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Arbeitswelt
Klimakrise

Ich seh den Urwald vor lauter Fichten nicht

Zu sehen sind zwei Personen, die Autorin des Artikels, Lisa Wohlgenannt, im Gespräch mit einem Forst Experten. Die beiden stehen an einem Aussichtspunkt, umrahmt von Natur und in die Weite der Hügellandschaft der Wälder
Urwald in Österreich. Ja, das gibt es. Allerdings nur sehr wenig. Die Biodiversitätsstrategie sieht vor, mehr Flächen unter Schutz zu stellen. Die Forstwirtschaft schreit auf. Wald schützen und nutzen sei kein Widerspruch. Stimmt das?
Wege gibt es hier nicht. Über Stock und Stein gehen wir an Wildschwein-Dung vorbei. Zumindest ordnet Waldexperte Matthias Schickhofer den etwas beißenden Geruch so für uns ein. „Denen möchte ich nicht unbedingt begegnen“, sagt unsere Kamerafrau. „Hier gibt es auch Wölfe“, antwortet Schickhofer amüsiert. Es ist laut, Vögel zwitschern wild durcheinander. Immer wieder fällt ein besonders lauter Schrei auf. Es ist der Flugruf des Schwarzspechts. Ungefähr so sieht Urwald in Österreich aus. So riecht und klingt er. 

Viel davon gibt es nicht mehr. Der letzte große Urwaldrest ist der Rothwald im Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal in Niederösterreich. Ein Ur- oder Primärwald ist ein Wald, den die Menschen nie verändert haben. Wo sie also keine Bäume gefällt, Bäumchen gepflanzt oder Forstwege angelegt haben. In diesen Wald darf man auch nicht so einfach rein.

Im Kamptal, wo uns Matthias Schickhofer deshalb stattdessen durch die Wälder führt, ist kein Ur- sondern ein Naturwald. Das ist ein Wald mit standorttypischen Bäumen. Die Wälder sind im Hinblick auf die Struktur, die Komplexität und Artenvielfalt noch natürlich. Es gab aber Eingriffe durch den Menschen. 

 

Österreich: Land der Berge ohne Urwälder

Ur- und Naturwälder gibt es kaum mehr in Österreich. Mit knapp 4 Millionen Hektar Fläche ist fast die Hälfte Österreichs von Wald bedeckt. Davon sind jedoch nur 3 Prozent natürlich. Weitere 8 Prozent sind sehr naturnah. Das soll sich mit der “Biodiversitätsstrategie 2030+” ändern. Die beruht auf Plänen der EU, das Umweltministerium will sie umsetzen.

30 Prozent der Fläche Österreichs sollen unter Schutz gestellt werden. Und auf diesen soll dazu noch der Anteil der streng geschützten Flächen „entscheidend erhöht“ werden. Von 10 Prozent ist die Rede. Die Forstwirtschaft könnte diese dann nicht mehr nutzen. Entsprechend stark ist deren Widerstand. Man könne Wald schützen und gleichzeitig wirtschaftlich nutzen, sagt Martin Höbarth, forstlicher Ansprechpartner der Landwirtschaftskammer Österreich.

Wald schützen und nutzen: Ein Widerspruch?

Ist da was dran? „Ja und nein“, sagt Waldexperte Matthias Schickhofer, „Man kann Wälder so nutzen, dass Naturschutz integriert ist in das Wirtschaftskonzept.“ 

Das bestätigt auch Karlheinz Erb. Er leitet das Institut für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) und sagt: „Es stimmt, dass es kein Widerspruch sein muss. Es ist aber in der Realität häufig so, dass es ein Widerspruch ist.“

Wenig Vielfalt, viel Schadholz

Österreich ist ein Land mit überdurchschnittlich intensiver Waldnutzung. Die Artenvielfalt ist in vielen Wäldern gering. Fast jeder zweite Baum ist eine Fichte. Gefolgt von der Rotbuche mit einem Anteil von 10,5 Prozent. Darauf folgen Lärchen, Weißkiefern, Tannen und Eichen mit nur mehr einstelligem Prozentanteil. 30,6 Prozent sind „sonstige Bäume”.

“Fichtenreinbestände”, also Monokulturen mit nur dieser Baumart, kommen häufig vor. Auf teils großen Flächen stehen sie in Reih und Glied. Meist gleich alt und gleich groß. Es ist dunkler, kälter, leiser als im Naturwald. Hier hört man nur vereinzelt einen Vogel rufen. 

Dabei kommen Fichtenreinbestände in der Natur ebenfalls vor. In hohen Lagen, wo die Art ihr „ökologisches Optimum“ findet, erklärt Simone Gingrich. Auch sie ist Wissenschaftlerin an der BOKU. 

Künstlich angelegt in niedrigen Lagen sind sie allerdings ein Problem. Denn dann sind sie schlecht für Klima sowie Artenvielfalt und besonders anfällig für die Auswirkungen der Klimakrise. Es ist zu warm und durch die Erderhitzung wird es immer wärmer. Die Fichten haben flache Wurzeln, trocknen deshalb schneller aus und sind anfälliger für Windschäden oder Borkenkäferbefall. Hat sich der Borkenkäfer erst einmal eingenistet, schaut es für so eine Monokultur schlecht aus.

Deutlich macht das der Anteil von Schadholz. Dieser war in den vergangenen Jahren sehr hoch. 2022 waren es 37,5 Prozent der gesamten Ernte. Die Hälfte davon geht auf das Konto des Borkenkäfers – auf das von Stürmen ein weiteres Drittel.

 
 
 
 

Von den besten lernen: den Wäldern

Dass Wald schützen und nutzen tatsächlich kein Widerspruch sein muss, zeigt das Stift Altenburg in Niederösterreich. 2018 erhielt es den Staatspreis für beispielhafte Waldbewirtschaftung und den Sonderpreis „klimafitte Wälder“. Rund 2.800 Hektar Wald werden hier gepflegt und bewirtschaftet. Der Naturwald im Kamptal ist einer davon.

Vor über 30 Jahren hat das Stift damit begonnen, Wälder naturnah zu bewirtschaften. Die Verbesserungen seien innerhalb kurzer Zeit erkennbar, sagt Forstdirektor Herbert Schmid. Das Stift Altenburg hat Flächen, in die sie gar nicht eingreifen. Dort wird die Natur beobachtet, von ihr gelernt und in die bewirtschafteten Wälder übernommen. Die sehen ähnlich aus wie der Naturwald und klingen auch so. 

Unterschiede zwischen naturnahem Wald und Naturwald sieht man am ausgeklügelten Netz an Forstraßen und am Totholz. Hier sind das keine von selbst umgestürzten Bäume, die liegengelassen wurden. Es ist Holz, das geschnitten und bewusst platziert wurde. Die Baumstämme ragen oft noch ein bis eineinhalb Meter aus dem Boden. Das bietet Lebensraum und Nistplätze für viele Tier- und Pilzarten.

In den naturnah bewirtschafteten Wäldern wachsen immer noch unterschiedlichste Baum- und Pflanzenarten. Sie vermehren sich natürlich durch ihre Samen. Naturverjüngung nennt man das. 

Außerdem setzt das Stift in der naturnahen Waldbewirtschaftung auf das System des Dauerwalds. Das heißt, die Bäume sind unterschiedlich alt und es gibt keine Kahlschläge, bei denen alle Bäume gefällt werden. Stattdessen werden nur einzelne Bäume gefällt und dem Wald entnommen. Bevorzugt dort, wo bereits junge Bäumchen wachsen. Sie bekommen dadurch mehr Sonne und wachsen besser. Der Boden ist nie großflächiger Sonneneinstrahlung ausgesetzt, heizt sich weniger auf und bleibt fruchtbar.

Eine Herausforderung ist jedoch der Wildbestand. Denn Rehe fressen die jungen Pflanzen. Gibt es zu viel Wild, kommen die jungen Pflanzen kaum durch. Deswegen wird der Wildbestand reguliert und die jungen Pflanzen mit Brombeersträuchern geschützt. Die Blätter und Früchte sind einerseits Nahrung, sodass die Tiere die Bäumchen nicht fressen müssen. Andererseits schützen die Dornen die jungen Pflanzen.

Es gibt unterschiedliche Definitionen für unterschiedliche Wälder. Bekannt und in dieser Recherche relevant sind: 

Naturwälder sind Wälder mit standorttypischen Bäumen, die also natürlich an diesen Orten vorkommen. Die Wälder sind im Hinblick auf die Struktur, die Komplexität und Artenvielfalt noch natürlich. Urwälder oder Primärwälder sind Naturwälder, die darüber hinaus nie durch den Menschen verändert wurden. Ein Forst ist dagegen ein künstlich begründeter Wald, der anstelle einer natürlichen Waldgesellschaft gepflanzt wurde. 

Mit Eichelhäher und Eichhörnchen zur Artenvielfalt

Wie wird aber aus einem Fichtenreinbestand ein naturnaher Wald? Im Stift Altenburg haben sich einerseits naturnahe Bestände mit der Zeit von selbst in angrenzenden Reinbeständen ausgebreitet, erklärt Schmid. Wo auf großen Flächen Fichtenreinbestände waren, hilft man der Natur etwas nach. An den Waldrändern stehen kleine Holztischchen, die beispielsweise mit Eicheln und Bucheckern befüllt sind. Eichelhäher und Eichhörnchen holen sich diese, verstecken sie im Wald, vergessen einen Teil und so kommen alte Baumarten wieder in die Wälder. Und damit die Vielfalt. Die Bäume vermehren sich dann auch hier selbständig weiter.

Mehr Vielfalt rentiert sich auch wirtschaftlich

Das sei auch wirtschaftlich rentabel, erläutert der Forstdirektor: „Wir machen bessere Umsätze und Gewinne, weil wir nicht hunderttausende Pflanzen aufforsten müssen. Das macht die Natur selber.“ Außerdem seien die Wälder durch die Vielfalt stabiler und der Schadholzanteil geringer. Die selteneren Bunthölzer wie Ahorn seien darüber hinaus mehr wert als die „Massenware Fichte“.

Häufig sei die Sorge, dass Bäume wie Ahorn oder Eiche langsamer wachsen. Ein Irrtum, sagt Schmid: „Wenn der Standort passt, wachsen sie genauso schnell.”

 

Die unterschiedlichen Wälder unterscheiden sich optisch stark. Doch wichtiger sind die Unterschiede in Artenvielfalt und den Ökosystemfunktionen, die sie erfüllen.

v.l.n.r. MOMENT Magazin/Jessica Zekar, MOMENT Magazin/Jessica Zekar, Matthias Schickhofer

„Klimafitte Wälder“ fördern

Auch die Politik hat erkannt, dass Vielfalt in den Wäldern wichtig ist. So werden inzwischen keine Fichtenreinbestände mehr gefördert, erklärt Schickhofer. Stattdessen gibt es Förderungen wie den Waldfonds, die die Umrüstung zu klimafitten Wäldern unterstützen. Darunter fallen auch die „Errichtung klimafitter Wälder“, die „Stärkung, der Erhalt und Förderung der Biodiversität im Wald“ und der „Forschungsschwerpunkt ‚klimafitte Wälder‘“, heißt es darin.

Der Trend geht hin zu mehr Laubholz und Mischwäldern, zeigt die österreichische Waldinventur des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW). Demnach sind Laubholzreinbestände um 8 Prozent, gestiegen, Nadelholzreinbestände im vergangenen Jahrzehnt um 6 Prozent zurückgegangen und Laubholzmischbestände um denselben Prozentsatz gestiegen. Damit sind aber immer noch 56,4 Prozent der Wälder Nadelholzreinbestände. 

Außerdem wird der Anteil an Totholz in den Wäldern ausgebaut und weniger Holz entnommen, als nachwächst. Etwa 89 Prozent des Holzzuwachses wird laut österreichischem Waldbericht geerntet. „Das ist zu viel“, sagt Karlheinz Erb von der BOKU. Die nachhaltige Nutzungsrate sollte unter 75 Prozent liegen. „Wir müssen weniger verbrauchen und vor allem weniger verbrennen“, sagt der Wissenschaftler. Der forstliche Sprecher der Landwirtschaftskammer Höbarth sieht das anders.

 
 
 
 

Verbrennen wir mit dem Holz unsere Zukunft?

Um die Klimakrise einzudämmen, müssen die CO2-Emissionen in den nächsten Jahren auf Netto-Null gesenkt werden. Fossile Brennstoffe müssen durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Da sind sich noch alle einig. Welche Form der Erneuerbaren wie genutzt werden soll, da gehen die Meinungen allerdings auseinander. Höbarth argumentiert naturgemäß für das Holz.

Bäume und Böden entnehmen beim Wachsen CO2 aus der Luft. Damit sind Wälder wichtige Kohlenstoffsenken im Kampf gegen die Klimakrise. Im Alter von 41 bis 60 Jahren binden die Bäume das meiste CO2. Danach nimmt diese Leistung tendenziell etwas ab, erklärt Höbarth. In der Forstwirtschaft werden die Bäume im noch recht jungen Alter von 50 bis 100 Jahren gefällt und die Wälder so künstlich jung gehalten. Werden sie verbrannt, wird der gespeicherte Kohlenstoff freigesetzt und gelangt wieder in die Atmosphäre. Doch auch wenn sie sterben und verrotten, gelangt ein großer Teil des Kohlenstoffs wieder in die Atmosphäre, argumentiert er.

Erb von der BOKU kennt die Argumentation. Er entgegnet, dass die Wissenschaft inzwischen weiß, dass es für das Klima besser ist, die Bäume stehen und wachsen zu lassen. Für die Energie sind Wind- und Solarenergie oder Wärmepumpen die klimafreundlichere Alternative. Auch Gingrich macht deutlich: Ersetzt man fossile durch Holz, „dann überfordert das die Wälder.“ Allem voran ist es aber wichtig, Energie zu sparen – beispielsweise durch bessere Isolierungen. 

„Holz ist nicht gleich Holz. Ein Produkt, das sinnvoll war und langlebig genutzt wurde und am Ende der Lebensdauer verbrannt wird, da hat niemand etwas dagegen“, sagt Erb. Primärholz zu verbrennen sei jedoch nicht klimafreundlich.

Lieber bauen als verbrennen

Besser sei es, Holz für langlebige Produkte wie Möbel oder den Hausbau zu nutzen, erklären die Wissenschaftler:innen. Damit bleibt das CO2 im Holz. Die Forstwirtschaft argumentiert, dass der Großteil bereits entsprechend genutzt werde. „Das ist nicht richtig.“, erklärt Simone Gingrich, „Wir verbrennen fast so viel, wie im Wald zuwächst.“ Das zeigt auch eine Berechnung des Climate Change Centre Austria (CCCA). Aber auch unabhängig von der Nutzung gibt es Grenzen, die wir einhalten müssen, betonen Erb und Gingrich.

 
 
 
 

Urwald für die Artenvielfalt

Zurück im Naturwald mit Matthias Schickhofer. Diese Wälder kann die naturnahe Waldwirtschaft mit weniger Holzverbrauch nicht ersetzen, ist sich der Waldexperte sicher. Mit der Biodiversitätsstrategie will die EU und die Grüne Umweltministerin Leonore Gewessler die biologische Vielfalt erhalten. Dazu wurden unterschiedliche Maßnahmen ausgearbeitet. 

„Hands off: 10 Prozent strenger Schutz für natürliche Ökosysteme ist das Mindeste”, sagt Schickhofer, “Es gibt Wissenschaftler:innen, die sagen, wir brauchen 30 bis 50 Prozent strengen Schutz. Sonst kollabiert die Biosphäre und unsere Kinder sterben.“ Wälder erfüllen wichtige Ökosystemfunktionen: Sie speichern und reinigen Wasser, produzieren Sauerstoff und kühlen die Landschaft. Unnatürliche Wälder können das nur eingeschränkt. Durch die Klimakrise sterben sie darüber hinaus immer öfter. Dann erfüllen sie diese Funktionen gar nicht mehr. Deswegen ist es wichtig, die natürlichen und widerstandsfähigen Wälder zu schützen, erklärt Schickhofer.

Auch Gingrich sagt, dass Flächen außer Nutzung gestellt werden müssen: „Die Flächen sind notwendig, um zumindest über einige Jahrzehnte Kohlenstoff abzubauen und Biodiversität zu schützen.“ Biodiversität beschreibt die biologische Vielfalt. Sie ist die Grundlage unseres Ökosystems und damit unserer Lebensgrundlage. Sie besteht aus a) der genetischen Vielfalt innerhalb einer Art, b) der Vielfalt aller Tier- und Pflanzenarten und c) der Vielfalt von Lebensräumen. Und sie geht zurück.

Wissenschaftler:innen warnen eindringlich vor der zweiten großen Umweltkrise: Dem Artensterben, auch Biodiversitätskrise genannt. Klimakrise und Biodiversitätskrise sind unterschiedliche Krisen, aber eng miteinander verbunden. Die Erderhitzung wird das Artensterben vorantreiben. Das ist nicht nur für die bedrohten Tiere, sondern auch für die Menschheit ein Problem. Denn wir sind auf ein funktionierendes Ökosystem angewiesen, das wiederum auf die Artenvielfalt angewiesen ist. In Ur- oder Naturwäldern bzw. in naturnah bewirtschafteten ist die Biodiversität in allen drei Teilbereichen höher als in künstlichen Reinbeständen. 

“Den ein oder anderen Teil der Natur überlassen”, das mache die Forstwirtschaft sowieso, entgegnet Höbarth. Gesetzliche Vorschriften brauche es da nicht. Der geringe Anteil an natürlichen oder sehr natürlichen Flächen spricht allerdings eine andere Sprache. Doch einen gemeinsamen Nenner gibt es: Der Wald ist wichtig im Kampf gegen die Klimakrise und er selbst leidet bereits jetzt unter ihr. Ihn zu schützen, ist dringend notwendig.

 

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