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Arbeitswelt

Fachkräftemangel? Wie die Wirtschaft es Lehrlingen schwer macht

Symbolbild zur Koch-Lehre: Ein Gericht mit Garnelen wird von einem Koch angerichtet. Das Gesicht der Person ist nicht zu erkennen.
Wenn die Wirtschaft Fachkräftemangel sagt, meint sie oft Lehrberufe. Allerdings hat die Lehre keinen allzu guten Ruf und in vielen Unternehmen wenig Rückhalt - und junge Menschen, die es als Lehrlinge probieren, spüren das.

„Eigentlich wollte ich Konditorin lernen, aber es gab keine Lehrstellen mehr, also habe ich Köchin angefangen. Wenn man das fertig macht, kann man Konditorin später dazu machen“, erzählt Ina. Köch:innen und überhaupt Mitarbeitende in der Gastronomie und Hotellerie werden seit Jahren gesucht, aber kaum gefunden. Sie sind die stets händeringend gesuchten Fachkräfte. Das heißt meistens: Junge Menschen, die eine Lehrlingsausbildung absolvieren. Eben etwa als Köchin.

Koch-Lehre und dann weg

Ina hat die normale Schullaufbahn für eine Lehre absolviert, Pflichtschule, Poly, dann die Frage: Was kommt jetzt? Eine Frage, die viele Jugendliche noch nicht mit 15, 16 Jahren beantworten. Rund 108.000 junge Menschen machten 2022 eine Lehre, fast dreimal so viele sitzen da noch in verschiedenen Oberstufen.

„Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Essengehen nicht selbstverständlich war“, sagt Ina. Durch die Koch-Lehre haben sie „die Gerichte besser verstanden. Das hat mir die Augen geöffnet.“  Das sind die positiven Seiten, die ihr zur Ausbildung einfallen, „aber ich habe schnell gemerkt, dass ich nicht in der Gastronomie blieben will.“ 

Der Stress war ihr zu viel. „Dabei würde ich überall einen Job bekommen, vielleicht auch auf Saison.“ Durchgezogen hat sie es dennoch, die Lehrabschlussprüfung (LAP) hat sie geschafft – im Gegensatz zu vielen anderen, die gar nicht so lange in dem Bereich Tourismus bleiben. In dieser Sparte brechen mehr als 20 Prozent die Lehre ab – ein negativer Ausreißer. In der Industrie oder Bankwesen sind es unter 10 Prozent. Neben dem Stress sprach für Ina auch die Bezahlung gegen den Beruf als Köchin. Heute arbeitet sie 30 Stunden in einem Kino und verdient nicht viel weniger als in ihrem erlernten Beruf.

Überbetriebliche Lehre: Hürden zum Arbeitsmarkt

Ina hat ihre Ausbildung als „Überbetriebliche Lehre“ absolviert. Die sogenannte ÜBA wendet sich an Jugendliche, die sich aus verschiedenen Gründen schwertun, eine Lehrstelle zu finden. 

Mirnes absolviert auch eine so eine Ausbildung, aber in einem anderen Bereich. Er ist eCommerce-Lehrling, lernt Online-Marketing und Website-Erstellung. In der IT sucht Österreich ebenfalls viele Fachkräfte. Ursprünglich hat er eine Handelsschule gemacht, diese aber abgebrochen. Via AMS kam er dann zu diesem Kurs. „Ich sehe in dem Beruf viel Potenzial, das ist sehr zukunftsorientiert“, erzählt er. Nach der Lehre werde er eine Stelle finden oder sich gut selbständig machen.

Die ÜBA hilft dabei aber nur bedingt. Während „normale“ Lehrlinge hauptsächlich in einem Betrieb sind und hin und wieder in der Berufsschule, ist es in der „Überbetrieblichen“ umgekehrt. Im ersten Lehrjahr machen die Pflichtpraktika nur vier bis sechs Wochen aus: „Wir müssen die Praktikumsorte selber suchen, aber ich habe das Gefühl, dass wir Lehrlinge auch oft ausgenutzt werden, immer dieselben Sachen machen müssen.“

„Eigentlich darf niemand Überstunden machen“

Eine andere Erfahrung hat Denise gemacht. Sie hat ihre Lehre zur Hotelfachfrau direkt in einem Betrieb absolviert. Allerdings auch nicht ohne Widerstände. „Meine Eltern wollten ja eigentlich, dass ich das Gymnasium fertig mache“, erinnert sie sich, „Ich musste rebellieren und kurz bevor der Hut wirklich gebrannt hat, meinte meine Mutter, dass ich mir eine Lehrstelle suchen muss.“ 

Die dreijährige Ausbildung in einem „Vorzeigebetrieb“, wie sie sagt, habe ihr gefallen. Man kann Menschen eine schöne Zeit bereiten. Diese Momente halten sie im Beruf: „Wenn jemand eine anstrengende Anreise hat, genervt eincheckt und man dann den Tag durch guten Service verschönert, ist das toll.“ Aber sie versteht, wenn andere sich in der Branche eher schwertun. „Für viele Betriebe sind Lehrlinge billige Hilfskräfte. Manche arbeiten dann in der Küche, statt an der Rezeption, weil Not am Mann ist“, erzählt sie von Gesprächen in der Berufsschule. Klar, man müsse manchmal schon aushelfen, aber eben nicht ständig.

Und es gibt noch weitere negative Aspekte: „Der Lehrplan wird nicht eingehalten und eigentlich darf niemand Überstunden machen, der unter 18 ist.“ Der Job in der Hotellerie verlange extreme Flexibilität, Dienstpläne kämen oft sehr kurzfristig, bei diesen stressigen Arbeitsbedingungen sei „eine Planbarkeit im Privatleben fast unmöglich.“ Für sie überwiegen die positiven Aspekte.

Österreich hat immer weniger Lehrlinge

Sich durch eine Lehre durchzuschlagen, ist nicht einfach. Zwischen 2002 und 2022 sank die Zahl der Lehrlinge um rund zehn Prozent. Peter ist selber gelernter Koch und Lehrlingsausbilder. Er registriert einige Probleme und kann Eindrücke der Jugendlichen teilweise bestätigen: „Es gibt nach wie vor jene, die als billige Arbeitskräfte verwendet werden. Die Bezahlung ist natürlich in manchen Bereichen wirklich schlecht und vielleicht ist nicht jede:r Lehrlingsausbilder:in auch ganz up to date.“ Er sei selbst Gastrounternehmer und kenne die Zahlen. Würde er das Bezahlen, was er gerne würde, müsste alles sehr viel teurer werden, sagt er. Auf der Habenseite stehe aber auch einiges. Er selbst konnte dank der Ausbildung im Ausland arbeiten und somit Erfahrungen sammeln.

Allerdings ist die Lehre heute nicht mehr so angesehen. Vor allem in der Stadt ist es eher so wie von Denise geschildert. „In den 90er-Jahren hat man gesagt: Vergiss das mit der Lehre. Aber wir brauchen Ärztinnen und Pflegefachkräfte, also beides. Wir in der Gastro sind auch keine Servicetraktoren oder Schankmopeds, sondern Fachkräfte. Wer in der Gastronomie arbeitet, muss wissen, wo Mineralwasser herkommt, wie ein Essen zubereitet wurde oder wie Wein hergestellt wird.“ 

Er fordert: „Es braucht eine viel größere Wertschätzung vonseiten der Wirtschaft.“ Das bedeutet auch, genügend Lehrstellen anzubieten – wovor sich nicht wenige Betriebe drücken. Natürlich, nicht nur Arbeitswelt und Lehrlinge hätten sich verändert, sondern auch die Auflagen, was es braucht, um Lehrlinge auszubilden. Das verlangt von vielen auch neues Denken.

„ÜBA“ fängt Mangel an Lehrstellen auf

 „Wir haben zu wenige Lehrlinge und der Fachkräftemangel wird sich noch verschlimmern“, sagt Peter. Daran ist die Wirtschaft eben auch selber schuld. Nicht einmal die ÜBA wird ordentlich anerkannt. Die Abschlussquote ist hoch. Die Jugendlichen lernen neben dem Handwerk auch noch Soft Skills, wie etwa Pünktlichkeit und Ordnung. „Meiner Erfahrung nach bleiben wenige im Beruf, den sie in der ÜBA gelernt haben. Die Lehrabschlussprüfung der Überbetrieblichen Ausbildung hat nicht denselben Stellenwert. Sie hat einen schlechten Ruf, die Betriebe erkennen die ÜBA nicht an.“ Rund zehn Prozent würden übernommen werden. Wer eine „normale“ Lehre mache, bleibe auch länger im Beruf. Beinahe logisch, ist doch die Zeit, die die Jugendlichen im Betrieb verbleiben, ungleich höher als in der Überbetrieblichen.

Aber was für die ÜBA-Lehrlinge gilt, kann man schon auch auf alle umlegen. Es gibt in der Pubertät eben nicht nur jene, die sich mit dem Lernen leicht tun, Peter weiß, dass manche eben „ein Packerl zu tragen“ haben. Das Ziel müsse es sein – gerade in Mangelberufen – jene zu unterstützen, die das brauchen.

In die Zukunft junger Menschen investieren

Bei Ina hat das nicht funktioniert – und dann irgendwie doch. Sie ist keine Köchin, keine Konditorin. Aber andernorts glücklich. Nur weil man eine Berufsausbildung macht, muss man ja auch nicht in genau dem Beruf bleiben. Für Mirnes liegt es schon auch ein bisschen an jedem selbst: „Man kann sich nicht immer nur als Opfer sehen. Es hängt viel von der Reife ab, und vom sozialen Umfeld. Viele haben hier ein schlechtes Verhältnis zu Eltern und Freunden.“ 

Denise erzählt letztlich noch ein Beispiel: „Mein Bruder wollte auch in den Tourismus, der hat keine Lehrstelle gefunden, hat eine ÜBA gemacht. Das erste halbe Jahr hat er dabei nur Kaffee für die Ausbildner:innen gemacht. Die Bezahlung in der ÜBA ist eine Frechheit. Wir brauchen uns nicht wundern, wenn die Leute wegbrechen.“ All diese Dinge könnten mit einer fairen Entlohnung, dem Einhalten der gesetzlichen Vorgaben und klugem Vorgehen der Ausbildner:innen und in weiterer Folge der Betriebe durchaus abgefedert werden.

Das sieht man übrigens auch bei der Gewerkschaft so, wie Richard Tiefenbacher, Bundesjugendvorsitzender der Gewerkschaftsjugend, kommentiert: „In der heutigen Wirtschaft wird oft mehr Wert auf schnelle Gewinne als auf die Zukunft junger Menschen gelegt. Lehrlinge, die eigentlich wertvolle Mitarbeiter:innen der Zukunft sein könnten, werden oft auf ihre unmittelbare Produktivität reduziert, anstatt in ihre umfassende Ausbildung und Entwicklung zu investieren.“

Lehrlinge als „perfekte Mitarbeiter“

Dieses kurzfristige Denken schade nicht nur den Lehrlingen, die nicht ihr volles Potenzial entfalten können, sondern auch den Unternehmen: „Weil ihnen später gut ausgebildete Fachkräfte fehlen. Um das zu ändern, muss die Wirtschaft anders denken: Sie sollte weniger auf sofortige Gewinne schauen und mehr in die jungen Menschen, die zukünftigen Arbeitskräfte investieren.“

Wer den Fachkräftemangel beheben will, sollte demzufolge einmal bei sich selbst ansetzen und nicht bei den Jugendlichen. Für Denise, für die es mit der Ausbildung zur Fachkraft geklappt hat, gehe es darum, die moderne Realität anzuerkennen. „Ein Lehrberuf ist schön, aber die Rahmenbedingungen müssen schon auch passen. Wenn ich einen Lehrling gut ausbilde und wertschätze, dann habe ich innerhalb von drei, vier Jahren einen ‚perfekten Mitarbeiter'“.

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