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Demokratie

Wieso die Ostumfahrung einen Keil mitten durch Wiener Neustadt treibt

Wieso die Ostumfahrung einen Keil mitten durch Wiener Neustadt treibt
Straße statt Acker: Hier soll die umstrittene "Ostumfahrung" entstehen. Foto: Johanna Brodträger
2022 soll in Wiener Neustadt ein Projekt aus den 1950ern umgesetzt werden: die Ostumfahrung. Dabei gibt es in der Bevölkerung starken Widerspruch. Ergibt es Sinn, ein Problem von heute mit einer Idee aus dem letzten Jahrhundert zu lösen?

Im Osten von Wiener Neustadt – an der Grenze zu Lichtenwörth – liegen einige Hektar freie Ackerfläche, umgeben von Häusersiedlungen. Hier soll es entstehen, das umstrittene Projekt. Es ist eine etwa fünf Kilometer lange und 50 Meter breite Umfahrung. Sie soll den Verkehrsring um die Stadt schließen. Die Idee der sogenannten Ostumfahrung gibt es schon seit den 1950er Jahren. Das Hauptargument für den Bau war stets: weniger Verkehr in der Stadt. Dafür würden dann gut 14.200 Fahrzeuge pro Tag quer durch das Naherholungsgebiet rollen.
 
Hinter dem Streit um die Straße steckt die Frage, welchen Weg die zweitgrößte Stadt Niederösterreichs in der Verkehrsplanung einschlagen will. Wiener Neustadt könnte weiterbauen wie bisher. 40 Prozent der 6100 Hektar großen Gemeine sind verbaut. Mit der Umfahrung wären es wieder 20 Hektar mehr. Wiener Neustadt könnte bei diesem Trend noch vor 2050 die erste komplett zubetonierte Stadt Österreichs werden.

Der Bau der Ostumfahrung könnte abgeblasen werden, das Budget von etwa 40 Millionen Euro könnten Stadt und Land in tatsächlich nachhaltige Verkehrskonzepte investieren. Das ist zumindest der explizite Wunsch von gleich drei Bürgerinitiativen, die das Projekt verhindern wollen.

Wird der Verkehr durch Ostumfahrung überhaupt weniger?

Schon das zentrale Versprechen der Ostumfahrung ist umstritten. Dass Umfahrungen mehr Verkehr anziehen als verhindern, da sind sich viele ExpertInnen in der Verkehrsplanung einig. Untersuchungen in Wiener Neustadt sagen voraus, dass ohne eine neue Richtung in der Verkehrspolitik auch der Verkehr auf den beiden wichtigen Straßen zunehmen wird, die die Umfahrung eigentlich entlasten soll. Denn die Stadt wächst.

Der Wiener Neustädter Stadtrat für Stadtentwicklung, Infrastruktur und Mobilität Franz Dinhobl (ÖVP) meint: “Wenn wir die Straße zurückbauen, wird auch die Frequenz zurückgehen.” Das gehe aber nur mit einer Ausweichroute: der Ostumfahrung.

Die Ostumfahrung ist die einzige Maßnahme, die derzeit geplant ist, um den Verkehr zu beruhigen. Die Stadtregierung, die sich aus ÖVP, SPÖ und FPÖ zusammensetzt, die SPÖ Lichtenwörth und die Bürgerinitiative “Pro Ostumfahrung” engagieren sich deshalb für den Bau.

Sie krachen dabei mit nicht wenigen der gut 50.000 EinwohnerInnen der Stadt aneinander. Die Bürgerinitiativen “Ostumfahrung – so nicht!” und “L.A.M.A.” haben Beschwerde gegen die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) eingebracht. Es kam dadurch zwar zu ein paar zusätzlichen Auflagen, ansonsten fühlen sich die Bürgerinitiativen aber übergangen. Jetzt wollen sie vor den Verfassungsgerichtshof ziehen.

Bürgermeister gegen Bürgerinitiativen, Versiegelung gegen Naturschutz

„Ich glaube, dass viele Politiker das ganze Projekt in dieser Dimension nicht ganz durchdacht haben“, sagt Karl Linauer, ehemaliger Großbäcker und langjähriger Obmann des Wiener Neustädter Unternehmervereins. Er engagiert sich seit einem Jahr bei einer dritten Initiative. Der überparteilichen Gruppe “Vernunft statt Ostumfahrung”, die bereits über 3.200 Unterschriften gegen den Straßenbau gesammelt hat.

Alleine die Bezeichnung “Umfahrung” hält Linauer für irreführend: „Wiener Neustadt hat kein Durchzugsproblem, sondern ein Einpendelproblem.“ Man wisse das aus der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Ostumfahrung scheint wortwörtlich das Problem zu umfahren.

Mittlerweile geht es aber auch um mehr als das Für und Wider des Baus einer einfachen Ortsstraße. „Ich sehe eine unglaubliche Chance darin, von der Betonhauptstadt zum Nachhaltigkeitsvorreiter zu werden”, erklärt Linauer, der ehrenamtlich auch lange im Wiener Neustädter Stadtmarketing tätig war.

In der Stadtpolitik von Wiener Neustadt sind nur die Grünen dagegen

Die Straße nicht zu bauen, scheint für die Wiener Neustädter Politik aber keine Option zu sein. Die Grünen sind die einzige Partei, die sich gegen das Projekt stellen.
 
Die grüne Stadträtin und Initiatorin der Bürgerinitiative “L.A.M.A” Tanja Windbüchler-Souschill vermutet hinter dem Bau der Ostumfahrung eine Wahlkampfstrategie: „Die ÖVP Niederösterreich glaubt, jedes Infrastrukturprojekt, das umgesetzt wird, bringt Stimmen.“ Die neue Straße würde um die Zeit der nächsten Gemeinderatswahl eröffnet und die Innenstadt kurzfristig entlasten. Somit hätte Bürgermeister Klaus Schneeberger (ÖVP) ein Vorzeigeprojekt.
 
Dessen Parteikollege Franz Dinhobl entgegnet diesen Vorwürfen kühl: „Seit 1972 ist diese Ostumfahrung im Flächenwidmungsplan der Stadt drinnen. Jetzt zu sagen, es stecke ein politisches Kalkül dahinter – dafür gibt es dieses Projekt schon zu lange.“

Zwist in der SPÖ

Ähnlich gespalten ist die Situation in der Nachbargemeinde Lichtenwörth, durch die ein Teil der Trasse verlaufen soll. Lokalpolitiker Daniel Hemmer hat sich gegen den Bau ausgesprochen. Im Jänner wurde er deshalb seines Amtes als Umweltgemeinderat enthoben und aus der örtlichen SPÖ ausgeschlossen. Weil er gegen die Parteilinie gehandelt habe, als er das Projekt bekämpfte. „Es ist Recht und Pflicht eines Umweltgemeinderates, gegen so ein Projekt kritisch aufzutreten“, erklärt der Sozialdemokrat, der nun als wilder Mandatar im Gemeinderat sitzt.
 
Hemmer ist nicht nur als Politiker betroffen, er lebt selbst unweit der noch nicht gebauten Straße, einige der betroffenen Äcker gehören seiner Familie: “Es sind unsere besten Felder.” Gerne gebe man die ertragreichen Schwarzerdeböden nicht her. Was den hauptberuflichen Imker und Wildbienenzüchter besonders entsetzt, ist das dauernde Gerede einer “Trendwende” im Klimaschutz, während die Realität ganz anders ausschaut: “Mensch und Tier müssen sich leider den Interessen einer Minderheit fügen.”
 
Man könne jedes Projekt diskutieren, Für und Wider abwägen, sagt Stadtrat Franz Dinhobl: “Wir sind der Überzeugung, dass die Ostumfahrung für die Entlastung der innerstädtischen Wohngebiete wichtig und notwendig ist.” Das öffentliche Interesse an der Straße und die Vorteile, die sie für Wiener Neustadts bringe, würden überwiegen.

 
Foto von der Grazer Straße in Wiener Neustadt, die durch die Ostumfahrung entlastet werden soll. Auf dem Foto zu sehen ist die Straße, ein paar Autos vor einer roten Ampel und Häuser.

Die Ostumfahrung soll die Grazer Straße entlasten, die durch die Wiener Neustädter Innenstadt geht. Ob das überhaupt funktioniert, ist unklar. Foto: Johanna Brodträger

Mensch und Tier

„Öffentliches Interesse ist auch der Erhalt von Böden“, sagt Karl Linauer. Der Umweltschutz ist ein tragender Faktor für alle GegnerInnen des Baus: Immerhin würde damit ein Teil des Natura-2000-Schutzgebietes Leithaauen verbaut werden. Den Zieseln – das sind kleine Nagetiere, die in Österreich auf der Roten Liste gefährdeter Tierarten stehen – würde eine Umsiedlung aus ihrem gewohnten Lebensraum bevorstehen. Und den Anrainern eine massive Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität, wenn ab voraussichtlich 2024 tagtäglich über 14.000 Fahrzeuge an ihren Siedlungen vorbei brettern.

Linauer meint: „Es gibt nur Verlierer in diesem Projekt: Die Innenstadt verliert, die Anwohnerinnen verlieren, die Bauern verlieren, die Steuerzahler verlieren, Natur und Umwelt verlieren.“

“Nicht den ganzen Platz dem Auto opfern”

Der Bau der Straße ist zumindest für die Bürgerinitiativen ein Schritt in die falsche Richtung: Als das Konzept der Ostumfahrung vor 70 Jahren das erste Mal aufkam, waren Feinstaubbelastung, Klimaschutz und verkehrsberuhigte Lebensräume noch kein großes Thema.

Wie viel Platz man dem Auto gibt, ist heute aber eine ganze andere und auch für die Zukunft eine wichtige Frage. Bis 2050 soll Wiener Neustadts Bevölkerung um 30 Prozent wachsen. Wenn man nicht umlenkt, wird das Verkehrsaufkommen im Zuzugsgebiet naturgemäß massiv steigen. Ostumfahrung hin oder her.

Die Alternativen liegen für die Bürgerinitiativen auf der Hand: Straßen zurückbauen, den öffentlichen Verkehr und Radwege ausbauen. Karl Linauer meint: „Wer Auto fahren muss, soll das auch können. Aber: Wir können nicht den ganzen Platz dem Auto opfern.“

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