Ewigkeits-Chemikalie TFA im Wasser: Global 2000 sieht Gesetzesbruch. Landwirtschaftsministerium dementiert.
„Wie schon in den Vorjahren zeigen auch im Jahr 2023 die Untersuchungen, dass die Trinkwasserqualität durchwegs ausgezeichnet ist“, heißt es im Trinkwasserbericht 2023 des Gesundheitsministeriums. Von „strengsten Anforderungen“ an Qualität und Überwachung ist die Rede. Davon, dass es „ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit getrunken oder verwendet“ werden kann. Das werde „gewährleistet“.
Kritiker:innen stimmen diesem Urteil grundsätzlich zu. Doch über die Frage, ob genug dafür getan wird, damit es auch langfristig so bleibt, kommt ernsthafte Skepsis auf.
Unser Wasser wird nicht auf die Chemikalie TFA untersucht
Regelmäßig wird in Österreich überprüft, dass gewisse Grenzwerte im Trinkwasser nicht überschritten werden: Eisen, Arsen, Uran, Blei, Färbung und Pestizide sowie dazugehörige Abbauprodukte (Metaboliten genannt).
In einer “Schwerpunktaktion” wurden auch 2023 insgesamt 229 Proben auf Pestizide und deren Abbauprodukte untersucht. Ziel sei gewesen, „die mögliche Belastung des Trinkwassers mit ausgewählten Pestiziden und deren Metaboliten zu ermitteln, deren Vorhandensein vermutet bzw. nicht ausgeschlossen werden kann“.
Nicht untersucht wurde das Wasser allerdings auf TFA (Trifluoracetat). Das ist ein Abbauprodukt sogenannter PFAS-Chemikalien, die durch unterschiedliche Produkte in die Umwelt gelangen – unter anderem Pestizide. Die Umweltschutzorganisation “Global 2000” ist der Meinung, dass der Staat dazu verpflichtet wäre.
Global 2000: “10 Jahre und 1 Tag Gesetzesbruch”
Laut Global 2000 ist das österreichische Grund- und Trinkwasser bereits flächendeckend mit TFA belastet. Sie hat selbst Proben genommen und in allen sei die Chemikalie gefunden worden.
Der Befund von Global 2000 wird auch von einem Bericht des Landwirtschaftsministeriums bestätigt. Der sogenannte Wassergütebericht 2018 – 2020 prüfte zwar nicht das Trinkwasser, aber das Grund- und Oberflächenwasser. Aus diesem kommt aber unser Trinkwasser. Und er fand im Jahr 2019 in allen Proben TFA-Belastung. Bis zu 7 μg/L (Mikrogramm pro Liter). Das liegt weit über den gesetzlich festgeschriebenen Grenzwert für sogenannte “relevante Metaboliten” (0,1 μg/L). Der Bericht selbst orientiert sich allerdings am deutschen Grenzwert für Trinkwasser (60 μg/L). Dieser Wert wird von Kritiker:innen für TFA als viel zu hoch eingestuft. Darüber, ob und warum das möglich ist, widersprechen einander Global 2000 und Landwirtschaftsministerium.
„Die Belastungen liegen ein Vielfaches über dem gesetzlichen Grenzwert”, warnt Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker von Global 2000. Damit werde seit “10 Jahren und 1 Tag Gesetzesbruch” begangen. Das Ministerium ist anderer Ansicht.
Verwirrung um Gesetzeslage
Die Streitfrage ist, ob TFA ein “relevanter Metabolit” ist. Als relevant gelten Abbauprodukte, wenn eine bestimmte Gefahr nachgewiesen wurde oder zu erwarten ist. Zum Beispiel, wenn sie als giftig eingestuft werden oder davon auszugehen ist, dass relativ hohe Mengen ins Grundwasser gelangen. Dann gilt laut Gesetz ein Grenzwert von 0,1 μg/L.
2014 habe das Landwirtschaftsministerium TFA als “toxikologisch relevanten Metaboliten” eingestuft. Fortschrittlich sei das gewesen, lobt Burtscher-Schaden: “Das muss man dem Landwirtschaftsministerium zugutehalten.“
Erstaunlicherweise will das Landwirtschaftsministerium dieses Lob aber nicht annehmen. Es entgegnet in einer Stellungnahme: “TFA ist weder in Österreich noch in der EU als relevanter Metabolit eingestuft”.
Der diesjährige Bericht des Landwirtschaftsministeriums “Metaboliten in Grund- und Trinkwasser” widerspricht dem zumindest scheinbar. Dort wird TFA in mehreren Bewertungen als “relevant” bezeichnet. Ein Aktionswert wird nicht genannt.
Damit konfrontiert antwortet das Ministerium: “Dieser Bericht sowie dessen Aktualisierung dienen als Bewertungshilfe für die Codex Unterkommission Trinkwasser hinsichtlich Ableitung von Aktions- bzw. Toleranzwerten von Metaboliten im Trinkwasser. Dem ist bei einer Risikobewertung von TFA im Trinkwasser im Sinne der Trinkwasserverordnung Rechnung zu tragen.”
2014 wurde zwar offensichtlich eine vorsorgliche Warnung ausgesprochen. Folgt man dem Ministerium, habe die aber mangels genauer Daten bis heute zu keiner offiziellen Einschätzung als “relevanter Metabolit” geführt. Aktuell werde TFA neu bewertet.
Die lange Ungewissheit über die Einstufung von TFA ist jedenfalls für Laien verwunderlich. Denn in Europa und Österreich gilt grundsätzlich bei solchen Fragen das Vorsorgeprinzip. Das sagt: Im Zweifel soll man lieber vorsichtiger sein – auch wenn nicht sicher ist, ob ein Stoff die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt beeinträchtigt.
Über die Angabe des Ministeriums, TFA sei in Österreich nicht als relevanter Metabolit eingestuft, zeigt sich Umweltchemiker Burtscher-Schaden sehr irritiert: “Ich frage mich: Wie weit ist der Weg vom Gesetzesbruch zur Gesetzesleugnung?” Das Landwirtschaftsministerium weist wohlgemerkt schon den Vorwurf des Gesetzesbruchs in einer Stellungnahme “auf das Äußerste” zurück.
TFA wird nicht gemessen
Dass trotz der gemessenen Werte 2019 keine weiteren Proben genommen wurden, rechtfertigt das Landwirtschaftsministerium ebenfalls damit, dass TFA eben offiziell nie als relevanter Metabolit gegolten habe und diese jüngsten Werte demnach dann eben nicht problematisch seien. Damals sei außerdem gezielt dort gemessen worden, wo eine besonders hohe Belastung zu erwarten sei – und alle wären weit unter dem deutschen Grenzwert gelegen. Für 2024 seien wieder Untersuchungen von Grund- und Oberflächenwasser in Auftrag gegeben worden. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor.
Pestizid-Hersteller Bayer meldet Missbildungen im Experiment mit Kaninchen
Was ist denn nun die Gefahr, die von TFA ausgeht? 2021 informierte Pestizid-Hersteller Bayer über “potenziell schädliche oder unannehmbare Auswirkungen” von TFA. So formuliert es die europäische Aufsichtsbehörde EFSA. Bei Experimenten mit Kaninchen kam es zu Missbildungen bei den Föten.
Solche Studien gibt es allerdings nur wenige. Die Datenlage zu Umwelt- und Gesundheitsrisiken ist dünn, obwohl EU-weit Gewässer mit TFA belastet sind. Daraus folgen unterschiedlichste Risikobewertungen.
PFAS wie TFA zählen zu den „Ewigkeits-Chemikalien“. Sie werden nicht oder nicht ganz abgebaut. Erst einmal in der Umwelt, bleiben sie dort also für immer. Herkömmliche Methoden zur Wasseraufbereitung funktionieren ebenfalls nicht. Die bereits vorhandene Belastung kann also nicht mehr rückgängig gemacht werden. Umso wichtiger ist es, sie nicht noch größer werden zu lassen und schnell zu handeln, mahnt Helmut Burtscher-Schaden.
Hätten die TFA verursachende Pestizide verboten werden müssen?
Durch diese Erkenntnisse in den vergangenen Jahren – das Experiment von Bayer und immer höhere Belastungen in Untersuchungen – hätten laut Global 2000 Schritte dagegen gesetzt werden müssen. Die Umweltschutzorganisation gab dafür ein Rechtsgutachten in Auftrag.
Das besagt: Mitgliedstaaten ist es jedenfalls erlaubt, Zulassungen zu entziehen. Wenn neue Erkenntnisse zeigen, dass die Belastung in der Umwelt bedeutend zugenommen hat und weiter zunimmt, seien die Mitgliedstaaten sogar zum Handeln verpflichtet. Sie müssten dann die Zulassungen für entsprechende Produkte wie PFAS-Pestizide so ändern, dass Emissionen verhindert werden.
Darüber hinaus: Wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass TFA als fortpflanzungsgefährdend einzustufen ist, müssen die Mitgliedstaaten die Zulassungen aufheben für Produkte, die bei “bestimmungsgemäßer Verwendung” Rückstände von TFA beispielsweise in Trinkwasser hinterlassen.
Ministerium weist Vorwürfe zurück
Die Einstufung als “reproduktionstoxisch” sei laut Landwirtschaftsministerium lediglich eine Mitteilung des Unternehmens und keine amtlich verbindliche Einstufung.
Reproduktionstoxisch bedeutet, dass es die Fortpflanzungsfunktion beziehungsweise -fähigkeit einschränken und/oder zu Entwicklungsschäden bei ungeborenen Kindern kommen kann. Es geht dabei um die Studie des Pestizid-Herstellers Bayer. Die Voraussetzungen für die Aufhebung einzelner Zulassungen seien nicht nachgewiesen.
Die Chemieagentur ECHA arbeite aktuell an einer Bewertung. Die Lebensmittelbehörde EFSA sei außerdem von der EU-Kommission beauftragt worden, die Referenzwerte von TFA zu überprüfen und diese würden gegebenenfalls überarbeitet werden.
“Das BML wird daher die Prüfungen von ECHA und EFSA genau verfolgen und daran anschließend die erforderlichen Schritte setzen”, meldet das Ministerium. Wie diese aussehen werden, sei vor der Prüfung aber nicht zu sagen.
Wer hat versagt?
Global 2000 wirft damit insbesondere dem Landwirtschaftsministerium Gesetzesbruch vor. Dieses ist für die Zulassungen von Pestiziden und den Grundwasserschutz zuständig.
Die Überprüfung der Trinkwasserqualität hingegen liegt in der Zuständigkeit der Bundesländer, erklärt das Gesundheitsministerium auf Anfrage. Die Landeshauptleute berichten die Ergebnisse jährlich an das Gesundheitsministerium. Mit dem Trinkwasserbericht informiert dieses dann die Bevölkerung. Doch TFA ist eben nicht regelmäßig getestet und in den Berichten erwähnt worden.
„Eine solche Überprüfung hätte nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit das Potential zur Grundwasserkontamination bestätigt, sondern auch gezeigt, dass TFA den Schwellenwert für relevante Metaboliten im Grundwasser bereits systematisch überschreitet“, heißt es seitens der Umweltschutzorganisation.
Immerhin soll sich das ändern. Seit 2016 gibt es beim Trinkwasser Schwerpunktaktionen, wie sie eingangs erwähnt wurden. Das Gesundheitsministerium gibt an, dass ab nächsten Jahres in Schwerpunktaktionen auch TFA erfasst werden soll.
“Bewusste Irreführung”?
Der Wassergütebericht 2018 – 2020 belegt, dass im Grundwasser, aus dem unser Trinkwasser kommt, TFA enthalten ist. Eine Chemikalie, die in einem Experiment mit Kaninchen schwere Missbildungen verursacht hat. Einige Monate nach Bekanntwerden der Studie ist im Wassergütebericht 2020 – 2022 von TFA nicht mehr die Rede. Stattdessen sagte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig bei der Präsentation: “Der Wassergütebericht stellt Österreich einmal mehr ein gutes Zeugnis aus.”
Das habe den “Anschein einer bewussten Irreführung der Öffentlichkeit“, wirft Global 2000 den Verantwortlichen vor.
Die neue Regierung muss handeln – und zwar schnell
Die Bevölkerung will der Experte aber auch beruhigen: „Man kann das Wasser in Österreich nach wie vor trinken“, sagt er. So soll es aber auch bleiben. Soll heißen: Es soll nicht noch jahrelang immer mehr von der Ewigkeits-Chemikalie ins Wasser gelangen.
Dafür fordert Global 2000 von der neuen Bundesregierung, dass PFAS-Pestizide vom Markt genommen werden. Die Niederlande, Dänemark, Schweden, Norwegen und Deutschland haben der europäischen Chemieagentur ECHA ein PFAS-Gruppenverbot vorgeschlagen. Das soll Österreich unterstützen. Außerdem soll für Österreich ein sicherer Grenzwert für TFA im Trinkwasser festgelegt werden – und dann auch überprüft.
Einige dieser Schritte seien gerade in Arbeit, manche wurden für das kommende Jahr angekündigt. Die Ergebnisse bleiben abzuwarten.