Fehlender Datenschutz und Altersdiskriminierung: Das steckt hinter der neuen “ID Austria”
„Ich bin alt und kein Depp.“ So hat Carlos San Juan, ein 78-jähriger Pensionist aus Valencia, seine Petition getauft. Sie entstand aus dem Ärger über ein neues digitales System für Bankgeschäfte, das in Spanien gerade anläuft. Es ähnelt dem, was in Österreich mit „ID Austria“ jetzt kommt. Die Registrierung macht jedoch Problme: Vor allem ältere Menschen, die sich mit moderner Technologie schwertun, fühlen sich davon ausgeschlossen. San Juan ist nicht alleine. Tausende Pensionist:innen gingen in Spanien protestieren. Und seine Petition zählt über 600.000 Überschriften.
Den Unmut älterer Generationen und all jenen, die sich kein Smartphone leisten können oder wollen, könnte auch die neue “ID Austria” mit sich bringen. Damit sollen Menschen sich digital gegenüber Behörden, aber auch bei privaten Anbietern auszuweisen. In Zukunft soll man damit am Smartphone auch den Ausweis oder Führerschein haben und sich damit auch im EU-Ausland ausweisen können. Im Sommer wird sie die bisherige Handysignatur ablösen. Dafür brauchte man kein Smartphone – ein Handy mit SMS-Empfang genügte.
Registrierung für ID Austria „wird viele ausschließen“
Peter Gallhofer, ein 72-jähriger Pensionist aus Wien, gefällt das gar nicht. Weil er trotzdem auf dem neuesten Stand bleiben möchte, ging er zuletzt zum Magistrat, um sich für die ID Austria zu registrieren. Dabei merkte er, wie schwer ihm als “nicht ganz digitalaffiner” Mensch die Anmeldung fiel. Der Frau am Schalter stellt er deshalb eine entscheidende Frage: “Wie soll das eigentlich für Menschen in meinem Alter ohne Smartphone funktionieren? Die Beamtin habe zu seinem Verblüffen erwidert: “Die werden in Zukunft wohl ausgeschlossen.”
Thomas Lohninger von der Datenschutz-NGO “epicenter.works” bestätigt: “Leute, die kein Smartphone haben oder sich keines leisten können, werden bei der ID Austria ausgeschlossen”. Auch jenen, die eines besitzen, aber sich zum Beispiel mit digitaler Sicherheit nicht auskennen, sei das System nicht zuzumuten. Diskriminierung durch Digitalisierung sei schon jetzt ein Problem: So koste laut Lohninger ein Parkpickerl 30% mehr, wenn ein Mensch keine elektronische Identität vorweisen kann.
Das Ministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort von Margarete Schramböck (ÖVP) versucht indes zu beschwichtigen: “Hardware-basierte” Alternativen für die ID Austria seien bereits in Planung. Neben dem Smartphone solle es auch eine kartenbasierte Lösung und einen USB-Token geben. So etwas gibt es bereits in Deutschland, wo das elektronische Identitätssystem eine Chipkarte auf dem Personalausweis ist. “Das hat aber eine Durchdringung im niedrigen zweistelligen Bereich”, sagt Lohninger. Für viele Menschen sei es ebenfalls eine zu große Hürde, mit einem Kartenleser umzugehen. Lohninger erinnert an Aussagen von Altkanzler Kurz, der bei der Einführung der Corona-Warn-App ebenfalls Hardware-Alternativen versprach. “Nichts davon wurde je realisiert”, sagt Lohninger.
ID Austria: Ein Ich-verrate-überall-alles-Ausweis
Neben Ausgrenzung von finanziell benachteiligten Menschen und Altersdiskriminierung bemängelt Lohninger auch, dass das neue ID-System sprichwörtlich dazu zwingt, die digitale Hose runterzulassen. “Das Phänomen nennt sich Überidentifizierung: Mit jedem Hotel-Checkin über die ID Austria übermitteln Nutzer:innen sämtliche Daten, die bisher noch anonym geblieben sind.” Das System sei außerdem staatlich beobachtbar: “Der Staat hat Einsicht, wo und gegenüber wem sich die Menschen ausweisen.” Dabei häufen sich Informationen an, die laut Lohninger “in den Händen von niemandem sein sollten. “ Ein Ich-verrate-überall-alles-Ausweis, der Bürger:innen zwar effiziente Behördengänge verspricht, aber auch umso durchsichtiger macht.
Aber wurde “ID Austria” nur nicht zu Ende gedacht oder handelt es bei dem System um ein weiteres trojanisches Pferd in Richtung Überwachungsstaat? Lohninger ist sich sicher: “Es gibt da eine Überschneidung von staatlicher Kontrolle und wirtschaftlichem Interesse.” Das liege vor allem daran, dass die Technologie auch privaten Unternehmen wie Bonitätsprüfern oder der Werbebranche geöffnet wird. “Die Kosten der Identifizierung werden für Unternehmen da gegen null gehen”. Das bedeute einen enormen Effizienzgewinn für die Industrie, aber Überwachungskapitalismus für die Gesellschaft.
Mangelnde Digitalkompetenz: “Wir brauchen digitale Selbstverteidigungskurse für alle.”
Doch was unternehmen Politiker:innen dagegen, dass immer mehr Menschen aus dem analogen Zeitalter “verkommen”, wie Peter Gallhofer es benennt? Er fühlt sich auch von den Seniorenverbänden der einst “großen Parteien” SPÖ und ÖVP im Stich gelassen. Dort werde das Thema stiefkindlich behandelt. “Die verlieren immer mehr den Anschluss zu ihren Wählerschaft – und die den Anschluss zur modernen Welt.” Gallhofer sehe die große Gefahr, dass auch ältere Menschen vor der Wahlurne radikale Entscheidungen treffen.
Damit das nicht passiert, fordert Thomas Lohninger Dienstleistungen, die den ältesten, jüngsten und allen dazwischen, die es nötig haben, Steigbügel in die digitale Welt bieten. Er nennt das “digitale Selbstverteidigungskurse.” Die existierenden Angebote und Schulungen gleichen laut Lohninger bisher allerdings “katholischer Sexualkunde”. Dort heiße es eher “am besten gar nicht verwenden” und nicht: “was ist das und was kann ich damit machen?”
Dass ältere Generationen auch in Sachen Datenschutz und Digitalkompetenz besser geschult werden, wünscht sich auch Peter Gallhofer. “Wir müssen an die Abgehängten herankommen und aufhören, in unseren digitalen Blasen zu leben”, sagt er. Sonst sind die Deppen nicht die alten, sondern wir.