Herbert Kickl und der „Volkskörper“: Ein weiterer Tabubruch, ein weiteres Signal

Herbert Kickl redet ohne Punkt und Komma und Klaus Webhofer vom ORF hat ihm wenig bis nichts entgegenzusetzen. Das ist kein bloß individuelles Versagen, er ist damit in breiter und guter Gesellschaft. Es beweist nur, dass große Medienhäuser sich noch immer nicht auf rechtsextreme Strategien vorbereiten. Sie behandeln rechtsextreme Politiker:innen wie alle anderen. Während die sich aber nicht an dieselben Regeln und Normen halten. Das ist ein systemisches Versagen.
Eine besonders prägnante Stelle des Gesprächs war es, als Kickl über das Jahr 2015 geredet hat (ohne danach direkt gefragt worden zu sein, das war ein guter Move von Webhofer). Er sprach davon, dass damals „Wunden in den Volkskörper“ geschlagen wurden.
Das ist aus mehreren Gründen eine bemerkenswerte Formulierung.
Kickl und der „Volkskörper“
Zum einen zeichnet es ein anderes Bild der Gemeinschaft, als die, in der wir leben. In diesem Bild sind wir ein zusammenhängendes Teil aus komplementären Bestandteilen, die alle für das Funktionieren des großen Ganzen verantwortlich sind. Jeder hat eine zugewiesene Aufgabe und die hat er im Sinne des Körpers zu erfüllen. Wir sind und sollen demnach keine Gesellschaft sein, die aus vielen (auch gegensätzlichen) Interessen, Ideen und Entwürfen besteht. Also keine freie Demokratie.
Der „Volkskörper“ vermittelt ein organisches Bild vom Zusammenleben. Es ist der Sprache des Nationalsozialismus enthoben. Der „Volkskörper“ muss gesund und am Leben bleiben und am besten auch noch gestärkt werden. Die zugewiesenen Plätze sind dementsprechend natürlich und unverrückbar. Eine Leber kann keine Lunge werden und eine Bauchspeicheldrüse darf nicht die Funktionen der Schilddrüse übernehmen. Im biologischen Bild ist das logisch, dadurch wirkt es harmlos und nicht hinterfragenswert. Im politischen Bild bedeutet das Körperbild aber: Es gibt einen zugewiesenen Platz in der Gemeinschaft, den man nicht verlassen darf.
Eingliedern oder raus
Weigert man sich am Volksganzen im Sinne des Sprechers teilzunehmen, ist man anders als er es für akzeptabel hält oder wird man krank und damit unbrauchbar, dann trägt man Schuld, wenn der Volkskörper geschwächt wird. Der Volkskörperbegriff ist also völkisch, sozialdarwinistisch und ganz und gar antidemokratisch. (Über das, was die FPÖ alles sagt, wenn sie den Begriff „Volk“ benutzt, habe ich hier schon einmal geschrieben.)
Das scheinbar natürlich wirkende Bild trügt dabei. Unsere Gemeinschaft ist eine demokratische Gesellschaft, die Interessen und Bedürfnisse aushandelt, auch im Streit und Widerspruch. Das erlaubt uns Freiheit – die Möglichkeit für eigene Wege und neue Ideen.
Kickl und die „klaffende Wunde“
Bei der Körper-Metapher bleibt es nicht. Kickl führt das Bild fort, indem er über eine „klaffende Wunde“ spricht, die diesem Körper zugefügt worden sei. Das ist ein Bild, das sofort emotional berührt. Jeder Mensch weiß wie schmerzhaft eine Wunde ist, wie lange sie zu verheilen braucht und dass dann am Schluss gar eine Narbe bleibt. Kurz gesagt: Niemand mag eine Wunde haben.
Kickl vergleicht also die Hilfsbereitschaft von 2015 mit einem körperlichen Schmerz, von dem man sich nur langsam erholt oder der vielleicht gar nicht wieder heilt. Auch hier werden soziale und politische Vorgänge zu organischen Prozessen umerzählt. Das bedeutet auch, dass es keine Nuancen, keine Tiefe, keine Komplexität gibt. Es ist schlecht – und damit sei die ganze Geschichte erzählt. Diese Vereinfachung wird der komplexen Realität nicht gerecht, in der gelungene und schlechte Aspekte nebeneinander stehen können, ohne einander zu widersprechen.
Ein Signal an die extrem rechte Szene
Zuletzt ist diese Art der Sprache ein klares „Dogwhistling“. Den meisten Menschen wird die Herkunft und problematische Ebene der vielen medizinischen und körperlichen Metaphern nicht bewusst sein – wenngleich sie gerade deswegen trotzdem wirken. Aber der extremen Rechten schon. Für sie ist es ein klares Signal: Wir sprechen dieselbe Sprache. Ich zeige euch hiermit, dass ich zu euch gehöre.
Es ist der immer neue Tabubruch. Das passiert auch mit der Übernahme von Begriffen und Phrasen wie “großer Austausch”, “Umvolkung” und „Remigration“. Alle Begriffe, die aus dieser Szene kommen. Es belegt für die Szene, dass sie hier einen Verbündeten haben, der sich weiß szenegerecht auszudrücken. Sie arbeiten an der selben Sache – die einen im Parlament und die anderen auf der Straße und den sozialen Medien.