafür und 40 Prozent dagegen. Wir haben im Spätsommer nochmal Daten erhoben und werten gerade aus, ob sich etwas verändert hat.

Viele sagen jetzt in der Krise: Wenn es eh schon so schwer ist, wieso muss ich mir noch die Unsicherheit darüber antun oder anderen antun, ob ihnen geholfen wird und wie viel Geld sie bekommen. Louise Haagh, eine Befürworterin des Grundeinkommens, sagt: Soziale Sicherheit ist nur soziale Sicherheit, wenn sie sicher ist. Man muss damit rechnen können, erst dann treten die Steuerungseffekte eines Grundeinkommens ein. Und nicht, wenn ich nicht weiß, ob ich in sechs Monaten 600 Euro, 1.600 Euro oder gar nichts habe.
 

MOMENT: Einer Idee, der sie nichts abgewinnen können, ist, dass Superreiche bei der Finanzierung einspringen. Was ist da das Problem?

Prainsack: Man wird dann von diesen Menschen abhängig. Ich bin nicht dagegen, dass reiche Menschen zur Finanzierung des Grundeinkommens beitragen. Aber das müsste über Steuern passieren. Ich bin dagegen, dass jetzt einige Superreiche sagen: Mein neues Hobby ist ein Grundeinkommen für die armen Schlucker und wir zahlen das jetzt mal fünf Jahre lang. Dann würde der Staat sich zurückziehen aus der Verantwortung. Man wäre davon abhängig davon, dass diese Philanthropen Lust haben, das Grundeinkommen weiterhin zu bezahlen.

Wenn sie gerne ein Grundeinkommen haben möchten, sollten sie Steuern zahlen, die dann zum Teil ins Grundeinkommen fließen. Ein Grundeinkommen sollte idealerweise immer aus unterschiedlichen Quellen gespeist sein und auf keinen Fall von der Zahlungswilligkeit privater Akteure abhängig sein.

Offenlegung: Barbara Prainsack ist Mitglied des Advisory Boards des Momentum Instituts.

 

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