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Arbeitswelt

16.000 Euro nach Kündigung: Will eine A1-Tochter keinen Betriebsrat?

Betriebsrat bei wedify: Mehrere Angestellte eines Call-Centers sitzen vor einem Computer und tragen Headsets
Daniel Auenhammer wollte bei der A1-Tochter we.dify einen Betriebsrat gründen. Kurz davor wird er plötzlich gekündigt. Auenhammer wehrt sich vor Gericht - und erhält eine Entschädigung. Betriebsrat gibt es jedoch noch immer keinen.

“Eines Abends hat es bei mir daheim geklingelt. Da stand einfach ein Kunde vor meiner Haustür und hat mir gedroht, weil ich sein Problem nicht lösen konnte. Der hat sich gemerkt, wie ich heiße, hat meine Adresse online gefunden und wollte das dann besprechen”, erzählt Daniel Auenhammer. Er habe ihm dann mit der Polizei gedroht, irgendwann ist der Mann gegangen. Wer anfängt, bei einem Call-Center zu arbeiten, rechnet wahrscheinlich nicht mit sowas.

Auenhammer arbeitete bei we.dify. Erst als Leiharbeiter. Dann fix angestellt. we.dify bezeichnet sich als “Multichannel Service Center” und wurde Ende 2018 als Tochter von A1 gegründet. Wer Fragen oder Probleme mit seinen A1-Produkten hat, landet mit seinen Anrufen dort, wird beraten – und erhält am Ende vielleicht ein neues Produkt.

“Du wirst dort mindestens zwei Menschen antreffen, die wegen des Drucks weinen”

Auenhammers Job war herausfordernd. Nicht nur wegen Anrufer:innen, die ihn manchmal am Telefon beschimpften oder sogar zu Hause besuchten. Es lag auch an den Arbeitsbedingungen, wie MOMENT.at in Gesprächen mit Auenhammer sowie weiteren ehemaligen und aktiven Mitarbeiter:innen erfährt. “Wenn du jetzt hinfährst, wirst du dort mindestens zwei Menschen antreffen, die wegen des hohen Druckes weinen. Das garantiere ich dir”, sagt eine von ihnen.

Doch Auenhammer hat seinen Job auch gerne gemacht. Er konnte dabei Menschen helfen – nicht nur denen, die mit Problemen und Fragen zu ihren “bob”-Produkten angerufen haben, sondern auch Mitarbeiter:innen. “Die Neuen erhalten einen Monat Ausbildung, dann werden sie ins kalte Wasser gestoßen. Sie brauchen noch Hilfe, sind aber oft auf sich alleine gestellt. Die Leute müssen ihre Arbeitsleistung erbringen.” Auenhammer hat sich oft um sie gekümmert. Sein Spitzname: “bob-Mama”.

Ein junger Mann mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte. Es ist ein Bild von Daniel Auenhammer.

Daniel Auenhammer hätte gerne auch den Menschen im Unternehmen geholfen.
Foto: privat

Auenhammer will die Situation in der Arbeit für alle grundsätzlich verbessern. Bereits Anfang 2023 spielt er deswegen mit dem Gedanken, einen Betriebsrat für die damals über 350 Mitarbeiter:innen zu gründen. Den gibt es bei we.dify im Gegensatz zum Mutterkonzern nicht. Im Herbst beginnen konkrete Planungen. Auenhammer lässt sich von der Gewerkschaft beraten, er kontaktiert auch MOMENT.at. Er habe die Geschichte von Thomas Stöckl gelesen, der einen Betriebsrat gründen wollte und deswegen hinausgeworfen wurde. Falls ihm das auch passiert, soll es jemand mitkriegen. 

Auenhammer will einen Betriebsrat. Plötzlich kommt die Kündigung von we.dify 

Auenhammer bezieht auch Kolleg:innen mit ein. 14 Personen sind involviert. Eigentlich sollte die Gründung im Dezember 2023 erfolgen. Sie verzögert sich etwas. Ein Kollege in höherer Position ruft ihn vor Weihnachten zweimal an und bittet ihn, von einem Betriebsrat abzusehen. Er habe Angst um seinen Job, weil er von der Gründung wisse. Ein Betriebsrat würde nur Probleme bringen. Der zweite Anruf wirkt eher wie eine Drohung.

Am 10. Jänner, direkt nach seinem Urlaub, holt die Chefin Auenhammer überraschend in ihr Büro. Man sei mit seiner Arbeitsleistung nicht mehr zufrieden. Auenhammer wird unverzüglich freigestellt, alle seine Zugänge werden gesperrt. Er soll die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses unterzeichnen. Das tut er nicht. Für ihn ist klar: Es hängt mit der Betriebsratsgründung zusammen. we.dify dementiert das, darf die Gründe für die Kündigung jedoch aus Datenschutzgründen nicht kommentieren. Das Unternehmen betont, dass zum Zeitpunkt der Kündigung nicht bekannt war, dass Auenhammer einen Betriebsrat gründen wollte. 

Drei Monate nach der Kündigung sitzt Auenhammer mit ehemaligen Kolleg:innen am Abend eines Sommertages im Frühling im Gastgarten einer Cocktailbar in Wien. Zwischen der Kündigung und dem Abend liegen mehrere Termine bei der Arbeiterkammer und einer am Arbeits- und Sozialgericht Wien. Die Stimmung ist gelöst, Auenhammer berichtet von seinen Erlebnissen. Bei der Erinnerung an den Prozess muss er schmunzeln. “Sogar meine Rechtsvertretung war etwas baff, dass die Gegenseite unsere Forderung akzeptiert hat.”

Die Vorwürfe: Schlechte Leistung, Unruhe im Team

Laut der Prozessdokumente habe we.dify Auenhammer keinesfalls wegen einer möglichen Betriebsratsgründung gekündigt. Vielmehr seien personenbezogene Gründe die Ursache gewesen: Er habe unangemessen auf Arbeitsanweisungen reagiert, “sein ständiges offenes Infragestellen der Entscheidungen seiner Führungskraft” habe außerdem die Belegschaft demotiviert. Damit passe er nicht mehr zur Unternehmenskultur.

Die Beweise, die we.dify dafür vorgelegt hat: 6 Screenshots aus Teams-Chatverläufen. In einem Gruppenchat fragt Auenhammer nach: “[…]wir (sind) schon so mit den Bob Halden überfordert und da spreche ich bestimmt für alle…Wieso wurden wir da nicht gefragt?” Eine Kollegin stimmt ihm darunter zu. Ein anderer Screenshot zeigt zwei Nachfragen seines direkten Vorgesetzten, ob er noch länger für einen Fall brauche und dass er seine Werte pushen solle. Es sind vereinzelte Chats aus vier Monaten.

Zudem sei Auenhammers Leistung seit dem Frühjahr 2023 eingebrochen, das würden seine Werte zeigen. Nur: Das Frühjahr 2023 brachte auch die Einführung eines neuen Programms. Angestellte mussten seitdem Online-Beschwerden behandeln und gleichzeitig Anrufe entgegennehmen. In Auenhammers Team kündigen am Tag der Einführung zwei Personen. Der Stress wurde ihnen zu viel.

Doch kein „Great Place to Work“?

Lange habe das Verfahren bei Gericht nicht gedauert. Zehn Bruttomonatsgehälter hat Auenhammer in einem Vergleich als Abfertigung bekommen. Als Schuldeingeständnis gilt die Einigung offiziell freilich nicht. Ein Sprecher von A1 weist darauf hin, dass die außergerichtliche Einigung Zustande gekommen sei, um sich Aufwendungen und eine lange Verfahrensdauer zu sparen. Auch er schließt aus, dass die Kündigung mit einer möglichen Betriebsratsgründung im Tochterunternehmen zusammenhängen könnte.

Für Auenhammer hingegen ist immer noch klar, dass das der eigentliche Grund der Kündigung war. Eine ehemalige Kollegin findet seinen Rauswurf auch deswegen ungewöhnlich, weil das sonst bei we.dify anders ablaufe: “Normalerweise ekeln sie dich raus und du kündigst selbst.” Der ohnehin schon hohe Druck werde so lange weiter erhöht, bis man es nicht mehr aushalte. we.dify dementiert das und weist auf die „weit unterdurchschnittliche Fluktuation“ im Vergleich zu anderen Unternehmen in der Branche hin.

Wie passen die Erzählungen damit zusammen, dass we.dify dank der Abstimmung von Angestellten mehrfach als “Great Place to Work” ausgezeichnet wurde? Bei der Erwähnung müssen die ehemaligen Kolleg:innen lachen. Es sei ein offenes Geheimnis, dass neue Angestellte in Kleingruppen angeleitet würden, den Arbeitgeber gut zu bewerten. Das Unternehmen betont, dass es Mitarbeitende natürlich darauf hinweisen würde und sich über Bewertungen freue. Es sei jedoch freiwillig und völlig anonym.

Ein realistisches Bild würde man auf anderen Plattformen wie kununu finden, sagen Angestellte. Und tatsächlich liest man dort viele der Beschwerden, von denen Mitarbeiter:innen MOMENT berichten.

„Man versucht den Kunden zu helfen und deren Probleme zu lösen. Man will dem Kunden nichts verkaufen. Wenn der Kunde drum fragt sehr gerne aber wenn er nichts kaufen möchte, warum müssen wir dem etwas anbieten?“ Bewertung auf kununu.at

Es ist eine Beschwerde, die in den Gesprächen immer wieder fällt: Man werde zur Verkaufsperson gedrillt und habe eine gewisse Quote zu erfüllen. “Bei Bewerbungsgesprächen wird das nicht angesprochen. Im Ausbildungsmonat erwähnen sie nur, dass man auch Verkäufe machen kann und dafür Provision kriegt. Das klingt ja eigentlich toll”, sagt eine aktive Mitarbeiterin von we.dify. Bei aktuellen Stellenausschreibungen wird auch gefordert: “Verkauf ist für Dich ein klarer Teil von Kundenservice“. Dass man eine gewisse Anzahl an Verkäufen erfüllen muss, erfahre man aber erst später. Wer die geforderte Zahl nicht erreicht, bekomme Probleme. 

Das bestätigen auch ehemalige Angestellte. Sie berichten von einer Conversion Rate von 15 Prozent. Sprich: 15 von 100 Kund:innen, die wegen Problemen anrufen, muss man auch ein Produkt verkaufen. Dafür gibt es aber auch eine Provision. Die reicht von 1 Euro bei einfachen Verkäufen bis hin zu 25 Euro. Die erhält man bei Neukund:innen, die den teuersten Vertrag abschließen. Der kostet über 200 Euro im Monat. 

„Kundenservice ist immer auch zu einem Teil mit vertrieblichen Komponenten verbunden“, so we.dify. Wer ein Produkt nutze, das nicht mehr zu einem passt, bekäme natürlich ein besseres Produkt angeboten. Ob es einen Verkaufszwang gibt, beantwortet das Unternehmen nicht.

Zweieinhalb Jahre waren zwei zu viel.

Die Gruppe vor der Cocktailbar wird langsam größer. Als ein ehemaliger Kollege auftaucht, reißt er die Hände als Jubelgeste in die Höhe. Auch er hat we.dify verlassen. Eine Anwesende sagt trocken: “Die zweieinhalb Jahre, die ich da gearbeitet habe, waren zwei zu viel.” Die Gruppe berichtet über weitere problematische Zustände, etwa Anrufe bei Angestellten während ihres Krankenstands. Auch “falsche” Verkäufe seien ein Problem. Dabei würden Kund:innen nicht darüber informiert, dass sie für ein Zusatzprodukt zahlen. Sie erhalten einfach eines dazu. Aufgrund des Verkaufsdrucks käme das aber immer wieder vor, auch wenn es offiziell nicht gerne gesehen wird.

Eine aktuelle Angestellte berichtet zudem davon, dass man zwar gewisse Dienstzeiten bei der Einteilung präferieren könne – das aber sehr häufig nicht eingehalten werde. Auch Eltern oder Menschen mit langen Arbeitswegen würden zu Spätdiensten eingeteilt.

Alles Probleme, für die ein Betriebsrat da sein könnte.  “Ich wollte einfach, dass es den Leuten in der Arbeit besser geht. Ich habe ja gesehen, wie einige darunter gelitten haben,” sagt Auenhammer. Er freut sich auf seine anstehende Ausbildung zum Pflegeassistenten. Seine Abfertigung hat we.dify etwas Geld gekostet. Einen Betriebsrat bekommt das Unternehmen vorerst wohl nicht. Ehemalige Mitstreiter:innen seien durch seine Kündigung eingeschüchtert, so Auenhammer. Laut we.dify habe man weder in der Vergangenheit eine Betriebsratsgründung verhindert, noch werde man das in der Zukunft machen. Das Projekt liegt dennoch vorerst auf Eis.

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