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Arbeitswelt

Im Schlachthof: Das System Fleischwirtschaft und sein Geheimnis

Wegen der Häufungen von Corona-Fällen an Schlachthöfen sind die Arbeitsbedingungen in der Branche in den Fokus geraten. Die Rede ist dort von Subunternehmen, die ihre ArbeiterInnen aus Osteuropa schlecht bezahlten und schlechter behandeln.
Österreich ist das Land des Fleisches. Mehr als 90 Millionen Hühner, 5 Millionen Schweine und 600.000 Rinder werden hierzulande jedes Jahr geschlachtet. Aber welchen Bedingungen herrschen im Schlachthof?

Wegen der Häufungen von Corona-Fällen an deutschen Schlachthöfen sind die Arbeitsbedingungen in der Branche in den Fokus geraten. Dort bezahlen Subunternehmen ihre ArbeiterInnen aus Osteuropa schlecht und behandeln sie noch schlechter. Die deutsche Regierung kündigte deswegen an, Subunternehmertum an großen Schlachthöfen zu verbieten.

Und in Österreich?

Werkvertrag – was ist das nochmal?

Zuerst müssen wir ein paar Begriffe klären. Subunternehmen sind Unternehmen, die ihre Arbeit auf Basis eines Werkvertrages verrichten.

Stell dir vor, du gibst bei einem Tischler einen Sessel in Auftrag. Ihr macht euch aus, wie er aussehen soll, wie viel er kosten wird und bis wann er fertig sein soll. Hier ist die Sache klar, du willst ja nur einen Sessel und der wird in der Tischlerei gezimmert. Wie der Tischler das macht und welche Mitarbeiterin mithilft, das kann dir egal sein.

Der Unterschied zwischen Tisch und Rind

Am Schlachthof ist es ein wenig komplizierter. Das Werk, das dir ein Subunternehmer schuldet, können zum Beispiel 10.000 halbierte Rinder sein. Ihr macht aus, dass er dafür ein Jahr Zeit hat. Der Subunternehmer muss seine eigenen Betriebsmittel verwenden. Er mietet sich also bei dir ein und schickt seine MitarbeiterInnen zu deinem Schlachthof. Er mietet außerdem die Werkzeuge von dir, mit denen seine MitarbeiterInnen die Tiere zerlegen.

Du musst dir keine Gedanken über Krankenstände, Überstunden, Arbeitsunfälle oder Boni machen. Der Subunternehmer haftet dafür, dass die Arbeit wie ausgemacht erledigt wird. Das gilt als Werkvertrag – auch wenn deine eigenen MitarbeiterInnen nur ein paar Meter entfernt die gleiche Arbeit erledigen.

Und was ist mit Leiharbeit?

Verstanden? Sehr gut. Jetzt bringen wir nämlich noch Leiharbeit ins Spiel. Dein Schlachthof hat viel zu tun. Die Grillsaison fängt an und du bekommst viele Aufträge. Du schaffst das mit deinen MitarbeiterInnen nicht, möchtest aber keine neuen einstellen, weil du weißt, dass sich die Lage in ein paar Wochen wieder beruhigt. Deswegen engagierst du LeiharbeiterInnen, die bei dir im Betrieb eingegliedert werden, solange du sie brauchst. Du bist für sie verantwortlich und sie müssen deinen fixen MitarbeiterInnen gleichgestellt sein. Der Einsatz von LeiharbeiterInnen bei Auftragsspitzen kann sinnvoll sein und ist in Österreich theoretisch gut geregelt.

Mehr zur Leiharbeit im Gesetz und in der Praxis kannst du hier nachlesen.

Bei Werkverträgen, also Subunternehmen, ist das anders. Denn MitarbeiterInnen, die bei einem Subunternehmen angestellt sind, haben nicht die gleichen Rechte – auch wenn sie monatelang im Betrieb arbeiten. Dass das in der Fleischwirtschaft zum Großteil Menschen sind, die nicht aus Österreich kommen und wenig Deutsch sprechen, sind sie oft einfach auszubeuten.

Leichte Ausbeute im Schlachthof

Vor allem ArbeitnehmerInnen aus Ungarn arbeiten oft auf Schlachthöfen und in der Fleischzerlegung. Sie sind teils bei ungarischen Firmen angestellt und werden für Wochen oder Monate nach Österreich geschickt. Nach der Rechtslage müssen sie nach dem österreichischen Kollektivvertrag entlohnt werden. Garantieren kann das aber niemand, wie die Professorin für Arbeitsrecht Michaela Windisch-Graetz erklärt: „Ungarische Werkunternehmer können viel billiger anbieten als österreichische. Die österreichische Finanzpolizei hat kaum Möglichkeiten, Verwaltungsstrafen einzutreiben, falls die Lohnstandards nicht eingehalten werden. Sogar falls die ArbeitnehmerInnen wissen, dass ihnen mehr zusteht, wehren sie sich vielleicht nicht, weil sie trotzdem noch mehr verdienen als zu Hause.“

Antworten und Stille

Wie oft Subunternehmen in der Fleischwirtschaft eingesetzt werden, daran können wir uns nur annähern. MOMENT hat die zwölf größten Schlachtbetriebe gefragt, ob sie externe Unternehmen für das Schlachten oder die Fleischzerlegung engagieren. Sieben davon haben geantwortet und versichern, dass sie keine Subunternehmen beschäftigen. Fritz Dachsberger vom gleichnamigen Schlachtbetrieb in Niederösterreich spricht sich sogar für ein Verbot von Werkverträgen auf großen Schlachthöfen aus: „Lohndumping und die sich dadurch ergebende Wettbewerbsverzerrung sollte endlich ein Ende haben.“

Die restlichen fünf Betriebe waren auch auf mehrmalige Nachfragen zu keinem Statement bereit. Dank einer dringlichen Anfrage im Salzburger Landtag (PDF) wissen wir, dass zumindest einer von ihnen Subunternehmen beschäftigt. Die Firma Alpenrind betreibt einen Schlachthof im Salzburger Bergheim. Dort arbeiten 130 fix angestellte MitarbeiterInnen. Weitere 200 sind auf Werkvertragsbasis im Schlachthof tätig. 70 Prozent von ihnen kommen aus Ungarn.

Strengere Regeln für österreichische Subunternehmen

Laut Bericht des ORF wird zumindest ein Subunternehmen beschäftigt – nämlich die P.DI. Da es aus Österreich kommt, ist zumindest die Kontrolle heimischer Behörden gewährleistet. Geschäftsführer der P.DI ist Jürgen Isemann. Er führt noch die Geschäfte zweier weiterer Personaldienstleister in Österreich. Isemann versichert MOMENT, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten würden. Wer neben Alpenrind seine anderen Auftraggeber sind, beantwortet er nicht.

Laut Windisch-Graetz ergibt sich allerdings ein anderes Problem. Denn für österreichische Unternehmern gelten strengere Regeln: „Laut Gesetz liegt schon dann Leiharbeit vor, wenn ArbeitnehmerInnen ein Werk herstellen, dass nicht zu unterscheiden ist von den Produkten, die der Schlachthof sonst herstellt. Wenn auf der einen Seite Rinder halbiert und auf der anderen Seite weiter zerlegt werden, spricht die Rechtssprechung eher nicht für ein unterscheidbares Werk.“

Schwierige Abgrenzung

Dass diese Abgrenzung ganz schön schwierig ist, weiß auch Gewerkschafter Daniel Mühlberger: „Wir haben da immer wieder Streitfälle, bei denen unserer Meinung nach Leiharbeit vorliegt. Wir wünschen uns eine starke und klare Abgrenzung.“

Ausländische Unternehmen haben mehr Spielraum, sie unterliegen der europäischen Dienstleistungsfreiheit, die bei Werkvertragskonstruktionen großzügiger ist. Windisch-Graetz bezweifelt deswegen auch, dass Deutschland diese Subunternehmen so einfach verbieten kann. „Der nationale Gesetzgeber kann da wahrscheinlich nichts machen“, sagt sie, „Wichtig ist deswegen, dass wir die Möglichkeiten zur Kontrolle und Bestrafung durch die örtlichen Behörden verstärken.“

Du hast an einem Schlachthof oder in der Fleischzerlegung gearbeitet oder arbeitest dort noch und möchtest uns von deinen Erfahrungen berichten? Wir freuen uns, wenn du dich meldest! Gleich über das Formular oder unter: lisa.woelfl(at)moment.at

 

Die Autorin bedankt sich bei Erwin Kinslecher, Bernhard Höfler und Johann Kaufmann und folgenden Betrieben, die bei der Recherche behilflich waren: Grandits, Marcher Fleischwerke, Steirerfleisch, Fleischhof Raabtal, Dachsberger, Titz und Wech Geflügel.

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