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Fortschritt

Laborfleisch: “Ziel ist es, irgendwann einen Burger von einem lebenden Tier zu essen”

Gezüchtetes Fleisch (c) Firn
Fleisch aus dem Labor? Die Technik macht es möglich. Befürworter:innen loben es bis in den Schweinehimmel. Das durch Massentierhaltung entstehende Leid könnte drastisch verringert werden. Auch im Kampf gegen die Klimakrise könnte die Kultivierung von Fleisch helfen.

Vieles ist jedoch noch unklar, die Meinungen gehen auseinander. Laborfleisch “hat nichts mit natürlichem Fleisch zu tun”, sagte jüngst Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) der Kronen Zeitung. Expert:innen widersprechen: “Bei Laborfleisch reden wir nicht über Gentechnik. Wir reden über echtes Fleisch”, sagt Nick Lin-Hi, Professor für Wirtschaft und Ethik an der deutschen Universität Vechta, zu MOMENT.at. Wir sprachen mit ihm und Expert:innen des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib).

Was ist Laborfleisch?

Laborfleisch ist auch bekannt als “In-Vitro-Fleisch”, “Clean Meat” oder “Kunstfleisch”. Es ist Fleisch, das im Labor aus Zellkulturen von Nutztieren gezüchtet wird. Hühnern, Schweinen oder Rindern wird mittels einer Muskelbiopsie eine Probe entnommen, die durch weitere Schritte zu “echtem” Fleisch heranwächst.

“Es ist faktisch Fleisch. Nur, dass es im Bioreaktor erzeugt wird”, sagt Nick Lin-Hi. “Der Unterschied ist, dass man das Tier nicht mehr braucht.” 

Wie wird Laborfleisch hergestellt?

Aus der Muskelprobe, die dem Tier entnommen wird, werden Muskelstammzellen herausgetrennt. Diese landen in einer Zellkulturflasche. Dazu kommt ein passendes Nährmedium: etwa ein Wachstumsserum in einer Lösung aus Zucker, Aminosäuren, Mineralien und Vitaminen. In sogenannten Bioreaktoren werden die Zellen dann in großem Maßstab gezüchtet. Muskelfasern entstehen. Sie bilden die Basis für das Muskelfleisch. Das kann “trainiert” werden und verschiedene Formen annehmen – etwa als Faschiertes oder Steak. Letzteres ist aber noch Zukunftsmusik.
 

Ist Laborfleisch besser für das Tierwohl?

Der Ethikprofessor betont, dass Nutztierhaltung, wie wir sie kennen, nicht dem Begriff “Tierwohl” entspräche. In den vergangenen Jahren sei es lediglich gelungen, das Tierleid zu verringern. “Im Gegensatz dazu kann Laborfleisch tatsächlich Tierwohl garantieren”, sagt Nick Lin-Hi.

Bei Laborfleisch hängt das Tierwohl stark davon ab, wie die benötigte Muskelprobe gewonnen wird. Häufig wird sie vom geschlachteten Tier entnommen. Die Probe kann aber auch mittels Lokalanästhesie von lebenden Tieren entnommen werden. Sie ist etwa so groß wie eine Himbeere. Dem Tier wird kaum Leid zugefügt. 

Das Nährmedium, in dem die Muskelzellen wachsen sollen, ist bisher wenig tierfreundlich. Ist es doch ein Wachstumsserum, das aus dem Blut von Tierföten gewonnen wird. Der Fötus stirbt durch die Entnahme. “Das Ziel ist, dieses Serum zu ersetzen”, sagt Wissenschaftlerin Lisa Schenzle vom Austrian Centre of Industrial Biotechnology. “Nicht nur, weil es sich um einen sehr brutalen Prozess handelt, der ethisch nicht vertretbar ist, sondern weil dabei auch Krankheiten übertragen werden können. Ziel ist es, irgendwann einen Burger von einem noch lebenden Tier zu essen”, so Schenzle. Nick Lin-Hi weist darauf hin: “Versuche bestätigen, dass ein Nährmedium pflanzlich produzierbar ist.” 
 

Wie umweltfreundlich ist die Kultivierung von Fleisch?

Die Bioreaktoren, in denen das Fleisch gezüchtet wird, sind sehr energieintensiv. “Wie umweltfreundlich die Produktion ist, hängt davon ab, woher die Energie kommt”, sagt Schenzle. “Es ist möglich, kultiviertes Fleisch durch den Einsatz erneuerbarer Energien CO₂-neutral herzustellen.” Das geht bei der Massentierhaltung nicht. Allein schon, weil die Tiere viel Methan ausstoßen. Bei Laborfleisch entsteht überhaupt nichts von diesem besonders klimaschädlichen Treibhausgas.

Die Reaktoren benötigen für die Anzucht der Zellen große Mengen Wasser. Aber: Es ist viel weniger, als es braucht, um Rinder zu züchten und Rindfleisch herzustellen. Forscher:innen arbeiten an Methoden, das Wasser aufzubereiten und wiederzuverwenden.

Fleisch zu kultivieren soll unter dem Strich deutlich umweltfreundlicher sein – allein schon, “weil nur noch ein Bruchteil an Tieren gehalten werden muss”, sagt Lin-Hi. Wenn Tiere nicht mehr massenhaft gehalten werden, müssen auch keine riesigen Mastanlagen gebaut werden. Der Flächenverbrauch sinkt.  
 

Ist Laborfleisch gesünder als herkömmliches Fleisch?

Tiere in Massenhaltung bekommen große Mengen Antibiotika eingeflößt. Wer das Fleisch von ihnen isst, bekommt davon etwas mit. Das fällt bei kultiviertem Fleisch weg. Die Risiken, sich übertragbare Krankheiten einzufangen, sind viel geringer als bei traditionellem Fleisch – zumindest, solange die benötigten Zellen gesunden Tieren entnommen werden. 

Wie gesund Laborfleisch ist, hängt davon ab, wie es hergestellt wird, erklärt Expertin Schenzle. Dem Nährmedium könnten zum Beispiel Omega-3-Fettsäuren zugefügt werden, damit gesündere Fette im Fleisch “wachsen”. 
 

 

Wo kann ich Laborfleisch kaufen und wie viel kostet es?

Bis dato ist Laborfleisch nur in zwei Ländern zugelassen. In Singapur kann man es seit 2020 kaufen. Die USA ließen kürzlich den Verkauf von Laborfleisch zu. Zurzeit wird Laborfleisch nur in sehr kleinen Mengen produziert und man muss dafür tief in die Tasche greifen: Ein Burger mit Laborfleisch kostet etwa 100 US-Dollar.

Kann Laborfleisch helfen, Hungersnöte zu bekämpfen?

Weil die Weltbevölkerung steigt und auch ernährt werden muss, werden bis 2050 doppelt so viele Proteine benötigt wie jetzt. Diese kommen zu einem großen Teil von Tieren. Mit herkömmlicher Nutztierhaltung wird es nicht möglich sein, diesen Bedarf zu decken. Zusätzlich wird es in naher Zukunft in einigen Ländern nicht mehr möglich sein, klassischen Ackerbau zu betreiben. Das liegt an der Klimakrise und den damit einhergehenden Temperaturveränderungen. Die Kultivierung von Fleisch könnte also einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Nahrungsengpässe zu verhindern. 

Kann Laborfleisch verhindern, dass Pandemien ausbrechen?

Wissenschaftliche Forschungen zeigen: Die Entstehung von Pandemien hängt mit dem menschlichen Fleischkonsum zusammen. So wurden etwa Pocken von Rindern und Grippeviren von Schweinen auf den Menschen übertragen. “Die Gefahr einer Übertragung ist natürlich viel größer, je mehr Tiere es gibt und je enger Tier und Mensch zusammenleben”, erklärt Martin Trinker, Business Developer des Austrian Centre of Industrial Biotechnology. “Wenn diese Gefahr etwa durch den vermehrten Verzehr von Laborfleisch ausgeschaltet wird, sinkt das Risiko erheblich, dass Pandemien entstehen.”
 

Wird Laborfleisch bald einen großen Teil unseres Fleisches ausmachen?

Ob Laborfleisch in Serie produziert werden kann, hängt vor allem von den benötigten Bioreaktoren ab. Denn diese müssen solche Kapazitäten auch fassen können und werden gerade erst entwickelt. “Anfänglich wird es sich bei Laborfleisch also vermutlich um einen Spezialitätenmarkt handeln”, sagt Trinker. “Wenn die Preise sinken, werden viele Konsument:innen wahrscheinlich umsteigen.” Er ist überzeugt, “dass wir in 30 oder 40 Jahren fast kaum mehr herkömmliches Fleisch essen werden”, so Trinker.

Auch Nick Lin-Hi ist überzeugt: “Aus meiner Sicht ist die Technologie so überlegen, dass sie sich durchsetzen wird.”  Er führt vergangene Innovationen an: “Das Smartphone hat das Handy abgelöst, die Digitalfotografie hat die analoge abgelöst, das Auto hat die Kutsche ersetzt.” Er schätzt: “Womöglich leben wir im letzten Jahrzehnt, in dem wir noch Tiere brauchen, um tierische Proteine zu produzieren.” 

Müssen landwirtschaftliche Betriebe zusperren, wenn kaum mehr herkömmliches Fleisch gegessen wird?

“Sobald Laborfleisch mit traditionellem Fleisch auf breiter Ebene mithalten kann, dann werden einige Betriebe zusperren müssen”, erklärt Wirtschaftsprofessor Lin-Hi. “Das ist ganz normale ökonomische Logik.” Der Experte betont jedoch, dass die Gesellschaft offen für Neues sein müsse. Etwa ginge es nicht darum, möglichst viele Arbeitsplätze in der Agrar- und Ernährungsindustrie zu erhalten. Sondern darum, in welchen anderen Bereichen Landwirt:innen ihre Kompetenzen einsetzen können. 

Business Developer Trinker sieht eine große Chance für die Landwirt:innen darin, die Nährstoffe für die Zellkulturen herzustellen. Zum Beispiel Aminosäuren, Fette und Zucker. Er betont: “Wenn Landwirt:innen weniger Pestizide einsetzen, weniger Tiere in Massen halten und stattdessen darauf setzen, Nährstoffe zu produzieren, kann die Landwirtschaft davon profitieren.” 

Laborfleisch ist eine Chance: Tierleid und die klimaschädlichen Folgen unseres Fleischkonsums könnten der Vergangenheit angehören. Wer dann in einen Burger mit Fleischlaberl beißen möchte, könnte das ohne schlechtes Gewissen tun.

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