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Ungleichheit

Zuhause ankommen: Mit Housing First Wohnungslosigkeit in Österreich verringern

Zuhause ankommen: Mit Housing First Wohnungslosigkeit in Österreich verringern
Was brauchen wohnungslose Menschen am dringendsten? Kurzfristig haben betroffene Menschen unterschiedliche Bedürfnisse. Manche brauchen in Notsituationen einfach einen Platz zum Schlafen. Andere brauchen ein offenes Ohr und Orientierungshilfen. Wohnungslose Menschen brauchen aber vor allem eins: eine Wohnung. Das Konzept “Housing First” setzt genau da an. Wir haben uns angeschaut, wie das in Österreich funktionieren kann und was noch fehlt.

Um die eigene Wohnung zu verlieren, braucht es keinen dramatischen Schicksalsschlag. Oft genügen Übergangsphasen: Ein junger Mensch, der aus dem Elternhaus raus muss. Eine Trennung, ein auslaufender Mietvertrag. Dazu kommen die aktuell massiv gestiegenen Kosten für Wohnen, Energie und Lebensmittel. Wer in solchen Situationen keinen Zugang zu einer leistbaren Wohnung hat, läuft Gefahr wohnungslos zu werden.

In Österreich sind offiziell rund 20.000 Menschen wohnungslos. Die Dunkelziffer wird fast doppelt so hoch geschätzt. Wohnungslosenhilfe ist in Österreich Ländersache, Betroffene stehen je nach Bundesland vor unterschiedlichen Hilfesystemen. Wer wohnungslos wird, bleibt aber oft nicht an einem Ort. Die Mobilität über die Bundesländergrenzen hinweg erschwert die Hilfe für Betroffene.

Erst in die Wohnung, dann die Probleme

Der Ansatz “Housing First“ gewinnt immer mehr an Bedeutung. Housing First bringt Menschen zuerst einmal in eine eigene Wohnung, dann werden andere Probleme in Angriff genommen. Das Konzept kommt aus Finnland und beruht auf zwei Säulen: Gemeinnützige Baugemeinschaften stellen Wohnungen zur Verfügung. In die ziehen von Wohnungslosigkeit gefährdete Menschen ein. Die Miete wird selbst und vom Staat bezahlt. Daneben werden Sozialleistungen wie medizinische und psychologische Betreuung angeboten. Betroffene können freiwillig entscheiden, ob sie die Angebote annehmen.

In Finnland konnte so die Wohnungslosigkeit in den vergangenen 15 Jahren halbiert werden. Das Land gilt als best-practice Beispiel in Europa. In Österreich gibt es seit zehn Jahren immer wieder den Versuch, Housing First flächendeckend umzusetzen. 2021 gab es erstmals eine Kooperation zwischen gemeinnützigen Bauvereinigungen und Sozialorganisationen. Und sie war erfolgreich. Über 1.000 Wohnungen konnten bisher vermittelt werden. 98 Prozent der im Laufe des Projekts abgeschlossenen Mietverträge sind weiterhin aufrecht.

Daran soll mit dem Projekt “zuhause ankommen” angeknüpft werden. Österreich will bis nächsten Herbst weiteren 1.000 Menschen helfen, in eine eigene Wohnung zu ziehen. 6,6 Millionen Euro gibt es dafür vom Sozialministerium. 512 leistbare Wohnungen von gemeinnützigen Bauvereinigungen.

Konzept: schnelle Lösung

Warum ist der Ansatz so erfolgreich? Der Grundsatz von Housing First ist simpel, sagt Elisabeth Hammer. Sie koordiniert das Projekt und ist Obfrau der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAWO). Anstatt Betroffenen von Wohnungslosigkeit einen langwierigen institutionellen Weg durch Notschlafstellen und betreute Unterkünfte auf Zeit vorzugeben, steht bei Housing First die eigene Wohnung am Anfang. Betroffene erhalten direkt einen eigenen Mietvertrag mit allen verbundenen Rechten und Pflichten. Vom Erstkontakt über die Wohnungssuche bis zur Unterstützung beim Ankommen werden Menschen von Sozialarbeiter:innen begleitet.

Sozialorganisationen werden aber nicht zu Vermietern. Das Ziel ist es, Wohnungslosigkeit zu beenden, nicht zu verwalten. Housing First Mieter:innen sind also reguläre Mieter:innen, ihr Vertrag unterscheidet sich nicht von dem anderer Bewohner:innen. Können sich diese Menschen die Wohnung überhaupt auf Dauer leisten? Oft haben (ehemals) wohnungslose Menschen ein sehr geringes Einkommen. Aber: “Auch wer von einer Mindestsicherung lebt, kann leistbare Mieten bezahlen”, so Hammer. Wenn es nicht reicht, springt der Staat ein und unterstützt.

Dennoch: Um ins Programm aufgenommen zu werden, braucht es ein regelmäßiges Einkommen. Dazu zählen auch Versicherungs- und Sozialleistungen. Miete und Nebenkosten sollten langfristig von Betroffenen selbst bezahlt werden. Das Projekt richtet sich an Menschen, die nach den Kriterien der EU-Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen als armutsgefährdet gelten. Menschen, die diese Kriterien nicht erfüllen können, rutschen durchs System. Das sind zum Beispiel EU-Bürger:innen, die ihre Erwerbstätigkeit in Österreich nicht nachweisen können oder Menschen mit befristeten Aufenthaltstiteln.

Wohnungslos gleich obdachlos?

Was bedeutet es, wohnungslos zu sein? Hinter dem Begriff stehen oft stigmatisierende Bilder. Das hat zur Folge, dass Betroffene an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Oft dahin, wo viele nicht mehr hinschauen wollen, weil es zu weit von der eigenen Lebensrealität entfernt ist. Das Risiko, wohnungslos zu werden, gibt es in allen gesellschaftlichen Gruppen. Über 20 Prozent der registriert wohnungslosen Menschen sind laut BAWO unter 24 Jahre alt. Als obdachlos gilt, wer wortwörtlich kein Dach über dem Kopf hat. Also Menschen, die im Freien schlafen oder in Notunterkünften unterkommen. Als wohnungslos gilt, wer keine eigene Wohnung hat.

Bei den Zahlen wird es komplizierter. Betroffene sind eben nicht an einen Wohnort gebunden, sie müssen oft unter dem Radar leben und können sich erst spät an unterstützende Stellen wenden. Das betrifft meist junge Erwachsene, die nie einen Mietvertrag hatten. Ebenso Frauen, die in Gewalt- und Abhängigkeitsbeziehungen stecken und jene, die sich aus Scham oder Angst nicht an Sozialorganisationen wenden. Dennoch: Wohnungslosigkeit ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Am Ende fehlt es an leistbarem Wohnraum für alle.

Hoher Leerstand ist teuer

Gleichzeitig stehen in Österreich viele Wohnungen leer. In jeder siebten Wohnung ist keine Person gemeldet. Rund 653.000 Wohnungen waren das im Oktober 2021, dem Stichtag der aktuellen Zählung. Dafür wurden Gebäude- und Wohnungsregister mit dem Melderegister verglichen. Das Problem daran: Die Methode ist nicht wirklich treffsicher. Es gibt viele Wohnungen, in denen Menschen zwar gemeldet sind, aber nicht wohnen. Oder umgekehrt. Im Gegensatz zur Schweiz und in einigen deutschen Städten gibt es in Österreich keinen verpflichtenden Leerstandsmelder.

Wird zu viel leer stehen gelassen, wird Wohnraum noch knapper und damit teurer. Immer wieder gibt es die Forderung, eine Leerstandsabgabe einzuführen. Sie bietet eine Möglichkeit, den Immobilienmarkt besser zu steuern. In Salzburg, Tirol und der Steiermark werden Leerstände dadurch bereits auf individuelle Weise sanktioniert. In Wien gab es eine Leerstandsabgabe bis 1985, danach wurde sie als verfassungswidrig aufgehoben.

Wie finanzieren?

Die EU will Obdachlosigkeit bis 2030 abschaffen. Auch Österreich hat es sich zum Ziel gesetzt.160 Millionen Euro an Budget stehen dafür laut Sozialminister Johannes Rauch bis 2026 zur Verfügung. Maßnahmen gegen Wohnungslosigkeit brauchen vorerst Geld. Dafür braucht es finanzielle Mittel und Personal. Aber am Ende ist es für alle günstiger, wenn niemand seine Wohnung verliert.

Laut Klaus Baringer, dem Obmann des österreichischen Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen, würde sich der Staat bis 2030 durch den Housing First Ansatz rund 500 Millionen Euro an Sozialleistungen sparen. Betroffene profitieren auch. Baringer schätzt, müssten diese Personen eine Wohnung am normalen Mietmarkt finden, würden sie insgesamt 1,2 Milliarden Euro mehr zahlen. Plus: Der durchschnittliche Quadratmeterpreis von 7,80 Euro bei Housing First Wohnungen wirke dämpfend auf den gewerblichen Immobilienmarkt.

Nächste Schritte gegen Wohnungslosigkeit

“Österreich hat mit Housing First ein konkretes und erfolgreiches Modell, das Wohnungs- und Obdachlosigkeit verringern kann”, sagt Gerhard Schützinger von der BAWO. Es ist an der Idee orientiert, dass Wohnen ein Menschenrecht ist. Dennoch: Der Ansatz ist keine vollständige Absicherung für Betroffene. In Österreich gibt es weder ein Recht auf Wohnen noch ein Recht auf Wohnungslosenhilfe. Die wirtschaftliche Lage in Österreich droht, mehr Wohnungslosigkeit zu erzeugen. Und ein immer umkämpfter Wohnungsmarkt führt zu Hürden für leistbares Wohnen.

Wohnen muss für Schützinger noch inklusiver werden. Auch das Housing First-Projekt ist an bestimmte Förderkriterien gebunden. Nur Menschen, die diese Kriterien erfüllen, werden ins Programm aufgenommen. Es gibt Zielgruppen, die aufgrund ihres Visums, der Aufenthaltsdauer am jeweiligen Wohnort, ihrer individuellen Probleme oder ihres Einkommens keinen Zugang zu dieser Unterstützung haben.

“Um Obdach- und Wohnungslosigkeit grundsätzlich zu beenden, braucht es breitere und pragmatische Lösungsansätze”, heißt es in einem Paper der BAWO zum Thema Housing First. Solange manche Personengruppen in Österreich obdach- oder wohnungslos sind, aber keinen Zugang zu einem geregelten Einkommen haben, ist die Wohnungslosenhilfe erforderlich. In denen die Versorgung auch ohne regelmäßige Mietzahlungen möglich ist.

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