Waldschützer aus Rumänien: „Ich wurde viele Male fast getötet“
MOMENT.at: Sie kämpfen für den Erhalt der rumänischen Wälder. Wie steht es um die sogenannte Lunge Europas?
Gabriel Paun: Der offizielle nationale Bericht zeigt, dass die Wälder Rumäniens bereits zu großen Teilen zerstört sind. In nur zwei Jahrzehnten, seit 2000, wurde so viel abgeholzt, dass außerhalb der Ur- und alten Wälder kein Holz mehr geerntet werden kann. Mehr als 81 Prozent der Wälder sind zu jung, um abgeholzt und genutzt zu werden.
Deswegen gibt es nur mehr alte Wälder und Urwälder. Denn das sind die einzigen, die sozusagen das Erntealter erreicht haben. Selbst, wenn sie weit über dem Erntealter liegen. Bei Fichten und Tannen liegt das bei etwa 110 bis 120 Jahren. Bei Buchen sind es 120 bis 140 Jahre. Die Bäume in diesen Wäldern sind aber 200 und mehr Jahre alt.
Die Situation ist also sehr schlecht.
MOMENT.at: Sie haben einen Bericht über die Machenschaften von Ikea erstellt. Darüber, wie der Möbelriese die Wälder in Rumänien abholzt. Es gibt aber auch andere Unternehmen, die aus Rumänien Holz beziehen – auch österreichische. Was passiert in den Wäldern Rumäniens?
Paun: Bei Ikea ist es eine besondere Situation. Das Möbelhaus ist der größte private Waldbesitzer. Wobei eine Subfirma den Wald besitzt. Ikea selbst fällt somit auch keinen Wald. Subfirmen beauftragen andere Unternehmen. Das ist ein Weg, wie Ikea zu Holz kommt. Es gibt aber viele Wege. Dabei gibt es verschiedene Verflechtungen und in dieser langen Lieferkette geht irgendwo die Verantwortlichkeit verloren. So waschen sie ihre Weste rein.
Auch andere Unternehmen besitzen Wald und exportieren das Holz in die ganze Welt. Von Australien bis in den Nahen Osten, nach China, in die USA und so weiter.
Wieder andere besitzen zwar keinen Wald, nutzen aber dennoch das Holz aus Rumänien. Auch österreichische Unternehmen sind unter den großen Playern: die ehemalige Holzindustrie Schweighofer – nun HS Timber – Egger und Kronospan. Wobei letzteres kein rein österreichisches Unternehmen ist. (Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Unternehmen um Stellungnahme gebeten. Du findest sie unten im Text.)
MOMENT.at: Was ist das Problem mit der Forstwirtschaft in Rumänien?
Paun: Es werden zu viele und zu alte Wälder abgeholzt. In Zahlen: Die legale Holzernte in Rumänien beträgt pro Jahr etwa 18 Millionen Kubikmeter. Aber laut dem nationalen Waldbericht fehlen den Wäldern insgesamt 38,6 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Somit verschwinden 20,6 Millionen Kubikmeter Holz spurlos.
Und die Strafverfolgungsbehörden schaffen es nicht, das einzudämmen. Sie schaffen es gerade mal, ein Prozent der 20 Millionen Kubikmeter abzufangen: 200.000 Kubikmeter pro Jahr. Und um diese machen sie viel Lärm und rühmen sich damit. Doch das bedeutet, dass man eine Chance von 99 Prozent hat, illegal Holz zu fällen, zu stehlen und damit davonzukommen. Das ist ein sehr gutes Geschäft.
MOMENT.at: Wieso wird dagegen nicht mehr unternommen?
Paun: Rumänien hat den illegalen Holzhandel zu einer Angelegenheit der nationalen Sicherheit erklärt. Doch geändert hat sich wenig. Ich glaube, die Regierung täuscht nur vor, etwas dagegen unternehmen zu wollen. Denn Holz bedeutet Geld – für alle. Und wenn ich über eine Holzmafia spreche, dann spreche ich von den kleinen Holzunternehmen bis hin zu hochrangigen Regierungs- und Parlamentsbeamt:innen.
Es wurde auch noch nie ein großer Kopf vor Gericht verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Das sind immer nur kleine Player. In meinen Augen ist deswegen alles nur Show und ich habe diese Show langsam satt.
Ich mache das jetzt seit 23 Jahren. Es ist nicht so, dass ich müde werde, aber mir gehen die Optionen aus. Ich bin nicht radikal. Ich bin weder verbal noch körperlich gewalttätig. Ich habe keine Waffe und keine Marke wie die Polizei. Ich habe nicht deren Ressourcen.
Wir suchen den Dialog. Wir klären die Bevölkerung auf. Wir gehen vor Gericht. Und wir hatten damit auch schon Erfolg. Doch wir werden wo immer möglich blockiert, von Regierungen, Unternehmen und sogar von der Holzmafia bedroht.
MOMENT.at: Sie sprechen von Erfolgen. Was für Erfolge hatten Sie bereits im Kampf um Rumäniens Wälder?
Paun: Konkret konnten wir HS Timber dazu bewegen, Gutes zu tun. Zwar nicht ohne mit dem Finger auf sie zu zeigen, aber dennoch. Sie haben ein Rückverfolgbarkeits- und Transparenzsystem geschaffen, das kein anderes Unternehmen bietet. Damit können sie auch nachweisen, dass sie kein Holz aus Nationalparks mehr beziehen. Das haben wir geschafft.
Was wir allerdings nicht geschafft haben, ist, für einen Domino-Effekt zu sorgen. Ich dachte, wenn wir das größte Unternehmen dazu kriegen, vorbildlich zu agieren, dann ziehen die anderen hinterher. Das ist leider ausgeblieben. Die anderen Unternehmen machen weiter wie bisher. Sie standen nicht so sehr im Rampenlicht und offensichtlich macht der Medienskandal einen Unterschied.
Werden die anderen Unternehmen nicht gezwungen, nachzuziehen, entsteht für HS Timber ein entscheidender Wettbewerbsnachteil. Das Unternehmen hat deswegen auch schon Überlegungen geäußert, ihre Kriterien wieder zu lockern.
Ansonsten haben wir inzwischen den nationalen Katalog von Urwäldern. Die Definition ist zwar schlecht, aber es ist etwas. Wir haben es geschafft, dass ein Prozent aller Wälder Rumäniens in diesem Katalog unter strengem Schutz stehen. Das sind etwas mehr als 71.000 Hektar Wald. Außerdem haben wir 13 Nationalparks – 50 bis 90 Prozent davon sind mittlerweile geschützt.
Wir haben ganze Berge und Täler geschützt. Früher wurden solche ganz einfach komplett kahl geschlagen. Das passiert jetzt nicht mehr so einfach.
MOMENT.at: Wie ist das gelungen?
Paun: Das alles durch unsere Arbeit in Rechtsstreitigkeiten oder durch wissenschaftliche Studien. Außerhalb der streng geschützten Gebiete haben wir mehr als 400 Prozesse angestoßen. Wir haben also fast jeden Tag mindestens eine Verhandlung irgendwo in einem rumänischen Gericht. Unsere Anwältin fährt mit ihrem Auto mit dem Kofferraum voller Akten von einem Gericht zum anderen. Es ist wirklich lustig, das mitzuverfolgen.
Besonders wichtig ist auch, dass das Bewusstsein in der Bevölkerung inzwischen sehr groß ist. Nicht nur in Rumänien, sondern inzwischen auch in anderen Ländern Europas wie Österreich oder Deutschland. Regierungen und Konzerne kommen nicht mehr einfach davon, wenn sie versuchen, dumme Gesetzesänderungen durchzubringen. Das tun sie gerade wieder. Sie wollen die naturnahe Forstwirtschaft, die es in Rumänien bereits seit dem 19. Jahrhundert gibt, auf das schwedische Forstwirtschaftsmodell umzustellen. Das würde Ikea und die Industrie im Allgemeinen zufriedenstellen.
MOMENT.at: Was bedeutet das für die Wälder?
Paun: Das können wir in Deutschland und Österreich sehen, wo dieses Modell bereits angewendet wird. Ganze Flächen werden kahlgeschlagen, Plantagen gepflanzt, wieder kahlgeschlagen und wieder Plantagen gepflanzt. Die Wälder werden behandelt wie ein Weizenacker, wo geerntet, gepflanzt und wieder geerntet wird.
Die Wälder sterben und können die natürlichen Funktionen nicht mehr erfüllen. Sie kühlen die Umgebung nicht mehr ab. Sie speichern kein CO2. Sie bieten keinen Lebensraum mehr für Tiere und Pflanzen. Sie werden zu Brachflächen. Wir haben darauf aufmerksam gemacht und die Öffentlichkeit auf unserer Seite. Und wir machen großen Druck.
Vor 23 Jahren war ich eine einzige Stimme. Dann kamen mehr NGOs. Dann gab es einige lokale Aktivist:innen. Nun gibt es auch mehr Aufklärung in der Presse. So ist die Öffentlichkeit inzwischen besser gebildet, um Widerstand gegen die Verbrechen in der Forstwirtschaft zu leisten. Und das tut sie.
MOMENT.at: Wie gefährlich ist Ihre Arbeit?
Paun: In den vergangenen Jahren wurden mehrere Waldschützer:innen und Förster:innen ermordet. Viel mehr wurden attackiert und bedroht. Auch ich.
Ich wurde viele Male fast getötet und gehe nicht einmal mehr zur Polizei. Sie sind nämlich Teil des Problems. Als ich einmal mit einem TV-Team unterwegs war, wurden wir in den Wäldern attackiert. Wir sind geflüchtet und haben die Polizei gerufen. Als sie kam, schüchterten die Beamt:innen uns ein und nicht die Kriminellen.
Bei einem Tötungsversuch 2015 dauerten die Ermittlungen der Justiz so lange, dass das Verbrechen verjährt war. In der Zwischenzeit wurde ein Gesetz verabschiedet. Eine Straftat verjährt, wenn die Justiz mit der Untersuchung von Straftaten zu lange braucht. Die Kriminellen müssen einen Prozess nur so weit in die Länge ziehen, dass er abläuft.
Das habe ich vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gebracht. Ich bin mir sicher, dass sie zu meinen Gunsten entscheiden werden. Doch selbst dann werden nicht die Kriminellen bestraft, sondern nur die rumänische Regierung. Und der rumänischen Regierung ist das wohl egal. Rumänien ist unter den Top 4 Nationen bei den anhängigen Verfahren am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Eine weitere Verurteilung wegen Missachtung der Menschenrechte ist also nichts für sie.
2019 wurde auch ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt. Von Holzfällern und Wilderern, also auch Jägern. Die Regierung weiß es und unternimmt nichts dagegen. Für sie bin ich ein Verräter. Denn ich schädige den Ruf des Landes. Doch ich habe viele Jahre versucht, meiner Regierung zu helfen, die Situation in den Griff zu kriegen. Doch es hat nichts gebracht. Also deckte ich die Machenschaften auf und machte sie öffentlich.
Ich entlarve dabei aber nicht nur den Teil der Holzmafia, der mit der Regierungskorruption in Rumänien zu tun hat. Ich berichte auch über Konzerne aus anderen Ländern. Aus den USA, Österreich, Deutschland, der Türkei, Schweden.
Wir sind unabhängig und nicht auf öffentliche Gelder oder Unternehmensgelder angewiesen. Es sind nur kleine Spenden von Menschen, die uns die Freiheit geben, jeden für immer zu kritisieren.
MOMENT.at: Und trotzdem hören Sie nicht auf?
Paun: Solange du kämpfst, hast du eine Chance. Tue nichts und es wird auch nichts passieren.
Ich habe Angst, aber ich werde nicht aufhören, nein. Denn wenn ich aufhöre, bin ich moralisch tot. Und das tut mehr weh als der physische Tod. Ich denke, wenn du feige bist, kannst du im Leben viele Male sterben. Wenn du mutig bist, stirbst du nur einmal. Und daran wirst du dich nicht erinnern.
Das Gespräch fand bei einem Pressetermin der Stiftung COMÚN statt.
Stellungnahmen der Unternehmen:
Wir haben die Unternehmen HS Timber Group GmbH, Egger GmbH & Co OG sowie Kronospan in Österreich um Stellungnahme gebeten. Die HS Timber Group hat geantwortet: „Als HS Timber Group stellen wir sicher, dass unser gesamtes Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern bezogen wird. Wir schließen insbesondere Holz aus Urwäldern und Nationalparks aus und kontrollieren unsere Lieferanten hinsichtlich der Einhaltung dieser Regeln. Lieferanten, die sich nicht an unsere Holzbeschaffungsgrundsätze halten wollen, werden nicht akzeptiert. Verstöße werden geahndet. Das kann bis zum Ausschluss aus der Lieferkette führen.“ Das Unternehmen verweist darauf, dass es führend bei der Kontrolle und Transparenz der Holzlieferkette sei und die Datensätze ein Jahr lang öffentlich zugänglich seien.
Die Egger Gruppe antwortet, dass sie „als ausgesprochener Befürworter einer nachhaltigen Forstwirtschaft und des verantwortungsvollen Umgangs mit Ressourcen bekannt“ sei. Man nutze Kontrollmechanismen, die „weit über die üblichen Standards hinausgehen“. Neben der nationalen und europäischen Gesetzgebung halte man sich „selbstverständlich“ an zusätzliche Zertifizierungssysteme. Außerdem würden Kontrollmechanismen Dritter, wie der Forest Stewardship Council (FSC) und das Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes (PEFC) eingesetzt. Die Legalität sei gewährleistet, die Herkunft des Holzes nachvollziehbar. „Wir haben damit alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt“, sagt das Unternehmen weiter. Die rumänischen Behörden müssten allerdings die Vorschriften verbessern und ihre transparente und sorgfältige Umsetzung sicherstellen.
Der Spanplattenhersteller Kronospan hat sich bis Redaktionsschluss nicht geäußert.