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Arbeitswelt
Ungleichheit

Wie weltweit kürzer gearbeitet wird

Immer mehr Unternehmen lassen ihre Angestellten weniger arbeiten, und machen damit gute Erfahrungen. So läuft's weltweit mit der besseren Work-Life-Balance.

Immer mehr Unternehmen lassen ihre Angestellten weniger arbeiten, und machen damit gute Erfahrungen. Studien zeigen: Wer weniger arbeitet, arbeitet besser. Firmen könnten sogar höhere Gewinne machen. Und doch kehrten einige auch wieder zurück zur alten Zeitrechnung. So läuft’s weltweit mit der besseren Work-Life-Balance.

 

Es klingt verführerisch gut: Wer weniger arbeitet, arbeitet besser. Wer weniger arbeitet, ist zufriedener und seltener krank. Und, ja auch das: Wer weniger arbeitet, schadet dem Klima auch weniger. Dies berichten Unternehmen, die ausprobiert haben, ihre Mitarbeiter nur mehr vier Tage in der Woche oder 30 Stunden insgesamt arbeiten zu lassen. Dies berichten deren Mitarbeiter. Dies zeigen Befragungen und Studien. Und dennoch: Unternehmen, die ihren MitarbeiterInnen mehr Freizeit bei gleichem Lohn gewähren, sind noch immer eher die Orchideen in unserer Firmenlandschaft. Aber nicht nur hier und da, sondern an vielen Orten weltweit lassen Firmen kürzer arbeiten. Wir wagen eine Reise um den Globus.

Microsoft sperrt zu

Ausgerechnet in Japan probierte die dortige Niederlassung des Software-Riesen Microsoft im August vergangenen Jahres die kürzere Arbeitszeit aus. In kaum einem anderen Land wird viel zu arbeiten und sich seinem Unternehmen voll und ganz zu verschreiben so großgeschrieben wie in Japan. Dagegen sind die ArbeitnehmerInnen weit weniger produktiv als im Schnitt der OECD-Länder. Pro gearbeitete Stunde erwirtschaften die JapanerInnen umgerechnet 51 Euro. Bei den ArbeitnehmerInnen in Österreich sind es 10 Euro mehr – ähnlich sieht es in Schweden, den Niederlanden und Deutschland aus.

Generell zeigen die Zahlen: In Ländern mit kürzeren Arbeitszeiten wird tendenziell produktiver gewerkelt (siehe Grafik). Auch in Japan denken daher immer mehr Firmen um. Laut Arbeitsministerium hatten im Jahr 2018 bereits 6,9 Prozent der privaten Unternehmen mit mehr als 30 Angestellten die 4-Tage-Woche oder ähnliches eingeführt, zehn Jahre zuvor war dieser Anteil mit 3 Prozent nicht einmal halb so hoch.

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Microsoft schloss also jeden Freitag im August 2019 die Bürotüren, und zog am Ende eine positive Bilanz: Die MitarbeiterInnen waren um 40 Prozent produktiver. 92 Prozent der Angestellten gaben an, „glücklich“ mit dem Projekt zu sein. Ein weiterer Effekt: Die Microsoft-Niederlassung verbrauchte 23 Prozent weniger Strom, die Angestellten nahmen sich um ein Viertel weniger freie Tage. Es war schlicht nicht notwendig. Gleichzeitig sah Microsoft, dass es noch besser hätte laufen können. Einige Abteilungen und Manager hätten noch „kein Verständnis“ für kürzere Arbeitszeiten, heißt es im Abschlussbericht.

Die Zeit für diese Idee ist gekommen
Andrew Barnes, Firmenchef in Neuseeland

Mehr als 9.000 Kilometer weiter südlich, in Neuseeland, startete die Finanzberatung Perpetual Guardian im November 2018 ein vielbeachtetes Projekt: Alle 240 MitarbeiterInnen arbeiteten nur noch an vier Tagen mit 30 Wochenstunden statt an fünf Tagen mit 37,5 Stunden in der Woche – bei gleichem Lohn wie zuvor. Folge: Die MitarbeiterInnen waren um 20 Prozent produktiver. Gleichzeitig gaben Sie an, dass sie sich weniger gestresst fühlten als zuvor. „Die Zeit für diese Idee ist gekommen“, sagte Firmengründer und Geschäftsführer Andrew Barnes. „Wir müssen mehr Firmen dazu bringen, es auszuprobieren. Sie werden von den Verbesserungen überrascht sein.“ Mehr als 350 Firmen und Organisationen aus aller Welt klopften bei ihm an und wollten mehr erfahren, berichtet der britische Guardian.

Länger gefordert, kürzer fit

Denn wissenschaftliche Studien belegen: Je länger ArbeitnehmerInnen am Stück hackeln müssen, desto mehr leidet ihre Konzentration und steigt ihre Erschöpfung, die Produktivität sinkt. Die SozialforscherInnen Marion Collewet und Jan Sauermann untersuchten für die Universität Maastricht, wie MitarbeiterInnen eines niederländischen Call Centers mit unterschiedlich langen Arbeitszeiten zurechtkamen.

Ihre Conclusio: Je länger die TelefonistInnen arbeiteten, desto langsamer wurden sie darin, die Anrufe von KundInnen zu bewältigen. Obwohl die 332 Testpersonen im Durchschnitt nur 4,6 Stunden arbeiteten, ermüdeten sie schnell. „Die Ermüdungseffekte wären noch größer, würden die TelefonistInnen in Vollzeit arbeiten“, schreiben Collewet und Sauermann.

Kürzere Arbeitszeit heißt mehr Qualität
Thomas Meyer, Firmenchef in Wien

Firmen, die ihre Angestellten kürzer arbeiten lassen, zahlen zunächst einmal drauf. „De facto verzichte ich auf 20.000 Euro pro Monat“, sagt Thomas Meyer, Chef einer Wiener Social-Media-Agentur im MOMENT-Interview. Seine sieben MitarbeiterInnen arbeiten, bei Vollzeitgehalt, nur 32 Stunden in der Woche. Für ihn rechnet es sich dennoch. „Kürzere Arbeitszeit heißt mehr Qualität der Arbeit, hochqualitative Arbeit.“

Auch Klaus Hochreiter, Chef der E-Commerce-Agentur eMagnetix in Bad Leonfelden in Oberösterreich macht keinen Hehl daraus: „Am Anfang kostet das mit Sicherheit mehr Geld. Das ist so“, sagt er zu MOMENT. „Aber langfristig werden wir produktiver.“

Studie: Bringt 92 Milliarden

In immer mehr Firmen ändert sich die Kultur: Zwei Drittel von mehr als 500 befragten britischen UnternehmerInnen gaben an, dass sie mit verkürzten Arbeitszeiten bei vollem Lohn produktiver wurden. Zu diesem Ergebnis kam eine Umfrage der unter dem Dach der Universität im britischen Reading angesiedelten Henley Business School. Dabei wurden auch 2.000 ArbeitnehmerInnen befragt. 78 Prozent sagten, ihre Lebensqualität sei durch kürzere Arbeitszeiten gestiegen. 70 Prozent fühlten sich glücklicher und weniger gestresst, 62 Prozent gaben an, seltener krank zu sein. Für die Unternehmen sei es zudem leichter, gute MitarbeiterInnen an Land zu ziehen.

Diese Vorteile in Rechnung gestellt, hätten diese schon jetzt insgesamt 92 Milliarden britische Pfund mehr in den Kassen, umgerechnet 107 Milliarden Euro. Aber: Problematisch werde es für Unternehmen und Organisationen, die über klassische Bürozeiten hinaus arbeiteten, so die AutorInnen. MitarbeiterInnen seien schlicht nicht ausreichend verfügbar.

Alle hatten mehr Energie, wir waren glücklich damit
Emilie Telander, Krankenschwester in Göteborg

Im Universitäts-Krankenhaus von Göteborg müssen PflegerInnen und ÄrztInnen rund um die Uhr da sein, ebenso im Svartedalen-Pflegeheim. Dennoch startete die schwedische Stadt im Jahr 2015 hier das Experiment, nur noch sechs anstatt acht Stunden pro Schicht zu arbeiten. Die Auswertungen zeigten: Die MitarbeiterInnen wurden weniger gestresst, waren seltener krank und konnten sich besser um PatientInnen und zu betreuende Personen kümmern.

Dennoch liefen die Versuche aus. „Derzeit gibt es kein laufendes Projekt mehr mit kürzeren Arbeitszeiten“, sagt der sozialdemokratische Stadtpolitiker Daniel Bernmar zu MOMENT. Angestellte reagierten enttäuscht. „Ich fühle mich jetzt erschöpfter als zuvor“, sagte die Assistenzschwester Emilie Telander der britischen BBC. Sie muss inzwischen wieder Acht-Stunden-Schichten schieben. „Während des Versuchs hatten alle Angestellten mehr Energie, wir waren glücklich damit.“

Streit ums liebe Geld

Um das Projekt wurde heftig gestritten: Es ging, natürlich, um die Kosten. Im Pflegeheim wurden 15 neue Stellen geschaffen, im Krankenhaus 17 weitere MitarbeiterInnen angestellt. Jährlich umgerechnet eine Million Euro zusätzlich gab die Stadt im Krankenhaus für das Mehr an Personal aus, im Pflegeheim waren es in eineinhalb Jahren umgerechnet 940.000 Euro. Die Opposition schäumte: „Wir können die Menschen nicht dafür bezahlen, nicht zu arbeiten“, sagte Marya Rydén, damals Gemeinderätin der bürgerlich-konservativen „Moderaten Sammlungspartei“ und früher selbst Krankenschwester.

Rechte sind Gegner jeder Art der Arbeitszeitreform
Daniel Bernmar, Politiker in Göteborg

Bernmar dagegen rechnet ein wenig anders. Das Projekt hätte auch Geld eingespart. Die neu eingestellten Personen benötigten keine Arbeitslosenhilfe. „Im System der Sozialversicherung wurden die Kosten halbiert“, so Bernmar. Das Problem: Dieses Geld sparte der Staat ein, der sich um die soziale Absicherung kümmert, die Kosten aber trug die Stadt – das ergibt eine auf den ersten Blick schiefe Bilanz, die WählerInnen schwer zu vermitteln ist. „Das schreckt Politiker ab“, so Bernmar. Seit der Wahl 2018 regieren Parteien des rechten Flügels in Göteborg. „Sie sind Gegner jeder Art von Arbeitszeitreform“, sagt er.

 

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