print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Arbeitswelt

Harald Friedl: „24-Stunden-Pflegerinnen sind Leistungsträgerinnen“

Harald Friedl: „24-Stunden-Pflegerinnen sind Leistungsträgerinnen“
Harald Friedl zu 24 Stunden: "Eine filmische Hommage an alle 62.000 osteuropäischen Pflegerinnen." // Foto: Barbara Neuwirth
Die rumänische 24-Stunden-Betreuerin Sadina Lungu versorgt seit Jahren die demenzkranke Elisabeth Pöschl in Bad Vöslau. Filmemacher Harald Friedl hat sie für die Doku "24 Stunden" über Monate begleitet. Der Film zeigt, wie isoliert die Personenbetreuer:innen leben müssen und wie sie ausgebeutet werden. "Das ist eine krass unterbezahlte und eine psychisch herausfordernde Arbeit", sagt Harald Friedl im Interview. Dabei seien die rund 62.000 in Österreich tätigen Personenbetreuer:innen aus Osteuropa extrem wichtig für das Funktionieren des Landes. "Sie werden nie als Leistungsträgerinnen bezeichnet. Sind sie aber."

MOMENT.at: Eine Doku, die den Alltag einer 24-Stunden-Betreuerin zeigt, die aus Rumänien nach Österreich kommt – was hat sie dazu motiviert?

Harald Friedl: Der finale Kick, diese Doku zu machen, war, als im Corona-Lockdown rumänische Pflegerinnen eingeflogen wurden. Die Grenzen waren dicht und sie saßen in Schwechat in Quarantäne. Da ist mir klar geworden, wie wichtig sie sind. Und man hat plötzlich auch erkannt, wie wichtig sie sind.

Die Frage hat sich gestellt: Wer sind eigentlich die Leistungsträger:innen und wer sorgt dafür, dass dieses Land überhaupt funktioniert? Die Pandemie hat das mal ein bisschen richtiggestellt.

MOMENT.at: Inwiefern richtiggestellt?

Friedl: Was mich gesellschaftspolitisch immer wieder sehr, sehr ärgert: “Leistungsträger”, das sind immer männliche Bestverdiener. Es wird die Verantwortung der Unternehmer oder der Vorstände in irgendwelchen Firmen anerkannt. Aber wie sehr ist es für das Funktionieren eines Landes notwendig, dass diese Frauen ihren Dienst tun? Sie werden nie als Leistungsträgerinnen bezeichnet. Sind sie aber.

MOMENT.at: Die Heldin des Films ist die 50-jährige Sadina Lungu. Sie betreut in Bad Vöslau die demenzkranke 85-jährige Elisabeth Pöschl. Immer über mehrere Monate lang, bevor sie kurz wieder in ihre Heimat nach Rumänien fährt. Warum sie?

Friedl: Ich wollte anhand einer einzigen Pflegerin eine filmische Hommage an alle 62.000 osteuropäischen Pflegerinnen machen. Sadina hat eine Arbeit, die sie hochengagiert machen muss. Es ist eine Arbeit, in der man auch Ekelschwellen überschreiten muss. Sadina und Elisabeth kennen sich schon sehr lang und aus einer Zeit, als Elisabeth noch mobil und nicht dement war. Es ist eine gewachsene Bindung. Und wie die Erwachsenenvertreterin mitunter sagt: Ohne Sadina würde Elisabeth längst nicht mehr leben.

Szene aus 24 Stunden: 24-Stunden-Betreuerin Sadina Lungu sitzt am Tisch. Die demenzkranke Elisabeth Pöschl sitzt im Sessel.

Szene aus 24 Stunden: Seit Jahren kümmert sich Sadina Lungu um demenzkranke Elisabeth Pöschl. „Ohne Sadina würde Elisabeth längst nicht mehr leben.“ // © Mischief Films

MOMENT.at: Andererseits zeigt der Film auch, wie Sadina beschimpft wird von ihr.

Friedl: Das zeigt typisches Demenzverhalten. Dieses Pendeln zwischen Aggression und Hilfesuche. Sadina muss viel aushalten. Aber auch Elisabeth: Denn es ist ja nicht einfach, gepflegt zu werden.

 

MOMENT.at: Sie haben Sadina über Monate hinweg an insgesamt 18 Drehtagen begleitet. Wie würden Sie ihren Job beschreiben?

Friedl: Für alle Pflegerinnen, die fern von zu Hause sind, ist das eine sehr einsame Tätigkeit. Vor allem, wenn sie seitens der gepflegten Person keine oder wenig Ansprache erfahren. Das ist eine krass unterbezahlte und eine psychisch herausfordernde Arbeit. Es hat für mich auch etwas von einer Sisyphusarbeit. Man hat an einem Tag die Sauberkeit, die Reinlichkeit hergestellt und in Kürze oder am nächsten Tag ist schon wieder alles zunichte gemacht und man muss von vorne beginnen. Es ist ein sehr zur Routine zwingender Ablauf.

Wenn diese 62.000 fehlen würden, wäre unser Pflegesystem nicht haltbar.

MOMENT.at: Und es ist ein Beruf, zu dessen Bezahlung und Bedingungen kaum eine Person aus Österreich bereit ist zu arbeiten.

Friedl: Laut Vertrag hat eine Pflegerin zwei Stunden Freizeit am Tag. Gleichzeitig hat Sadina immer das Babyphone eingeschaltet, damit sie geweckt werden kann, wenn Elisabeth in der Nacht irgendwas braucht, was auch immer wieder passiert. Sie kommt auf im Schnitt 12 bis 14 Stunden, wo sie zumindest Bereitschaft und zu arbeiten hat. Da kommt sie dann auf einen Stundenlohn von ungefähr 7 bis 8 Euro.

Und es gibt keine soziale Absicherung. Was ist, wenn Sadina krank ist? Es gibt kein Krankengeld. Es gibt keine Pensionskasse, in die ein Arbeitgeberanteil eingezahlt werden würde, wie das bei Angestellten der Fall ist. Es gibt keinen speziellen Pensionsfonds für Pflegekräfte aus dem Ausland.

MOMENT.at: Welche Folgen hätte es, wenn die 24-Stunden-Betreuer:innen aus dem Osten Europas nicht mehr nach Österreich kämen?

Friedl: Wenn diese 62.000 fehlen würden, wäre unser Pflegesystem nicht haltbar. Das hat man gemerkt bei Corona: Die kamen nicht mehr weg. Sie sind durchgehend dageblieben, mussten dableiben. Sadina war damals zwei Jahre am Stück hier in Österreich.

MOMENT.at: Hat sich denn seitdem aus Ihrer Sicht etwas geändert?

Friedl: Nein. Das ist das heiße Eisen, das niemand anpackt. Es ist auch schwer zu lösen. Das muss man objektiv anerkennen. Die Betreuer:innen sind freiberuflich. Aber das ist eine Scheinselbstständigkeit, denn sie können sich ihre Arbeit nicht frei einteilen. Wenn man jetzt sagt, sie verdienen zu wenig, muss man die Frage stellen: Welche Familie kann sich das überhaupt leisten?

Meiner Meinung nach müsste man das lösen über die Pensionsversicherungsfrage oder die Sozialversicherungsfrage. Über einen Arbeitgeberanteil, wo der Staat in einen Fonds einzahlt. So wie das bei der Künstlerinnen-Sozialversicherung der Fall ist.

MOMENT.at: Gab es für sie einen Moment in der Begleitung von Sadinas und Elisabeths Alltag, wo sie gedacht haben: Hoppla, ich hätte nicht erwartet, dass Personenbetreuerinnen solche Dinge machen müssen?

Friedl: Überrascht war ich, wie sehr die Pflegerinnen auch medizinische Erstversorgerinnen sind. Die müssen ihre Gepflegten so gut kennen, dass sie einfach wissen: Ab wann ist es nötig, dass ich den Arzt hole? Wie lange kann ich mit den Medikamenten, die mir zur Verfügung stehen, intervenieren? Und: Nebenbei sind sie noch die Putzfrauen in der Wohnung und Gärtnerinnen. Sie kümmern sich um alles.

MOMENT.at: Wenn Sadina einmal rausgeht, geht sie in die Drogerie oder in die Apotheke, um Medikamente zu besorgen. Der große Luxus ist, wenn sie mal zum Bäcker geht und sich einen Kaffee leistet, den sie auf der Terrasse trinkt. Was die Doku zeigt: Wie isoliert Sadina hier leben muss.

Friedl: Als wir uns kennengelernt haben, habe ich ihr Wien gezeigt. Sie kannte Wien gar nicht. Sie hat noch nicht mal Bad Vöslau kennengelernt. Es gibt diese Szene im Auto auf der Fahrt nach Österreich, wo sie sagt: Bad Vöslau ist eine schöne Stadt mit Thermalbädern. Aber ich war da noch nie, denn ich komme nicht raus. Sie konnte auch nicht zu einer Demonstration von 24-Stunden-Betreuer:innen in Wien fahren, weil sie Dienst hatte. Im Film sieht man nur, wie sie sich Berichte dazu anschaut.

MOMENT.at: In der Doku findet viel an Bildschirmen statt. Man sieht am Anfang den Abschied von den Eltern. Und dann ist nur noch der Kontakt über das Smartphone da. Sadina führt Videotelefonate mit ihrer Familie und Freundinnen. Sie scheint nicht nur in Österreich isoliert, sondern auch in Rumänien nicht mehr wirklich verwurzelt.

Friedl: Das ist ja ein typisches migrantisches Schicksal. Das ist schlimm. Das ist schwer. Sadinas Eltern in Rumänien werden ja selbst bedürftig. Die Mutter hatte einen Schlaganfall. Sie kann schwer gehen. Auch der Papa ist nicht ganz gesund. Um die beiden kümmert sich die Schwester von Sadina. Sie trägt mit ihrem Einkommen hier sehr stark zur materiellen Stabilität der Familie in Rumänien bei – obwohl die alle berufstätig sind. Im Film gibt es die Szene, in der der Neffe die Pizza bringt. Der ist Biologe und hat in einem Krankenhaus gearbeitet im Labor. Das Krankenhaus hat zugesperrt. Einen guten Job finden ist schwierig.

Szene aus "24 Stunden": Sadina Lungu im Videotelefonat

Filmszene: 24-Stunden-Betreuerin Sadina Lungu während eines Videotelefonats. „Sie kannte Wien gar nicht. Sie hat noch nicht mal Bad Vöslau kennengelernt.“ // © Mischief Films

MOMENT.at: Dann gibt es Szenen, in denen Salina mit Kolleg:innen spricht, die auch in Österreich arbeiten. Eine Freundin, Livia, schildert offen, mit welch mangelndem Respekt sie behandelt wird.

Friedl: Und das ist wirklich schmerzhaft. Wo ich herkomme, hat man früher, wenn es um die Pflegerinnen ging, immer von „unserer Rumänin“ gesprochen. Die hatten alle keinen Namen. Ich bin über diese Filmszene sehr froh, aber über dieses Schicksal betrübt: Dass die Livia ganz traurig ist, weil sie keine Wertschätzung in der Familie erfährt, wo sie sich um die Großmutter kümmert.

Sie schildert, dass eine große Osterparty stattgefunden hat, wo sich alle mit Geschenken überhäuft haben. Nur sie hat gar nichts gekriegt, nicht einmal ein symbolisches kleines Häschen. Und sie erzählt von einem anderen Fall, wo die 16 und 17-jährigen Kinder die Pflegerin nicht grüßen. Für sie ist sie Luft. Das ist schon eine beträchtliche Arroganz. Das ist so eine Klassen-Arroganz der Besitzenden gegenüber den „Habenichtsen“. Die Arroganz der reicheren gegenüber den ärmeren Gesellschaften.

Wenn dieser Film beiträgt, die Diskussion über Pflege anzuheizen, wäre es das Beste, was passieren kann.

MOMENT.at: Wie haben Elisabeth und die Familie von Elisabeth auf die Idee reagiert, diese Doku in ihrem Haus und in dieser intimen Pflegesituation zu drehen? Wie war das möglich?

Friedl: Das ist ein wichtiger Punkt. Ich habe zum Team gesagt: Wenn es irgendeine Äußerung von Widerstand gegen unsere Anwesenheit gibt, dann drehen wir gleich wieder um. Denn was bedeutet das? Es sind dann im Haus: Regie, Regieassistenz und Übersetzerin. Dazu Personen für Kamera und Ton. Und das muss man ja erst mal in den eigenen vier Wänden aushalten.

Aber Elisabeth hat immer sehr freundlich auf uns reagiert. Ungefähr nach der ersten Drehwoche, hat sie gefragt: Wann kommen Sie denn wieder filmen? Im Gespräch mit Nachbarn habe ich mitbekommen, dass Elisabeth und ihr Mann immer viele Gäste hatten. Sie waren es gewohnt, dass Trubel im Haus ist. Sie hat das gemocht, dass so viele Leute um sie herum sind.

Es war klar: Es wird keine Nacktheit gezeigt, es wird diskret gefilmt. Das hat Kameramann Helmut Wimmer großartig gelöst. Jede:r, der sich den Film anschaut, kann für sich selbst entscheiden, wie viel eigene Fantasie mitspielen soll. Obwohl der Film da an gewisse Grenzen geht, aber eben nie über diese Grenzen geht, ist es ein leichter Film geworden. Es ist ein lebensbejahender Film geworden, der auch viel Humor hat. 

MOMENT.at: Was würden Sie mit dem Film gern erreichen?

Friedl: Dass möglichst viele Menschen spüren, wie anspruchsvoll die Arbeit der Pflegerinnen ist. Und dass der Film dazu beiträgt, die Arbeit der Pflegerinnen und die Pflegerinnen als Personen höher wertzuschätzen. Wenn dieser Film beiträgt, die Diskussion über Pflege zu stärken, zu fördern und anzuheizen, dann wäre es das Beste, was passieren kann. Und natürlich, dass sich möglichst etwas für die Pflegerinnen zum Besseren ändert.

Weiterlesen zum Thema: 24-Stunden-Betreuung

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!