Die CDU, Sebastian Kurz und der Faschismus

Schon mal vom Mathias Corvinus Collegium gehört? Das ist ein faschistischer Think Tank aus der Schmiede der ungarischen Regierungspartei Fidesz. Er betreibt Bildungsarbeit im vorpolitischen Raum und lädt, mit viel Geld ausgestattet, alle paar Monate zu Tagungen und Konferenzen ein. Diese haben kaum wissenschaftlichen oder intellektuellen Anspruch, sondern sind Netzwerktreffen einer Clique rund um den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. In der nordungarischen Stadt Esztergom hat vergangene Woche das alljährliche Sommertreffen des Collegiums stattgefunden.
Es ist den minutiösen Recherchen der Journalistin und Historikerin Annika Brockschmidt zu verdanken, dass die Öffentlichkeit Einblicke in das diesjährige Sommertreffen erhalten hat. Sie hat die Tagung besucht – und damit einen Job gemacht, den viele etablierte und finanzkräftige Medien seit Jahren verweigern. Annika Brockschmidts Recherchen zeigen, dass Ungarn derzeit einer der zentralsten Dreh- und Angelpunkte des transnationalen Faschismus ist.
Zwei der prominentesten Gäste des aktuellen Treffens sind mittlerweile Veteranen des Corvinus-Collegiums, waren sie doch schon auf etlichen Veranstaltungen. Es handelt sich um Peter Thiel und Sebastian Kurz. Der Tech-Milliardär und sein ehemaliger Angestellter gehören zum Vertrauten-Kreis von Viktor Orbán persönlich. Ebenfalls anwesend waren AfD-Chefin Alice Weidel und der Brexit-Stratege Dominic Cummings.
Die bei der Tagung besprochenen Themen sind gleichbleibend eng gesteckt: Die bösen Linken, die böse Migration, die böse EU, man darf ja wirklich gar nichts mehr sagen.
Es ist bemerkenswert, dass Kurz’ faschistische Verbindungen in Österreich kein Thema sind. Jene, die ihn hochgejubelt haben, schweigen sich nun peinlich aus. Auch die aktuelle ÖVP, deren hochrangige Funktionär:innen allesamt mit Kurz nach oben gespült wurden, wird in den österreichischen Medien nicht dazu befragt. Die Koalitionspartner ebenso wenig. Dabei hatte SPÖ-Chef Andreas Babler im Wahlkampf noch eine „generelle Radikalisierung” der ÖVP kritisiert. Die politischen Vernetzungen des ehemaligen ÖVP-Chefs, der immer noch eine Fangemeinde innerhalb der Partei hat, wären ein guter Anlass für die ÖVP, die Kurz-Ära aufzuarbeiten und sich von ihm zu distanzieren. Auch die Neos haben übrigens eine nicht zu verachtende Anzahl an Peter-Thiel-Fanboys (und an Fanboys seiner weniger intellektuellen Version Elon Musk). Auch hier könnten österreichische Medien mal kritisch nachfragen.
Deutschland ist hier anders. Wie Sebastian Kurz war auch eine Abgeordnete der ÖVP-Schwesterpartei CDU beim Sommertreffen vor Ort: Saskia Ludwig. Diese bekommt nun Gegenwind im eigenen Land. Annika Brockschmidt hat festgehalten, wie freundschaftlich Ludwig bei dem Treffen mit AfD-Chefin Alice Weidel umging.
Ludwig hat schon vor einigen Monaten für eine Koalition mit der AfD geworben, obwohl es in ihrer Partei einen Unvereinbarkeitsbeschluss für eine solche Zusammenarbeit gibt. Sie war auch eine der Hauptantreiberinnen der Kampagne gegen die untadelige Kandidatin für das deutsche Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf. Mit erfundenen Plagiatsvorwürfen sollte diese abmontiert werden – der Treppenwitz: Ludwig steht selbst im dringenden Verdacht, plagiiert zu haben, ihr droht nun die Aberkennung ihres Titels.
Ihre Vertrautheit mit der AfD-Chefin wird für die CDU-Abgeordnete Ludwig nun zum Problem: Die eigene Partei distanziert sich von ihr. In Deutschland ist es nämlich ein Skandal, wenn man sich mit Faschist:innen trifft. In Österreich gibt es weniger Berührungsängste des Konservatismus mit der extremen Rechten.
Das Treffen in Ungarn zeigt, wie schwammig und durchlässig die Grenzen von Faschismus und Konservatismus sind. In Ungarn, in Österreich und in Deutschland.