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Demokratie

ServusTV vs. ORF: So haben die Sender vor der Wahl berichtet

ServusTV vs. ORF: So haben die Sender vor der Wahl berichtet
Wie unterscheiden sich die Servus Nachrichten im Wahlkampf von der Zeit im Bild?
ServusTV ist der österreichische Privatsender mit dem größten Marktanteil. Aber wie objektiv ist der Sender im Hinblick auf die Wahl? Wir haben uns einen Monat lang die Servus Nachrichten angesehen und mit der Zeit im Bild verglichen.

ServusTV sendet das, was sich der ORF nicht zeigen traut. Dort sieht man, was wirklich in der Welt passiert. Könnte man zumindest meinen, wenn man den vielen Kommentaren zu unserem letzten Beitrag über die Servus Nachrichten Glauben schenkt.

Unser Fazit war damals ein anderes. ServusTV wählt genau aus, worüber es berichtet. Und zeichnet dadurch ein Bild der Welt, das den Vorstellungen des Senders entspricht – wie jedes andere Medium auch. Manche sind dabei aber näher an der Realität als andere.

Wie verzerrt ist dieses Bild?

Wir haben uns einen Monat durch die Berichterstattung von ORF und ServusTV geschaut. Welches Bild der Welt haben ORF und ServusTV in diesem Wahlkampf gezeichnet? Wo sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Und wer kommt dabei zu Wort?

Zahlen, bitte!

Für die Analyse haben wir uns alle Ausgaben der Zeit im Bild 1 sowie der Servus Nachrichten zwischen 26. August und 25. September angesehen. Wer sich für genauere Zahlen sowie eine Aufschlüsselung unserer Methodik interessiert, kann das hier nachlesen:

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So sind wir für unsere Nachrichten-Analyse vorgegangen:
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Insgesamt haben wir uns 30 Ausgaben der ZiB1 und Servus Nachrichten angesehen. Am 20. September erschienen die Servus Nachrichten nicht online, die ZiB1 wurde deswegen ignoriert.

Beide Nachrichtensendungen laufen sieben Tage die Woche. Die Dauer der Servus Nachrichten liegt zwischen 12 und 15 Minuten, jeden Samstag gibt es eine Kurzausgabe. Die ZiB1 ist jeden Tag zwischen 18 und 20 Minuten lang.

Alle Beiträge wurden einem groben Themenbereich zugeordnet und mit der Berichterstattung des anderen Senders verglichen. Beiträge in den Kurzmeldungen haben wir nicht extra zugewiesen.

Wortmeldungen von Politiker:innen wurden gezählt, wobei nur direkte Aussagen und keine indirekte Zitierung gewertet wurden. Kam eine Partei oder ein:e Politiker:in in einem Beitrag mehrfach vor, wurde das nur als ein Auftritt gewertet. Auch die befragten Expert:innen wurden gezählt. Dabei wurde auch das Geschlecht ausgewertet.

Die Zahlen dienen als Orientierung. Es war nicht unser Anspruch, eine rein quantitative Analyse durchzuführen.

Beim Vergleich zwischen den Sendern wird eines schnell deutlich: Je größer der Nachrichtenwert, desto eher ähnelt sich die Berichterstattung. Zur Hochwasserkatastrophe gab es etwa kaum Unterschiede zwischen ORF und ServusTV bei der Akut-Berichterstattung. Das blieb allerdings nicht lange so – mehr dazu später.

Abseits davon gab es nur einen Tag, an dem beide Sendungen nicht zumindest eine gleiche Meldung brachten. ORF und ServusTV berichten also nicht aus unterschiedlichen Welten – aber in sehr unterschiedlichen Interpretationen davon.

Was man bei den Zahlen berücksichtigen muss: Die ZiB1 hat in jeder Ausgabe mehr Beiträge, teilweise sogar doppelt so viele wie die Servus Nachrichten. 

Wer spricht in der Innenpolitik?

Besonders interessant vor den Wahlen: Welche Politiker:innen dürfen eigentlich zum Publikum sprechen? Die Hochwasserkatastrophe hatte bei beiden Sendern einen Einfluss: ÖVP, Grüne und teilweise auch die SPÖ kamen deswegen etwas häufiger zur Sprache, als es sonst der Fall gewesen wäre.

 

Bei beiden Sendern kamen im beobachteten Zeitraum Parteien 93 Mal in Beiträgen zu Wort. Bei ServusTV entfallen fast zwei Drittel aller Auftritte auf ÖVP oder FPÖ – ein deutlicher Überhang für eine mögliche nächste Koalition. Kleinparteien spielten bei dem Sender keine Rolle.

Auch im ORF dominierte die ÖVP mit einigem Abstand, ansonsten sind die Zahlen ausgeglichener. Die FPÖ kam nur halb so oft vor wie bei ServusTV. Das erklärt sich auch mit einer Strategie, die bei ServusTV auffällt: Der Sender spielt gerne und häufig Pingpong mit der FPÖ. Später mehr dazu, wie das aussieht. Gemeinsam kommen ÖVP und FPÖ auf die Hälfte der Wortmeldungen – also in etwa dem Wert, den beide gemeinsam bei der Wahl erreicht haben.

Wer darf Expertise abgeben?

Bereits bei unserer ersten Analyse vor dem Sommer wurde ersichtlich, dass ServusTV bei Expert:innen vor allem auf eines setzt: Männer. Damals lag die Frauenquote bei 13 Prozent. Das war tatsächlich dem kurzen Beobachtungszeitraum geschuldet. Allerdings in eine andere Richtung als erhofft:

In nur knapp fünf Prozent der Expert:innen-Interviews in den Servus Nachrichten kamen Frauen zu Wort. Der Wert ist in der ZiB1 zwar wesentlich höher, der ORF bekleckert sich hier mit einem Frauenanteil von 22 Prozent aber nicht mit Ruhm.

Besonders bei ServusTV fällt auf, dass einige Personen sehr häufig zu Wort kommen. So wurde der Politikberater Thomas Hofer alleine in diesem Monat elfmal um eine Einschätzung gebeten – im Schnitt also in jeder dritten Ausgabe. Auch andere Gesichter kennt man bald. Im ORF kamen hingegen nur zwei Expert:innen in diesem Zeitraum zweimal zu Wort: die Ökonom:innen Franz Sinabell und Sigrid Stagl.

Worüber wird gesprochen?

 

Die Hochwasserkatastrophe hatte natürlich starke Auswirkung auf die Berichterstattung beider Sender, ebenso wie die Wahlberichterstattung. Hier enden die Gemeinsamkeiten.

Für ServusTV sind Migrations- und Asylthemen fast so wichtig wie der Wahlkampf. Auch über Terror wird häufig berichtet. Schon bei unserem ersten Artikel ist diese Häufung aufgefallen. Der Sender setzt auch auf “Aufreger”-Themen, die im ORF auf diese Weise nicht vorkommen. Diese Schwerpunktsetzung weist viele Parallelen zur Wahlberichterstattung von Boulevardmedien wie der “Krone” auf. Ein sonderlich positives Gefühl vermittelt das nicht.

Außenpolitische Themen spielen bei ServusTV hingegen eine untergeordnete Rolle. Ganz im Gegensatz zur ZiB1. Das hat auch praktische Gründe: Der ORF hat viele Korrespondent:innen, die Reportagen und Einschätzungen liefern. Speziell die Berichterstattung zum Krieg in der Ukraine und in Gaza ist deswegen sehr ausführlich. Auch Wirtschaft und soziale Themen sind in der ZiB1 wichtig, kommen bei ServusTV hingegen fast gar nicht vor.

Wie wird über Themen gesprochen?

Durch die thematischen Schwerpunkte ergeben sich zwischen beiden Sendern große Unterschiede. Die werden durch die inhaltliche Bewertung und Art der Berichterstattung nur noch deutlicher. Hier zeigen sich bei ServusTV einige Auffälligkeiten – vor allem in den Rollen der Parteien.

Stellvertretend dafür kann etwa die Sendung vom 9. September herhalten. Die drei zentralen Beiträge bei den Servus Nachrichten zeigen, wie Themen gesetzt und Parteien charakterisiert werden.

Beitrag 1:

Deutschland will seine Grenzen schließen und Migrant:innen zurückweisen. ServusTV schwenkt nach Österreich: Die ÖVP begrüßt Verschärfungen, man werde aber sicher keine Zurückweisungen akzeptieren. Die FPÖ sei hingegen schon lange für diese “Festung Europa” und verlangt eine Entlastung Österreichs. Menschen, die zu uns kämen, seien undankbar und würden straffällig.

Kritische Einordnung? Fehlanzeige. Das Thema ist gesetzt, die FPÖ gilt als Erfinderin, die ÖVP als Nachmacherin. Andere Parteien kommen erst gar nicht vor.

Zum Vergleich: In der ZiB1 wird am Folgetag über das Thema berichtet. Darin werden auch Argumente der deutschen Grünen gezeigt, die eine Verschärfung ablehnen. Die Auswirkungen auf Österreich werden angeschnitten, in einem zweiminütigen Gespräch die Hintergründe der Diskussion in Deutschland erläutert.

Beitrag 2:

Die Grünen wollen eine “Brandmauer” gegen Rechtsextremismus aufziehen. Bei ServusTV erhält das eine klare Bewertung, wie bereits der Aufmacher verrät:

Ein Nachrichtensprecher von ServusTV steht vor einer Videowall. Dahinter sieht man ein Bild zum nächsten Beitrag. Eine Person wirft einen Stimmzettel in eine Urne. Darunter steht: "Bröckelnde" Brandmauer

Andere Parteien würden da nicht mitmachen. Der Beleg: Ein Zitat vom burgenländischen Landeshauptmann Doskozil (SPÖ). NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger schließe sich der Forderung auch nicht direkt an. Aber die Wähler dürfte die Diskussion ohnehin kaum beeinflussen, so ServusTV. Kickl und die FPÖ seien in Front.

Die ZiB1 berichtet ebenfalls über die Forderung der Grünen. Auf eine Einschätzung wird verzichtet. Auch hier kommt Meinl-Reisinger zu Wort – zwar mit einer kleinen Einschränkung, aber befürwortend. Die ÖVP wird mit einer Aussendung zitiert, die SPÖ ebenfalls. Allerdings nicht von Doskozil, sondern von der Bundespartei. Keine der Parteien lehnt die Forderung direkt ab. In beiden Beiträgen darf sich die FPÖ verteidigen.

Beitrag 3:

Ein Aufreger. ServusTV greift ein Kampagnen-Thema der Kronen Zeitung auf: Angeblich dürften Wiener Kindergärten keine Symbole mehr an Garderoben anbringen.

Ein ServusTV-Nachrichtensprecher steht vor einer Videowand. Hinter ihm sieht man das Bild für den kommenden Beitrag. Es zeigt eine Garderobe im Kindergarten. Der Text dazu: Diskriminierende Garbderoben-Symbole?

Wie das Nachrichten-Team dazu steht, zeigt der erste Satz des Ansagers: “Haben Sie gewusst, dass ein Regenschirm diskriminierend sein kann?”. Der Satz setzt den Ton. Dass die Geschichte so überhaupt nicht stimmt und völlig übertrieben berichtet wurde, passt da ins Bild.

Im Beitrag darf zwar die Abteilungsleiterin bei den Wiener Kindergärten erklären, was dahintersteckt. Sie wird aber konterkariert von Werner Amon, dem steirischen Bildungslandesrat der ÖVP. Der erklärt uns, dass es in der Steiermark solche Probleme nicht gäbe. Und dem “Jugendforscher” Bernhard Heinzlmaier, der vor allem als Kolumnist bei einem extrem rechten Blog bekannt ist und darüber “nur den Kopf schütteln” kann. Im letzten Satz des Beitrags dann die Auflösung: Zwang gebe es keinen. Warum also den Beitrag überhaupt bringen?

Die Antwort: Es passt ins Weltbild. Abgehobene Eliten in der Hauptstadt verbieten uns Traditionen. So eine Meldung ist zu schön, um sie nicht zu bringen. Es sind Meldungen, mit denen der Sender immer wieder Stimmung macht.

Pingpong mit der FPÖ

Häufig funktioniert das im Zusammenspiel mit der FPÖ und fragwürdigen “Expert:innen”. Etwa in einem Bericht über Halal-Fleisch an Schulen. Eltern seien deswegen “alarmiert”, ein FPÖ-Politiker sagt im Interview: “Wer zu uns kommt, muss sich an unsere Bräuche anpassen!” Eine “Islam-Expertin”, deren Wikipedia-Artikel hauptsächlich aus dem Punkt “Kontroversen” besteht, warnt vor schleichender Islamisierung.

Ähnlich wie andere Boulevard-Medien versucht sich ServusTV auch immer wieder an Kampagnen, die nach demselben Schema verlaufen: Erst kommt die Aufregung, dann Betroffene, dann die Aufregung über die Aufregung. So wurden etwa vom 23. bis 25. September in allen Ausgaben der Servus Nachrichten über “Luxuswohnungen für Migranten” berichtet – in zwei davon mit Wortspenden der FPÖ.

Klimakrise? Welche Klimakrise?

Um ein tatsächliches Problem windet sich der Sender hingegen. Die Klimakrise wird bei ServusTV ignoriert und kein einziges Mal erwähnt. Nur in einem Beitrag über eine Klimaklage gegen die Schweiz kommt das Wort vor. Weder die extreme Hitze noch die Hochwasserkatastrophe hat den Sender dazu veranlasst, darauf hinzuweisen, dass ein Zusammenhang besteht.

Etwas besser macht das der ORF – das ist allerdings in diesem Fall nicht schwierig. In Beiträgen über die Naturkatastrophen und Dürren hat die ZiB1 auf den Einfluss der Klimakrise hingewiesen. Bei der Klimakatastrophe hat es länger gedauert, aber schließlich wurde auch hier deutlich gesagt, dass die Erderhitzung die Fluten wahrscheinlicher und extremer macht. Auch über die Studie, dass Starkregen doppelt so wahrscheinlich wird, hat die ZiB1 später berichtet.

Nach diesem Sommer der Extreme sollte das zwar noch häufiger betont werden. Dass man es als Nachrichtensendung aber nicht einmal schafft, die Klimakrise zu erwähnen, ist mehr als nur ein Armutszeugnis.

ServusTV vs. ORF: Die Unterschiede gehen tief

Abseits dieser großen Differenzen gibt es viele kleine Auffälligkeiten, die den Rahmen dieses Artikels sprengen würden. Dass etwa ServusTV sehr auffällig negative Berichterstattung über E-Autos forciert – in vier Wochen erschienen vier negative Beiträge, dazu kamen noch negative Kurzmeldungen. Beim Ukraine-Krieg positioniert sich der Sender zwar nicht prorussisch, aber ein Fan von des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist ServusTV offensichtlich nicht. Oder dass auffällig oft die in Migrationsfragen eine deutlich härtere Linie fahrende burgenländische SPÖ zitiert wird, wenn die Partei zu Wort kommt.

Fakt ist jedenfalls: ServusTV hat im vergangenen Monat klassische schwarz-blaue Themen bespielt. Abseits der Hochwasserkatastrophe waren beim Sender “Ausländer”, Islam und „Gutmenschen“ das Problem. Die Klimakrise existiert für den Sender hingegen nicht. Themen werden stärker wertend aufgeladen als beim ORF.

Das alles ist nicht überraschend. ServusTV ist rechtspopulistisch, der Senderchef fällt vor allem mit kruden Verschwörungsmythen und Falschinformationen auf.

Die Berichterstattung des ORF ist sicher nicht perfekt. So ist etwa der niedrige Frauenanteil bei den Expert:innen ein Armutszeugnis für einen öffentlich-rechtlichen Sender. Betrachtet man aber die Verteilung und Auswahl der Themen, merkt man das Bemühen nach neutraler Berichterstattung. Das kann man von den Servus Nachrichten nicht behaupten. Hier wird eine klare Agenda deutlich.

Das ist legitim. Die “Wahrheit” erfährt man hier aber nicht.

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