print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Arbeitswelt

Leiharbeit: Vor dem Gesetz gleich, in der Praxis nicht

Zwei Arbeiter:innen auf einem Gerüst, im Hintergrund ein orange gefärbter Himmel
Seit Jahrzehnten werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für Leiharbeit immer besser. Mittlerweile sind LeiharbeiterInnen der Stammbelegeschaft in vielen wichtigen Punkten gleichgestellt. Doch in der Praxis sieht es leider immer noch anders aus.
 
20 Jahre ist es her, dass Paula (Name geändert) zum ersten Mal einen Job für Leiharbeit annahm. Nach der Geburt ihrer zweiten Tochter suchte die diplomierte Krankenpflegerin eine geringfügige Arbeit, um während der Karenz etwas dazuzuverdienen. „Es war furchtbar“, sagt Paula heute. „Ich bin immer kurzfristig eingesprungen, wenn es Personalnotstand gab. Wir Poolschwestern hatten andere Kleidung, es war uns also anzusehen, dass wir nicht dazugehören. Die Stammbelegschaft war uns gegenüber eher feindlich eingestellt. Sie dachten, dass wir viel mehr verdienen. Dabei war es umgekehrt“, erzählt sie.
 

Kostet mehr, verdient weniger

Als sogenannte „Poolschwester“ kostete sie dem Betrieb zwar mehr, verdiente allerdings gleichzeitig viel weniger als die Festangestellten. Die Differenz strich die Leihfirma ein. Erst am Ende ihrer Tätigkeit für die Leihfirma wurde ihr bewusst, dass sie mit ihrer Arbeit quasi einen Schreibtischplatz mitfinanzierte. Sie blieb nicht lang.

Bevor die Rahmenbedingungen für Leiharbeit, also Arbeitskräfteüberlassung, 1988 in ein Gesetz gegossen wurden, herrschten offensichtliche Missstände. Die Arbeitskräfte wurden mitunter nur bezahlt, wenn sie Arbeit bekamen und mussten teilweise unbezahlt auf Abruf bereitstehen. Gewerkschaften pochten damals auf ein Verbot von Leiharbeit. In den späten 80ern einigten sich die Sozialpartner dann auf das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (PDF, S. 42).

„Am Anfang habe ich alles hingenommen“

Seitdem ist viel passiert. 2002 schlossen sie einen eigenen Kollektivvertrag für LeiharbeiterInnen ab. Die wichtigste Gesetzesnovelle trat 2013 Jahren in Kraft. Seit sieben Jahren gilt ein Gleichbehandlungsgebot zwischen LeiharbeiterInnen und Stammbelegschaft. Das gilt für die Kantinenpreise ebenso wie für den Zugang zur betriebseigenen Kinderbetreuung und einem Gehalt, dass der Branche entspricht. Die Vertretungen der ArbeitnehmerInnen wollte damit verhindern, dass Leiharbeit normale Dienstverhältnisse verdrängt. LeiharbeiterInnen sollten den ArbeitgeberInnen nicht billiger kommen (PDF, ab S. 47).

So viel zur Theorie. In der Praxis sieht das zumindest teilweise immer noch anders aus. Johann ist 31 Jahre alt und hat vor rund zehn Jahre mit der Leiharbeit begonnen. „Am Anfang habe ich alles hingenommen. Ich habe darauf vertraut, dass alles korrekt abläuft“, sagt Johann.

Harte Arbeit ohne Zulagen

Als Elektriker arbeitete er im Bergwerk, in Asbest-verseuchten Gebäuden und auf der Baustelle. „Als Leiharbeiter bekomme ich so gut wie immer die schlimmsten Aufgaben.“ Johann muss heben und stemmen, während die regulär Beschäftigten leichtere Arbeiten erledigen, sagt er. Immer wieder erfuhr er von KollegInnen im Beschäftigerbetrieb, dass ihm eigentlich Zulagen zustünden, dass sie mehr verdienten als er. „Mittlerweile lasse ich mir das nicht mehr gefallen und fordere die Zuschläge ein.“ Bisher allerdings ohne Erfolg. Der Beschäftiger sagt, dass muss die Leihfirma regeln und diese sagt wiederum, dass er sich das mit dem Chef vor Ort ausmachen muss. Eine Leiharbeitsfirma meldete ihn während eines Krankenstands ab. Ohne es zu wissen, war Johann wochenlang nicht krankenversichert. Vom Gleichbehandlungsgebot, das 2013 in Kraft trat, hat er nichts mitbekommen.

Jahrelang ausgeliehen

Anders war das bei Paula. Bei ihrem ersten Leiharbeitsjob blieb sie zwar nicht lang, nahm aber vor sechs Jahren wieder einen an. „Diesmal hatte ich die gleiche Arbeitskleidung, die gleichen Rechte, der Betriebsrat war auch für mich da und ich konnte in Krankenstand gehen, ohne Angst vor Kündigung.“ Vollkommen gleichgestellt war sie allerdings auch dieses Mal nicht. „Irgendwann habe ich herausgefunden, dass meine KollegInnen jährlich eine deutlich höhere Prämie ausgezahlt bekamen: 890 statt 120 Euro.“ Das war in guten Jahren. Später musste Paula dabei zusehen, wie eine große Kündigungswelle als erste die LeiharbeiterInnen traf, die bis zu 15 Jahre lang für den Betrieb gearbeitet hatten. Für diejenigen aus der Stammbelegschaft, die ihren Job verloren, gab es einen Sozialplan. Jahrelang versprach Paulas Arbeitgeber, er würde sie bald fix übernehmen. Passiert ist das nie. Vor einem Jahr verließ sie den Betrieb.

Leiharbeit ist eigentlich dafür gedacht, unerwartete Spitzen abzudecken. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass LeiharbeiterInnen über Jahre in den Betrieben arbeiten, denen sie überlassen werden. In Österreich gibt es nämlich keine maximale Überlassungsdauer bei Leiharbeit. Deutschland hat hingegen vor drei Jahren die maximale Dauer auf 18 Monate beschränkt.

Einfach beim Betriebsrat sparen

LeiharbeiterInnen wie Paula kommen den Betrieben teilweise sogar teurer als regulär Angestellte. Die Unternehmen leisten sich die Arbeitskräfte dennoch. Einerseits müssen sie mit weniger Widerstand rechnen, wenn die Überlassung beendet wird, als wenn sie StammmitarbeiterInnen kündigen würden. Auf der Seite der oberösterreichischen Fachgruppe der Arbeitskräfteüberlasser steht als weiterer Vorteil für Unternehmen: „Ersparnis eines Betriebsrats“.

Als Johann während der Corona-Krise auf einer Baustelle eingesetzt wurde, fiel ihm gleich auf, dass es unmöglich war, den Mindestabstand einzuhalten. Er fragte also seinen Chef bei der Leiharbeitsfirma nach einer Gefahrenzulage und war seinen Job auch schon wieder los.

Tickende Zeitbombe

Paula hatte Glück: „Meine Leiharbeitsfirma ist Teil der Stiftung der Voest Alpine, über die ich ein Studium finanziert bekomme. Jetzt bin ich also 50 Jahre alt und darf noch einmal an die Uni.“ Auch wenn sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen verbessert haben, Paula würde niemandem Leiharbeit empfehlen. „Das ist eine tickende Zeitbombe, du hast nie Sicherheit und wenn etwas schiefläuft, bist du die erste, die gehen muss.“ Auch Johann hat mittlerweile genug: „Ich versuche, von der Leiharbeit und den Baustellen wegzukommen.“

 
 

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!