EU-Schlusslicht Österreich: Väter pfeifen auf die Karenz – zulasten der Mütter
Väterkarenz, was ist das denn? Sich zumindest für kurze Zeit ausschließlich um sein Kind kümmern: Das ist in Österreich den allermeisten Vätern gänzlich unbekannt. Bei nur 16 von 100 geborenen Kindern geht hierzulande auch der Vater in Karenz. Österreich ist damit EU-weites Schlusslicht. Nirgendwo sonst gehen so wenige Väter auch nur einen einzigen Tag in Karenz und beziehen dafür Leistungen.
Nur ein paar Kilometer weiter südlich, im Nachbarland Slowenien, beteiligen sich 90 Prozent der Väter an der Karenz. In Luxemburg und den Niederlanden bringen sie sich noch stärker ein. Selbst in Italien, das EU-weit nur auf dem drittletzten Platz landet, ist die Väterbeteiligung noch immer doppelt so hoch wie hier. In Österreich sind nur 3,6 Prozent der Bezieher:innen von Karenzgeld männlich. Das ermittelte das Momentum Institut in einem Ländervergleich.
Nicht mehr, sondern immer weniger Väter gehen in Karenz
Und: Die ohnehin geringe Väterbeteiligung bei der Karenz ging in den vergangenen Jahren noch zurück. Im Jahr 2017 bezogen mehr als 15.000 Männer Kinderbetreuungsgeld. 2021 waren es nur mehr rund 11.700. So steht es im Wiedereinstiegsmonitoring 2024, das die Arbeiterkammer in dieser Woche präsentiert hat.
Für Mütter in Österreich ist es das Normalste, das Erwartete und bisweilen Verlangte, in Karenz zu gehen. Mit Folgen: Mütter verlieren damit Einkommen in der Zukunft. Ihnen gelingt es schlechter, wieder in den Beruf einzusteigen. Sie arbeiten nach der Karenz weniger, und das oft nicht freiwillig.
Fehlende Väterkarenz: Alte Rollenbilder verfestigen sich
Dazu kommt: Je mehr Karenzzeit die Mütter übernehmen und die Väter sich herausnehmen, desto eher verfestigt sich das alte Rollenbild. Und das wirkt viele Jahre nach. Es sind dann auch nach der Karenz vor allem die Mütter, die sich hauptsächlich um Kinder, Familienleben und Haushalt kümmern. Geht hingegen der Vater in Karenz, bringt er sich auch später viel mehr ein.
Ich, der Verfasser dieses Artikels, komme gerade frisch aus einer viermonatigen Karenz mit meinem zweitgeborenen Buben. Diese bereits zweite Väterkarenz war eine nicht mehr zu nehmende und nicht nachzuholende Erfahrung. Und eine Zeit, die gleichermaßen Genuss und Verpflichtung war. Doch mit Blick auf die aktuellen Zahlen muss ich feststellen: Ich bin eine Ausnahme und Randerscheinung.
„Es ist wieder salonfähiger geworden zu sagen: Das interessiert mich nicht, ich gehe nicht in Karenz.“
Woran liegt das? Wollen oder können nur so wenige Väter in Österreich in Karenz gehen? Und warum machten das zuletzt sogar noch weniger Männer? „In den vergangenen Jahren gab es eine Art Backlash, eine Gegenreaktion“, sagt Nadja Bergmann zu MOMENT.at. „Es ist wieder salonfähiger geworden zu sagen: Das interessiert mich nicht, ich gehe nicht in Karenz.“ Bergmann ist Soziologin bei L&R Sozialforschung. Das Institut erarbeitet regelmäßig gemeinsam mit der AK das Wiedereinstiegsmonitoring.
„Das ist ein neuer Konservatismus und Teil eines gesamtgesellschaftlichen Trends“, sagt sie zum Befund, dass weniger statt mehr Väter in Karenz gehen. „Die traditionelle Aufgabenteilung in der Familie erlebt einen Aufschwung.“
Vor einiger Zeit hätten sich Väter noch viel stärker rechtfertigen müssen, wenn sie nicht in Karenz oder Papamonat gehen. Was helfen könnte? “Wenn vonseiten der Politik Personen auftreten und Väter unterstützen, die in Karenz gehen wollen”, sagt Bergmann.
Ohne Väterkarenz öffnet sich Einkommensschere weiter
Ein weiterer Grund, warum viele Väter nicht in Karenz gehen, steht unter dem Strich am Lohnzettel. Es ist das Geld, auf das Eltern verzichten, wenn sie in Karenz gehen. 80 Prozent des Letztgehalts vor der Geburt gibt es beim einkommensorientierten Kinderbetreuungsgeld. Höchstens jedoch 2.000 Euro. In vielen Fällen verdient der Vater noch immer mehr als die Mutter. Besonders Familien, die aufs Geld schauen müssen, sagen dann eher: Papa arbeitet voll weiter.
Das Argument des fehlenden Einkommens sei aber nur kurzfristig relevant, sagt Bergmann. Wird die Karenz geteilt, „sollte sich der kurzfristige Verlust in der Zukunft ausgleichen, weil die Frau dann mehr verdient“. Gehen Mütter weniger lang in Karenz, gelingt es ihnen leichter, wieder in den Job einzusteigen. Teilen sich Vater und Mutter auch später die Familienarbeit auf, müssen Frauen nicht gezwungenermaßen weniger arbeiten.
Berufliche Nachteile wegen der Karenz sind für Mütter normal, für Väter außergewöhnlich.
Geht nur die Mutter in Karenz, verliert sie hingegen an Einkommen. Das führt dann in späteren Jahren dazu, dass der Gender Pay Gap – die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen – innerhalb der Familien noch weiter aufgeht.
„Das Argument des fehlenden Einkommens, sollte eigentlich keines sein“, sagt Nadja Bergmann. Es sei aber eben doch eines für Familien mit geringem Einkommen. Sie könnten es nicht mal eben ausgleichen, wenn monatelang weniger Geld da ist.
Geht es nach den Zahlen, erleiden Männer auch nach ihrer Karenz keine Nachteile. Ihre Einkommen steigen nach der Auszeit. Längerfristig wirkt sich eine Karenz für sie auf dem Lohnzettel kaum aus, heißt es in der Studie. Aber: „In Karenz gehen eher die Väter, die wissen, dass sie dadurch später keine Nachteile in der Firma haben werden“, sagt Bergmann. Wer fürchtet, die Karriere könnte stocken, wenn er in Karenz geht, der beansprucht sie oft erst gar nicht. Die Nachteile haben dann die Mütter. Noch immer gilt: Berufliche Nachteile wegen der Karenz sind für Mütter normal, für Väter außergewöhnlich.
Doch es geht nicht nur ums Geld. Auch abseits davon fällt es vielen Vätern schwer, was eigentlich leicht sein sollte. Väter haben ebenso wie Mütter einen Rechtsanspruch auf Karenz. Doch: „In Beratungen zeigt sich: Viele Männer zweifeln, ob sie das rechtlich durchsetzen können“, sagt Bergmann.
Noch immer wird oft belächelt, wenn Väter sich um Kinderbetreuung, Haushalt und Co. kümmern statt nur um die Karriere. Unternehmensführungen, die mit den Augen rollen, wenn ein Mitarbeiter eine Auszeit für sein Kind nehmen möchte? Die gebe es noch immer, sagt Bergmann. „Wer Gegenwind von seiner Firma fürchtet, der zieht seine Forderung nach Karenz eher zurück.” Und: Ein Grund für die so niedrige Väterbeteiligung sei auch “die Nicht-Normalität von Vätern, die in Karenz gehen”, sagt Bergmann.
Wer nicht in Karenz geht, verpasst viel
Dabei gibt es mit einer Karenz viel mehr zu gewinnen als die nächste Gehaltsstufe oder eine Beförderung. In den vier Monaten, in denen ich ausschließlich für meine Buben da war, konnte ich Tag für Tag spüren, wie sehr unsere Bindung zueinander wuchs. Ich konnte Momente mit ihnen erleben, die ich verpasse, wenn ich stattdessen woanders bin. Wackelige Videos auf dem Smartphone sind dafür kein Ersatz. Und ganz vielleicht konnte auch ich ihnen einiges zeigen, was sie beeindruckt und positiv geprägt hat.