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Renaturierungsgesetz kommt doch nicht? Wie die EVP mit Fake News dagegen kämpft

Sonnenstrahlen scheinen durch Baumwipfel - der Wald als Symbol für das Renaturierungsgesetz und dessen Bedeutung.
Das Renaturierungsgesetz ist ein wichtiger Bestandteil des Green Deals der EU.
Showdown in Straßburg: Im EU-Parlament kam es am 27. Februar 2024 zur finalen Abstimmung über das Renaturierungsgesetz - eine Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Damit will die EU den Europäischen Green Deal vorantreiben. Die Europäische Volkspartei (EVP) wollte die Umsetzung blockieren. Expert:innen wiesen allerdings alle „Argumente“ der größten Partei auf europäischer Ebene scharf zurück. Und setzten sich durch: Die Verordnung wurde mit einer knappen Mehrheit angenommen. Bei der finalen Absegnung im März bröckelte die Zustimmung unter den EU-Staaten jedoch erneut, nachdem unter anderem die Niederlande und Ungarn ihre Zustimmung zurückzogen - auch Österreich will sich enthalten. Die Abstimmung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

Mit 329 Ja-Stimmen, 275 Nein-Stimmen und 24 Enthaltungen wurde das Gesetz nun bei der finalen Entscheidung im EU Parlament akzeptiert – trotz Protesten aus der Landwirtschaft und von Rechten sowie Konservativen. Grüne, Sozialdemokrat:innen und Teile der Liberalen und Konservativen stimmten dafür. Außer Othmar Karas stimmte die gesamte anwesende österreichische ÖVP dagegen und stellt sich somit erneut gegen wichtige EU-Vorhaben in Sachen Klimaschutz. Vor dem Inkrafttreten muss noch der Rat der Mitgliedsstaaten das Gesetz bestätigen – meist jedoch eine reine Formalität. Die finale Absegnung durch den Rat der EU-Umweltminister:innen sollte Ende März stattfinden, wurde nun jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt – anscheinend weil für eine qualifizierte Mehrheit noch die Stimme eines zusätzlichen Landes fehle. Die Akzeptanz unter den EU-Staaten geriet zuletzt erneut ins Wanken, nachdem unter anderem die Niederlande und Ungarn ihre Zustimmung zurückgezogen hatten. Auch Österreich wolle sich enthalten.

Steiniger Weg

Das Gesetz stellt eine zentrale Säule der Biodiversitätsstrategie der EU dar und hatte bereits im Sommer für Aufregung gesorgt. Schon bei der ersten Abstimmung über das Gesetz im Juli 2023 stimmte das Parlament mit 336 zu 300 Stimmen nur knapp dafür. Rechte (darunter die FPÖ), Konservative (darunter die ÖVP) und eine große Zahl an Liberalen (darunter nicht die NEOS) stimmten fast geschlossen gegen das wichtige Umweltschutz-Vorhaben. 15 Konservative zusammen mit Grünen, Sozialdemokrat:innen, Linken und einer Mehrzahl der Liberalen haben also praktisch den Unterschied gemacht.

Vor allem die EVP wollte den Vorschlag stoppen und führte eine aggressive Desinformationskampagne durch. Die intensiven Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Europäischem Rat führten im Herbst 2023 zu einer gemeinsamen Position, obwohl das Parlament deutlich schwächere Regeln durchsetzen wollte. Der so entstandene Kompromiss stellt eine deutliche Abschwächung der ursprünglichen Ziele dar, ist aber trotzdem ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das neue Gesetz soll dem Artensterben entgegenwirken und rechtzeitige Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel sowie Schutz vor Naturkatastrophen gewährleisten.

Europäische Volkspartei setzte auf Fake News

Die stimmenstärkste Fraktion im EU-Parlament ist die EVP, der auch die ÖVP angehört. Sie stellte sich mit fragwürdigen Argumenten gegen das Renaturierungsgesetz („Nature Restoration Law“). Laut ihnen entspreche es nicht den Standards und gehöre überarbeitet. Die vorgebrachten Argumente erweisen sich jedoch als haltlos. Über 6000 Wissenschaftler:innen haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem auf fünf Seiten und mit Quellen belegt alle Einwände widerlegt werden.

Ein Beispiel: Die EVP beschwört, dass es durch die Umsetzung zu einer Lebensmittelknappheit kommen würde. Ihr Argument: Eine Verringerung von landwirtschaftlichen Nutzflächen würde zu einer Abhängigkeit von Importen führen. Dabei sei laut Forscher:innen das Gegenteil der Fall. Die Klimakrise und die schwindende Biodiversität befeuern die Lebensmittelknappheit weit mehr als das geplante Vorhaben. Das landwirtschaftliche Mikroklima würde durch die Maßnahmen stabilisiert, Schädlingsbekämpfung und Bestäubung unterstützt werden. Katharina Rogenhofer, die Initiatorin des österreichischen Klimavolksbegehrens bestätigt: „Das Gesetz ist die Grundlage für Nahrungsmittelsicherheit und eine Versicherung gegen Schädlinge.“

EU-Wahl als Grund für die Blockade

Auch der Schutz der Meere gilt bei den europäischen Konservativen als gefährlich. Dieser würde Fischereibetrieben erheblich schaden. Tatsächlich würden geschützte Meeresflächen zu mehr Brutplätzen führen. Zudem sieht die EVP im Renaturierungsgesetz eine drohende Belastung für die Gesellschaft und den Verlust von Arbeitsplätzen. Die Umsetzung sei in Zeiten des Ukraine-Kriegs zu riskant. Allesamt Argumente, die unwissenschaftlich und falsch seien. Die Wissenschaftler:innen sind sich sicher: Im Falle einer Umsetzung würde das Gegenteil der besagten Einwände eintreten.

Kritiker:innen werfen der EVP eine bewusste Fake-News-Kampagne vor. “Die Falschinformationen sind absurd, ein wichtiges Gesetz wird diskreditiert. Zudem macht die EVP ihren eigenen Wähler:innen Angst vor Enteignung“, so die Initiatorin des Klimavolksbegehrens. Grund für den Widerstand der Europäischen Volkspartei konnten vor allem die 2024 anstehenden EU-Wahlen sein. Mit dem Gegenhalten könnte besonders bei der EVP-Kernwählerschaft gepunktet werden.

Wichtiger Bestandteil des Green Deals

Die EU will klimaneutral werden. Das hat der 2020 einstimmig beschlossene „Green Deal“ zum Ziel. Dafür müssen Emissionen massiv gesenkt werden. Bis 2050 sollen gar keine Netto-Treibhausgase mehr ausgestoßen werden. Für die Umsetzung des Maßnahmenpakets gibt es einen konkreten Fahrplan. Das Renaturierungsgesetz ist ein entscheidender Teil davon.

Hauptziel der Verordnung ist es, 20 Prozent der Land- und Meeresflächen zu „renaturieren“. Das bedeutet die Wiederherstellung von natürlichen Lebensräumen. Wälder sollen aufgeforstet, Moore sollen vernässt, Arten sollen geschützt werden. Auch die Anpassung an die Erderhitzung in Städten und Wäldern soll gesetzlich verankert werden. Rogenhofer beschreibt die Verordnung gegenüber MOMENT.at “als zentral für die Umweltgesetzgebung. Es schützt nicht nur vor Extremwetterereignissen, sondern beugt auch vor Klimafolgen vor.”

Anmerkung: Der Originaltext wurde am 11. Juli 2023, einen Tag vor der ersten Abstimmung im EU-Parlament, verfasst. Updates erfolgten am 27. Februar 2024, nach der finalen Abstimmung im EU-Parlament über das Renaturierungsgesetz, sowie am 29. März 2024. 

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