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Elisabeth Köstingers Forderungen für mehr Öko-Landwirtschaft: Eine Mogelpackung?

Österreichs Landwirtschaftsministerin fordert öffentlich gerne mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft und bessere soziale Standards. Was Elisabeth Köstinger auf EU-Ebene in den Verhandlungen um die Gemeinsame Agrarpolitik dafür tut, sei aber mitunter das Gegenteil von ökologisch und sozial. Das zeigt ein "Faktencheck" der Umweltorganisation Global 2000. Köstingers Aussagen "halten der Überprüfung nicht stand", sagt die Arbeiterkammer.

Österreichs Landwirtschaftsministerin fordert öffentlich gerne mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft und bessere soziale Standards.Was Elisabeth Köstinger auf EU-Ebene in den Verhandlungen um die Gemeinsame Agrarpolitik dafür tut, sei aber mitunter das Gegenteil von ökologisch und sozial. Das zeigt ein „Faktencheck“ der Umweltorganisation Global 2000. Köstingers Aussagen „halten der Überprüfung nicht stand“, sagt die Arbeiterkammer.

387 Milliarden Euro. Was die EU zwischen 2021 und 2027 für Landwirtschaftspolitik ausgeben wird, ist ein riesiger Brocken im Budget. Wie die begehrten Fördertöpfe der “Gemeinsamen Agrarpolitik” (GAP) verteilt werden, darüber verhandeln die Mitgliedsstaaten mit der Kommission und dem EU-Parlament seit drei Jahren. Jetzt wird es heiß: Denn bis Ende Juni soll eine Einigung her.

Köstinger „prescht vor“ für ökologische Landwirtschaft

Es geht dabei auch um Klimaschutz und soziale Standards. Die Landwirtschaft ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Klimakrise, Ausbeutung in vielen Bereichen ein Teil des Systems. Landwirtschaftsministerium Elisabeth Köstinger (ÖVP) erklärt Österreich “zu den Vorreitern bei Umwelt- & Klimamaßnahmen in der Landwirtschaft”. Sie fordert, „dass künftig 25% der Agrarzahlungen für ein verpflichtendes Ökoschema verwendet werden“. Österreich presche damit vor, das Landwirtschaftsministerium setze sich „massiv für eine höhere Umweltambition ein“.

In Wirklichkeit hält das der Prüfung nicht stand.
Maria Burgstaller, Wirtschaftsexpertin AK

„In Wirklichkeit hält das der Prüfung nicht stand“, sagt Maria Burgstaller, Expertin für Wirtschaftspolitik der Arbeiterkammer (AK). Bei den von Köstinger geforderten 25 Prozent gibt es nämlich ein Problem: Die Landwirtschaftsministerin sagt nur Ja zu den 25 Prozent, „wenn sie mit dem bereits bestehenden Agrarumweltprogramm aus der 2. Säule in Österreich gegengerechnet werden“, heißt es in einem „Faktencheck“ der Umweltschutzorganisation Global 2000 (Link zum pdf).

Köstingers 25% für Öko-Landwirtschaft seien viel weniger

Resultat: Nicht ein Viertel der Zahlungen aus der 1. Säule würden mit Ökoregelungen verbunden, „sondern ein noch unbekannter, aber deutlich kleinerer Anteil“, so der Bericht. „So können die Ökoregelungen umgangen werden, ohne die Umweltambition zu erhöhen.“ Medien würden Köstingers Aussagen unkritisch übernehmen. Für Global 2000 ist Köstingers Forderung „Mogelpackung für ein ‚So-wenig-wie-möglich‘“.

Die Gemeinsame Agrarpolitik ist für Normalsterbliche ganz schwer verständlich.
Maria Burgstaller

Wenn du das jetzt nicht so ganz durchblickst, bist du damit nicht allein. Was sind eigentlich Ökoregelungen? Was sind die erste Säule und die zweite Säule? Wie lassen sich Förderungen gegenrechnen? Wer bestimmt, welche Agrarförderungen „ökologisch“ sind? Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU „ist für Normalsterbliche ganz schwer verständlich und sehr technisch formuliert“, sagt Expertin Burgstaller.

Die GAP ist schwer zu erklären und schwer zu verstehen. „Es ist aber sehr wichtig und hat einen großen Hebel“, sagt Burgstaller. Sie macht rund 43 Prozent des EU-Haushalts aus, jährlich flossen zuletzt rund 55 Milliarden Euro an Fördergeldern in die Landwirtschaft. Es ist “die Lenkungsmaßnahme schlechthin, um die Klimaziele zu erreichen“, sagt Burgstaller. Denn die Landwirtschaft, da sind sich auf dem Papier alle Beteiligten einig, soll ökologischer und nachhaltiger werden.

Wir sind schon immer für einen Systemwechsel in der europäischen Agrarpolitik eingetreten.
Elisabeth Köstinger, Landwirtschaftsministerin

Ganz vorne dabei: Elisabeth Köstinger. Zumindest mit dem, was sie in Österreich sagt. Wofür sie dann in Brüssel eintritt, widerspricht dem allzu häufig. Beispiel: die Umverteilung von Fördergeld zugunsten kleinerer Agrarbetriebe. „Wir sind schon immer für einen Systemwechsel in der europäischen Agrarpolitik eingetreten, nämlich weg von der Agrarindustrie hin zu bäuerlichen Familienbetrieben“, sagte Köstinger im März in der Bauernzeitung. „Alles, was diesem Ziel untergeordnet ist, begrüße ich natürlich.“

Je mehr Fläche, desto mehr Geld: Köstinger will das nicht ändern

Aber: Vom Prinzip, Agrarbetriebe mit Direktzahlungen einfach nur danach zu fördern, wieviel Fläche sie haben, möchte sie nicht abrücken. Das System belohnt industrielle Agrarbetriebe, die schon viel haben. In der EU diskutiert wird eine Deckelung der Flächenprämien von großen Betrieben. Die Agrarförderung an größere Betriebe soll verringert werden.

Der dritte Vorschlag: Die ersten Hektare Land, die ein Betrieb an landwirtschaftlicher Fläche hat, sollen höher gefördert werden. Dafür sollen bis zu 12 Prozent der Gesamtsumme bereitgestellt werden. Nimmt man Köstingers Aussagen ernst, vor allem „bäuerliche Familienbetriebe“ und nicht die „Agrarindustrie“ fördern zu wollen, liegt der Schluss nahe: Österreich müsste sich auf EU-Ebene für diese Maßnahmen einsetzen.

Weniger für Großbetriebe? Türkis-grün will es, Köstinger handelt dagegen

Doch das Gegenteil sei der Fall, so der „Faktencheck“: Ende Mai sprach sich Köstinger gegen all diese Vorschläge aus. „Den vorgeschlagenen Mindestprozentsatz können wir so nicht akzeptieren“, hieß es von ihr.

Dabei steht selbst im türkis-grünen Regierungsprogramm, dass es eine Förder-Obergrenze und eine kleiner werdende Förderung für Großbetriebe (Degression) geben soll. Auch deshalb ist Expertin Burgstaller verwundert: „Wenn sie für kleine bäuerliche Familienbetriebe eintreten würde, hieße das: Davon abgehen, dass es zum Vorteil der Großen geht.“

Für sie stellt sich die Frage: „Warum tut Köstinger das?“ Eine Antwort darauf hat Burgstaller nicht. Die gebürtige Kärntnerin Köstinger ist seit 2009 Vizepräsidentin des Österreichischen Bauernbundes.

Den Vorwurf, dass Österreich blockiert, weisen wir auf das Schärfste zurück.
Landwirtschaftsministerium

Das Landwirtschaftsministerium sieht das naturgemäß anders: Weder zu den Öko-Regelungen noch zu den verpflichtenden Umverteilungen „gibt es eine Mehrheit unter den 27 Mitgliedsstaaten“, so das Ministerium gegenüber MOMENT. Köstinger habe sich daher „mit konstruktiven Vorschlägen bemüht, die Positionen der Mitgliedsstaaten und des EU-Parlaments zusammen zu bringen“.

Ihre Vorschläge gingen „im Bereich der Klima- und Umweltleistungen weit über die Vorschläge der Kommission und des Rates hinaus und wären eine substantielle Verbesserung und Veränderung der künftigen europäischen Agrarpolitik“, sagt das Ministerium. „Den Vorwurf, dass Österreich blockiert hat oder die Verhandlungen jetzt blockiert, weisen wir auf das Schärfste zurück, das entspricht nicht im Mindesten den Tatsachen.“

Soziale Standards in der Landwirtschaft fixieren? Köstinger sagt Nein.

Den Vorwurf zu blockieren, musste sich Elisabeth Köstinger zuletzt auch gefallen lassen, als es darum ging, die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung von Erntearbeiterinnen und -arbeitern zu verbessern. Landwirtschaftliche Betriebe sollen verpflichtet werden, Standards einzuhalten, sonst erhalten sie keine Förderung mehr.

„Wir haben da ganz großes Interesse“, sagte Köstinger Ende Mai. Doch der „Faktencheck“ zeigt auf: Köstinger ist Teil einer Gruppe von EU-Ländern, die dagegen ist, dass Mindeststandards jetzt auch verankert werden. Die GAP sei nicht der richtige Rahmen dafür. Kontrollen dieser Mindeststandards seien zu aufwändig (Link zum pdf).

Niemand in Österreich versteht, warum Ministerin Köstinger so vehement dagegen ist.
Maria Burgstaller

Köstinger sorgte damit für Kopfschütteln: „Niemand in Österreich versteht, warum Ministerin Köstinger so vehement dagegen ist“, sagt AK-Expertin Burgstaller. Es erscheint unlogisch: Im Mai sagte Köstinger, Österreich habe „im Vergleich zu anderen EU-Staaten die höchsten Sozialstandards“.

Höhere soziale Standards bei Erntearbeit wären Vorteil für Österreich

Gerade dann wäre es Österreich “sicher ein großer Vorteil, wenn überall bestimmte Standards eingehalten werden müssten“, sagt Maria Burgstalller. Die Behauptung, Österreich hätte die höchsten Standards ist freilich auch falsch. Global 2000 sagt etwa, dass Österreich die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Arbeitsschutz in der Landwirtschaft noch immer nicht in Kraft gesetzt hat.

Sozial- und Arbeitsrechtsstandards, die nicht kontrolliert werden, sind wenig wert.
Global 2000, Umweltschutzorganisation

Skandale wie im vergangenen Jahr im Marchfeld zeigten, dass auch österreichische Agrarbetriebe in schockierender Weise soziale Standards ignorieren. Damals wurde bekannt, unter welchen Bedingungen Erntearbeiterinnen und -arbeiter aus Rumänien in Verschlägen hausen mussten. Zu Dumpinglöhnen von vier Euro pro Stunde mussten sie bis zu 14 Stunden am Tag und teils an jedem Tag der Woche schuften.

Um das in Zukunft zu verhindern, brauche es mehr Kontrollen, so Global 2000. Denn: „Sozial- und Arbeitsrechtsstandards, die nicht kontrolliert werden, sind wenig wert“. Aber mehr Kontrollen, das möchte Köstinger nicht. Ein Argument: zu viel Bürokratie.

Vorwurf an Köstinger: Kein Bemühen das System zu ändern

Lügt die Landwirtschaftsministerin also, wenn sie in Österreich öffentlich mehr Öko bei der GAP und bessere Sozialstandards einfordert, aber auf EU-Ebene nicht dafür eintritt? „Ich würde nicht sagen, dass sie lügt. Das wäre ein massiver Vorwurf“, sagt Maria Burgstaller.

Aber: „Wenn sie sagt, Sozialstandards findet sind ihr wichtig und sie tritt dann gegen Mindestkontrollen auf“, so die AK-Expertin, „dann ist die Wirkung, nicht die, die sie in Österreich vermittelt“. Von Köstingers Seite gebe es „kein Bemühen, das System zu verbessern“.

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