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Arbeitswelt
Klimakrise

Können wir uns mit regionalen Nahrungsmitteln aus der Krise essen?

Eine Studie ergibt: Würden wir um zwanzig Prozent mehr regionale Lebensmittel essen, so würden 46.000 neue Arbeitsplätze entstehen und die Wirtschaft insgesamt gefördert werden. Warum die Umsetzung aber schwierig ist.

 
Würden wir um zwanzig Prozent mehr regionale Lebensmittel essen, würde das die Wirtschaft fördern, 46.000 neue Arbeitsplätze schaffen und natürlich auch die Umwelt geschont. Warum die Umsetzung aber so schwierig ist.

UPDATE 8.9.2020: Nach der Veröffentlichung unseres Artikels wurde Kritik an der sehr simplen Modellierung der Studie selbst durch ÖkonomInnen laut. Diese Kritik hat der Standard gut zusammengefasst. Der Studienautor bestätigt, dass die Kritik richtig ist. Er wollte mit seinem Beitrag vor allem einen „Denkanstoß“ geben. Die im Text erwähnten Zahlen sind deshalb mit entsprechender Skepsis zu betrachten.

In seiner Rede über die Lage der Nation hat Bundeskanzler Sebastian Kurz kürzlich die Menschen in Österreich dazu aufgefordert, vermehrt zu regionalen Produkten zu greifen: „Das ist gesund, schützt das Klima, ist gut für die Landwirtschaft und gibt Sicherheit in Zeiten der Krise.“

Er berief sich auf eine aktuelle Studie der Johannes Kepler Universität in Linz: Würden rund 20 Prozent mehr regionale Produkte gekauft, würden 46.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die regionale Wertschöpfung würde 4,6 Milliarden Euro betragen.

Volkswirtschaftlicher Nutzen von regionalen Produkten

Rund 600 Euro gibt ein Haushalt in Österreich im Monat durchschnittlich für Lebensmittel, alkoholfreie Getränke, sowie Kaffee- und Gasthausbesuche aus. Pro Jahr werden dabei jedoch um 15 Milliarden Euro Lebensmittel und landwirtschaftliche Produkte aus dem Ausland importiert.

Was würde passieren, wenn viel weniger eingeführt und der Bedarf durch heimische Lebensmittel ersetzt wird? Genau dieser Frage ist der Volkswirt Friedrich Schneider in der von Kurz zitierten Studie nachgegangen und hat errechnet: Bei einer Reduktion der Importe um 20 Prozent, würden 46.000 mehr Jobs geschaffen werden. In Niederösterreich würden die meisten Arbeitsplätze entstehen.

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Schneider hat insgesamt drei Szenarien durchgerechnet: Bei einer Reduktion der Nahrungsmittel-Importe von zehn Prozent würden bereits 23.000 Jobs entstehen, bei Minus dreißig Prozent sogar 69.000 Stellen geschaffen werden.

Doch Ökonom Schneider glaubt, dass gerade noch das Minus-Zwanzig-Prozent-Szenario realistische Chancen auf eine Umsetzung hätte. Schließlich kann nicht alles in Österreich angebaut werden: Kaffee, Bananen, Ananas und andere tropische Obstsorten werden wir immer importieren müssen. Außerdem haben wir uns längst an den Luxus gewöhnt, saisonale Produkte das ganze Jahr essen zu können – frische Erdbeeren gibt es selbstverständlich auch im Winter zu kaufen.

Gesamte Wirtschaft profitiert, wenn auf regionale Lebensmittel gesetzt wird

Vom Trend hin zu mehr regionalen Produkten würde die ganze heimische Wirtschaft profitieren: „Wenn mehr Bedarf besteht, so muss etwa ein Erdäpfelbauer auch mehr anbauen. Er braucht dann mehr Mitarbeiter und auch Maschinen. Die würde er zwar eventuell im Ausland kaufen, aber gewartet müssen sie jedenfalls im Inland werden. Dann braucht auch die Werkstatt der Region neue Mitarbeiter und so weiter – am Ende profitiert die gesamte Wirtschaft.“

Seinen Berechnungen zu Folge würde das Bruttoinlandsprodukt um 4,6 Milliarden Euro steigen, wenn die Lebensmittelimporte um zwanzig Prozent reduziert und durch heimische ersetzt werden würden.

Heimische Lebensmittel auch gut fürs Klima

Neben dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaft hat schließlich auch die Umwelt etwas davon, wenn weniger Lebensmittel rund um den Globus geschippert werden: In der Wirtschaft wird so etwas Dreifach-Dividende genannt.

Also, warum warten wir noch und setzen nicht sofort auf regionale Produkte? „Ich glaube, dass die Reduktion der Importe auf zwanzig Prozent machbar ist, aber es wird ein langer Weg“, meint Schneider.

Die Gründe sind vielfältig: Einerseits wird derzeit zu viel Ackerfläche verbaut. Andererseits müssten Fördersysteme neu aufgestellt werden, damit sich eine nachhaltigere Landwirtschaft durchsetzt. Derzeit läuft vieles schief: So wird etwa in Österreich viel zu viel Milch produziert, was wiederum den Milchpreis drückt und das Klima schädigt. 

Und schließlich erleben wir gerade eine Wirtschaftskrise. Viele ÖsterreicherInnen müssen beim Einkaufen nun erst recht sparen und können gar nicht zu oft teureren, regionalen Bio-Lebensmitteln greifen.

Können sich alle regionale Lebensmittel leisten?

Die Regierung möchte zukünftig die Produktion von regionalen Lebensmitteln fördern und Steuern auf importierte Produkte erhöhen. Die dabei zu bedenkende Gefahr: Wenn Österreich mehr auf Selbstversorgung setzt, könnten die Lebensmittelpreise etwa bei Missernten sehr teuer werden. Das Risiko angesichts der klimabedingten Ernteschäden der letzten Jahre ist schließlich hoch. Politische Eingriffe müssen also gut geplant und gleichzeitig flexibel sein.

Für die einzelnen VerbraucherInnen wird das billige Henderl aus dem Ausland nicht einfach mit dem Bio-Henderl von nebenan zu ersetzen sein. Zumindest nicht mit demselben Budget. Das erfordert auch eine Änderung der eigenen Koch- und Essgewohnheiten  – das gilt nicht nur fürs Geldbörserl, sondern auch für die Auswirkungen auf das Klima.

Was wir tun können, um das Klima zu entlasten

Neben der Politik sind letztendlich auch die KonsumentInnen gefordert. „Wir müssen hinterfragen, ob es wirklich jeden Tag Fleisch geben muss, oder eben nur ein oder zwei Mal in der Woche – dafür aber vom Bio-Rind“, meint Schneider. Denn zum Beispiel in der Fleischproduktion ist nicht der Transportweg, sondern die Aufzucht und Mästung der Rinder für die katastrophale CO2-Bilanz verantwortlich. 

Statt im Autopilot immer zu den gleichen, gewohnten Lebensmitteln zu greifen, die aber Klima, Umwelt Tier und Mensch schaden können, sollten wir uns also öfter mal einfach auch in der Region nach anderen leckeren Lebensmitteln umsehen.

Nachwirkungen: Die Kritik an der Studie

Schneiders Studie sorgte vor allem durch die Erwähnung des Bundeskanzlers für großes Aufsehen: Doch sogleich hagelte es auch Kritik. ÖkonomInnen meinen, dass die Berechnungen gleich auf mehreren unrealistischen Annahmen beruhen würden. So ginge die Studie etwa davon aus, dass gleich viel Fleisch verkauft werden würde, auch wenn die österreichischen Produkte deutlich teurer wären. Weiters beanstanden Experten, dass Österreich bei so extremen Einschnitten im Import auch mit dem Widerstand von Handelspartnern rechnen müsste. Die heimischen Exporte könnten dann ebenfalls zurückgehen – doch diese negativen wirtschaftlichen Effekte werden bei der Studie ebenfalls nicht berücksichtigt.

Studienautor Schneider findet diese Kritik berechtigt, betont jedoch, dass er nur einen „Denkanstoß“ geben und keine „Megastudie“ durchführen wollte.

 

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