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Ungleichheit
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Queere Angst in der Öffentlichkeit: “Bist du a Mann oder a Frau?”

Queere Angst in der Öffentlichkeit: “Bist du a Mann oder a Frau?”
Eine Straßenbahn in Graz (Foto: Victor de Dompablo/Pexels)
Queere Menschen müssen sich in der Öffentlichkeit oft dazwischen entscheiden, zu verstecken, wer sie wirklich sind, oder sich in Gefahr zu begeben. Ein Vorfall einen Tag nach dem Pride-Month hat mir das wieder deutlich vor Augen geführt.

Es ist der 1. Juli, der erste Tag nach dem Pride-Month, halb 9, in Graz. Genauer: eine Straßenbahn an der Haltestelle Kaiser-Joseph-Platz. Ich stehe direkt bei der ersten Tür, zwei Sackerl mit Gemüse und Obst vom Bauernmarkt über den Schultern. Mir ist warm. Das liegt am Sommer in Graz. Deshalb trage ich eine weite, hochsitzende schwarze Hose und ein luftiges Leinenhemd mit rosa Längsstreifen. Das wird gleich relevant.

Die Bimtür geht hinter mir zu, ich starre auf mein Handy und lese Webcomics, die Tür geht wieder auf. Ein breiter Mann steigt ein. Um die 60, gelb-oranges T-Shirt, Glatze. Er schiebt sich halb an mir vorbei – ich mache einen Schritt zurück – und er setzt sich, schnaufend, auf den Platz neben der Tür. Er regt sich über irgendetwas auf, das ich nur halb wahrnehme. Der Comic ist gerade spannend.

Ich denke mir nichts. Er soll gern sitzen. Und sich aufregen. Kann ich nachvollziehen. Dann, unvermittelt, direkt an mich gerichtet:

“Bist du a Mann? Oder a Frau?”

Er lallt leicht. Entweder noch betrunken, oder schon.

Mein Gehirn geht in Overdrive. Nicht besonders einfach. Es ist warm und früh. Schlechte Kombi. Ich sehe fünf mögliche Antworten auf seine Frage:

Erstens: Ein Mann (gelogen, aber einfach).

Zweitens: Nichtbinär (die Wahrheit, aber kompliziert und ich hab kein Bedürfnis eine morgenliche Gender-Studies-Lehrveranstaltung in der Straßenbahn zu geben).

Drittens: Eine Frau (auch gelogen und gefühlt noch schwieriger als Antwort 2).

Viertens: Ihn ignorieren (auch die Wahrheit, aber das wirkt sofort gefährlich).

Fünftens: Ihn darauf hinweisen, dass mein Geschlecht ihn nicht viel angeht und er sich doch bitte um seinen eigenen Kram kümmern solle (siehe viertens).

“Ein Mann.”

Meine – gelogene – Antwort hallt in meinen Ohren wider. Ich spüre automatisch einen Stich. Selbstinduzierte Gender-Dysphorie. Aber es war die einfache Antwort, die auf den ersten Blick so gewirkt hat, als könnte ich damit den Konflikt am besten vermeiden.

Zum Glück hab’ ich gar keine Zeit, mich mit dem Knoten zu beschäftigen, der sich in meinem Magen bildet. Er redet direkt weiter:

“Na, oder?” Er wendet sich an die anderen Fahrgäste.

“Schaut der aus wie a Mann?”

Keine Antwort von irgendjemandem.

Er deutet auf eine Person schräg hinter ihm. “Du host a Brülln auf, oder? Schaut der …”

Die Person ignoriert ihn. Ich auch. Versuche es zumindest. Es wird immer augenscheinlicher, dass er betrunken ist. Er schaut mich eindringlich an, wie mir aus dem Augenwinkel auffällt und wendet sich an die alte Dame auf der anderen Seite des Gangs.

“Wie kann man sich so anziehen?”

Ich erinnere: Weite, schwarze Hose (Damenabteilung), luftiges Hemd mit rosa Längsstreifen (Herrenabteilung). Außerdem noch meine schulterlangen Haare mit Sidecut und rote Converse. Ich schaue so queer aus, wie ich bin. Meinem Selbsterhaltungstrieb zum Trotz antworte ich: “Es ist wahnsinnig bequem.”

Er schaut verwirrt zu mir hoch. “Hä?” Offensichtlich hat er meine Antwort weder erwartet, noch gehört. Kein Wunder, er hat schließlich nicht mit mir geredet, sondern mit ihr über mich.

Ich wiederhole:

“Es ist kühl und sehr bequem.”

Er wiederholt meine Antwort für sich selbst. Ich gehe wieder dazu über, ihn aktiv zu ignorieren. Ich will hier einfach nur weg und zum Glück wird mein Wunsch Augenblicke später erfüllt, als wir die nächste Haltestelle erreichen. Er ist jetzt auch wieder von mir abgelenkt, weil die Bim wegen der sommerlichen Baustellen eine andere Route fährt. Damit hat er etwas Neues gefunden, um sich zu beschweren und direkt nach mir steigt auch er aus und wackelt angetrunken von dannen.

Gender Outlaws

Draußen, in der Hitze am Jakominiplatz warte ich auf meinen Anschlussbus. Ich bin mir sicher, er hat schon wieder darauf vergessen, aber der Moment bleibt in meinem Kopf hängen. Hallt wider. Seine Frage, sein Kommentar auf meinen Kleidungsstil. Mir werden ein paar Dinge bewusst:

Erstens war es egal, welche Antwort ich ihm gegeben hätte. Er hätte sowieso weiter gelästert. Er hat mich als Mann heruntergestuft. Als Frau wäre es genauso passiert. Wäre ich ehrlich gewesen, hätte er wahrscheinlich gegen alle Trans-Personen gelästert und hätte ich gar nichts gesagt, hätte er wieder und wieder gefragt.

Zweitens: Das hätte wesentlich schlimmer ausgehen können. Drittens: Ich bin nicht allein mit dieser Geschichte.

Wie ich da auf den Bus warte, erinnere ich mich an eine Stelle aus dem Buch “Gender Outlaw” von Kate Bornstein  (selbst trans-nichtbinär):

„Ich war am Weg zu einer Arztpraxis auf der Upper East Side. Es war Rush Hour, die Zugstation war gesteckt voll. Eine größere Gruppe von Leuten versuchte einen alten Mann zu meiden, der in der Mitte eines Gangs stand. Ich hörte seine Stimme im Voraus, über den Lärm der Menge hinweg.

„Mein Herr, haben Sie 25 Cent, bitte?“ Oder: „Fräulein, haben sie einen Vierteldollar?“

Ich griff nach meiner Tasche, in der Kleingeld war, als die Bewegung der Menge mich von Angesicht an Angesicht zu ihm brachte.

Er war sehr schmutzig, stank nach Urin und Wein. Er schaute mich direkt an. „Fräulein?“, sagte er. „Herr?“, sagte er. „Sag einmal, was zum Teufel bist du?“, sagte er. Und er begann zu lachen.

Er lachte. Und er lachte. Er lachte einfach. Die Menge trug mich weiter den Gang hinunter, aber ich hörte ihn immer noch lachen.“ (Übersetzung aus dem Englischen durch MOMENT.at)

Ich weiß: Kate und ich sind bei weitem nicht die einzigen Gender-Outlaws da draußen. Und sehr oft passieren noch schlimmere Dinge.  Man denke nur an die Geschichte aus diesem März, dass Neonazis queere Männer schwer körperlich misshandelt, ausgeraubt und gedemütigt haben.

Gewalt, Übergriffe, Beleidigungen

Das deutsche Bundeskriminalamt hat 2023 insgesamt 1.785 Straftaten im Bereich Hasskriminalität gegen queere Personen registriert. Und das sind nur die Straftaten, die tatsächlich angezeigt wurden. Die gleiche Quelle sagt nämlich auch: Queere Personen sind “einem besonders hohen Gewaltrisiko ausgesetzt. Das trifft insbesondere auf Transgender-Personen zu. Die meisten Straftaten werden mutmaßlich nicht angezeigt.”

Das sind Zahlen aus Deutschland. In Österreich werden Zahlen dazu statistisch nicht erfasst, wie auch die Verbrechensopferhilfe beklagt. Ein Blick auf gewaltinfo.at, einer Plattform des Bundeskanzleramtes, zeigt für ganz Europa aber ein ähnliches Bild. Eine Umfrage aus 2020 zeigt:

  • 11% der LBTQIA+-Personen in der EU wurden in den vergangenen fünf Jahren körperlich oder sexuell angegriffen. Unter Trans-Personen sind es 17%. Unter Intersex-Personen 22%. Davon wurde nur ein Fünftel irgendwo gemeldet.
  • 38% der Befragten wurde wegen ihres Status belästigt. Bei jüngeren (15-17 Jahre) sind es noch mehr (47%).
  • Die Hälfte der Trans-Personen in der Umfrage (48 %) wurden belästigt.

In anderen Worten: Als Trans-Person in der jüngeren Vergangenheit verbal belästigt worden zu sein, ist die traurige Norm. Es betrifft immerhin knapp die Hälfte. 

Mehr Vorfälle

Verbale Gewalt ist schlimm genug, aber praktisch der “glimpfliche” Ausgang. Auch ohne die Statistiken weiß ich, dass ich selbst im öffentlichen Raum, umgeben von Menschen, nicht sicher sind. Ich hab schon genug davon erlebt. Noch zwei Beispiele:

Erstens: Junge Männer, die sich mit einer Straßenbahntür zwischen uns bei meinem Anblick auf den Hintern schlagen. Sie machen obszöne Gesten in meine Richtung. Ich ignoriere sie.

Zweitens: Eine Gruppe junge Männer redet mich und meine Partnerin ungut in der Straßenbahn an. Ich reagiere wütend. Strecke ihnen den Finger entgegen. Sie verfolgen uns die Straße runter, nachdem wir die Bim verlassen haben. Verlangen eine Entschuldigung von mir. Ich gebe sie.

In keinem der Fälle ist mehr passiert. Mir ist danach übel. Ich überdenke meine Kleidung, meine Reaktionen, mein Gebaren. In allen Fällen war es helllichter Tag. Im öffentlichen Raum. Umgeben von anderen Menschen.

Wenigstens habe ich ihn verwirrt

Nun so kurz nach dem Pride-Monat also wieder. Ein paar Minuten später kommt mein Anschlussbus. Von dem alten Mann in dem gelb-orangen Shirt mit der lallenden Stimme ist am Jakominiplatz nichts mehr zu sehen. Ich steige ein, platziere mich mit meinen Säcken voller Obst und Gemüse in irgendeiner Ecke und zücke wieder mein Handy.

Ich nehme den Webcomic wieder an der spannenden Stelle auf und tue mein Bestes, die Hitze zu ignorieren. Der Moment bleibt aber in meinem Kopf. Hallt wider. Und ich denke mir in einem kurzen Anflug von Gender Euphorie – dem klaren Gegenteil der Dysphorie, die ich gespürt habe, als ich ihn angelogen habe:

“Wenigstens verwirre ich Leute mit meinem Geschlecht.” Das können sie mir auch am 1. Juli nicht nehmen.

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