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Arbeitswelt

Der verhinderte Betriebsrat: Erst Kündigung, dann Anwaltsbrief und Entlassung

Thomas Stöckl wollte bei GL-Spezialverglasung einen Betriebsrat gründen. Ihm wurde gekündigt. Nachdem MOMENT.at berichtete, bekam er Post vom Unternehmen.
Die Firma GL-Spezialverglasung kündigte ihren Mitarbeiter Thomas Stöckl. Weil er einen Betriebsrat gründen wollte, sagt er. MOMENT.at berichtete darüber. Darauf bekommt Stöckl erst einen Anwaltsbrief mit Ultimatum und dann die Entlassung. Darin bestreitet das Unternehmen den Vorwurf der Kündigung wegen Betriebsratsgründung mit keinem Wort. Was GL-Spezialverglasung viel mehr zu stören scheint: MOMENT.at nannte die Namen seiner Auftraggeber ÖBB und Wiener Linien.

Die Reaktion war schnell und heftig. Am 10. Oktober berichtete MOMENT.at darüber, wie der Niederösterreicher Thomas Stöckl von seinem Arbeitgeber GL-Spezialverglasung unter fragwürdigen Umständen gekündigt worden war. Kündigung, Freistellung, Hausverbot hieß es für Stöckl von einem Tag auf den anderen. Doch es ging weiter: Nach dem Artikel schickte GL-Spezialverglasung erst einen einschüchternd wirkenden Brief an Stöckl und dann die Entlassung.

Stöckl wollte am österreichischen Standort der deutschen Firma in Großebersdorf einen Betriebsrat gründen. Und deshalb sei er gekündigt worden. Für Stöckl war das offensichtlich. Die zeitliche Abfolge ließ für ihn keinen anderen Schluss zu. Seit zehn Monaten hätten seine Kollegen vom Plan für den Betriebsrat Bescheid gewusst. Nur Stunden nachdem Stöckl den Stellvertreter seines Chefs darüber informiert hatte, bekam er plötzlich die Kündigung.

Gekündigt wegen Betriebsratsgründung? Die Firma schweigt

MOMENT.at bat das Unternehmen mehrfach darum, zu dem Fall Stellung zu beziehen und ihn aus ihrer Sicht zu schildern. GL-Spezialverglasung nahm das Angebot nicht wahr und verweigerte jede Auskunft.

Dann geht es plötzlich doch ganz schnell: Im Posteingang von Thomas Stöckls Anwalt Dieter Kieslinger landet, nachdem der Bericht erschienen war, ein E-Mail des Wiener Anwaltsbüros Orsini und Rosenberg Striessnig. Das Schreiben wirkt mindestens einschüchternd. GL-Spezialverglasung stellt Stöckl darin ein Ultimatum, bis zu dem er sich erklären soll. MOMENT.at liegt das Schreiben vor.

Was daran auffällt ist das, was fehlt: Mit keinem Wort bestreitet der Anwalt von GL-Spezialverglasung den von Stöckl geäußerten Verdacht, ihm sei gekündigt worden, weil er einen Betriebsrat gründen wollte. Auch die geschilderte Abfolge der Ereignisse und die von Stöckl wiedergegebenen Äußerungen seiner Vorgesetzten werden von GL-Spezialverglasung nicht beeinsprucht. Man nehme das zur Kenntnis, heißt es lediglich.

GL-Spezialverglasung arbeitet für ÖBB und Wiener Linien

Die Firma stößt sich an einer anderen Sache: Dass MOMENT.at im Artikel offenlegt, für welche großen Unternehmen GL-Spezialverglasung in Österreich millionenschwere Aufträge bearbeitet. Es sind die ÖBB und die Wiener Linien. In deren Werkstätten tauschen Mitarbeiter wie Thomas Stöckl kaputte Scheiben in Zügen und Straßenbahnen aus. Die Zahlen dazu sind öffentlich einsehbar – und nicht unerheblich.

Die Datenbank offenevergaben.at listet zahlreiche Aufträge von ÖBB und Wiener Linien an GL-Spezialverglasung im Volumen von mindestens 3,7 Millionen Euro auf. Im Brief an Stöckl heißt es, für das Unternehmen sei „nicht ersichtlich“, weshalb im Artikel von MOMENT.at die ÖBB und Wiener Linien als Auftraggeber namentlich genannt werden.

Und GL-Spezialverglasung wirft seinem Ex-Mitarbeiter vor: Es lägen „triftige Anhaltspunkte“ vor, dass Stöckl den Artikel „gezielt an die Öffentlichkeit gespielt“ habe. Abschließend stellt GL-Spezialverglasung Stöckl ein Ultimatum: Er solle innerhalb von zwei Tagen eine Stellungnahme „zum Zustandekommen wie auch zum im Ergebnis fragwürdigen Inhalt des Artikels“ abgeben.

Nun ja. Aus dem Schreiben scheint heraus: GL-Spezialverglasung macht sich offenbar viele Gedanken darum, wie seine Auftraggeberinnen ÖBB und Wiener Linien die Kündigung von Thomas Stöckl und die mutmaßlichen Gründe dafür sehen.

Noch am gleichen Tag kommt die Entlassung

Stöckls Anwalt Dieter Kieslinger schickt nur Stunden später eine Antwort. Darin weist er den – nicht offen geäußerten, aber in den Raum gestellten – Vorwurf zurück, Stöckl habe Daten zu Auftraggeber:innen und Auftragslage an MOMENT.at weitergegeben. Das sei keine geheime Information, „sondern für jedermann im Internet einsehbar“, so Kieslinger. Der Artikel sei von Stöckl auch nicht gezielt an die Öffentlichkeit gespielt worden – sondern MOMENT.at sei für dessen Inhalt verantwortlich.

Wieder dauert es nicht lange, bis GL-Spezialverglasung reagiert: Am gleichen Tag, es ist noch immer der 10. Oktober, setzt das Unternehmen einen Brief an Thomas Stöckl auf. Darin spricht der deutsche Betriebsleiter Stöckl die Entlassung aus. Und zwar praktisch vorauseilend für den Fall, dass Stöckl seine am Landesgericht Korneuburg eingebrachte Klage auf Kündigungsanfechtung gewinnen sollte.

Also: Hebt das Gericht die Kündigung auf, kann sich Stöckl als entlassen betrachten. Sein Anwalt Kieslinger hat auch dagegen postwendend eine Anfechtungsklage eingebracht. Eine Entlassung ist für Arbeitnehmer:innen schwerwiegender als eine Kündigung. Wer – berechtigt – entlassen wird, könnte seine Abfertigung und Sonderzahlungen verlieren. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht für die Dauer von 28 Tagen.

Nun ist es aber auch so: Unternehmen, die Mitarbeiter:innen entlassen, müssen einen Grund dafür nennen. Und dieser Grund muss zutreffen. Sonst kann die Entlassung erfolgreich angefochten werden. GL-Spezialverglasung tut sich schwer damit, Thomas Stöckl einen Grund für die Entlassung zu nennen. „Die Gründe, die zur Entlassung geführt haben, setzen wir als bekannt voraus“, heißt es im Entlassungsbrief lediglich.

Ob das Arbeitsgericht das als ausreichend sieht, darf bezweifelt werden. Dass Stöckl noch einmal bei GL-Spezialverglasung seine Arbeitsmontur anzieht, ist spätestens mit der Entlassung auszuschließen. Der Vater von Drillingen hat bereits einen neuen Job angetreten: „Mit mehr Gehalt und sogar acht Betriebsräten im Unternehmen“, sagt er zu MOMENT.at.

GL-Spezialverglasung muss sich jetzt erklären

Auch diesmal fragte MOMENT.at bei GL-Spezialverglasung nach. Wir wollten wissen, was es mit dem Anwaltsbrief an Stöckl und der Entlassung auf sich hat. Diesmal kommt eine Antwort. Man wolle sich „derzeit medial nicht zu dieser Angelegenheit äußern“, schreibt Betriebsleiter Andreas Schulz, und fügt an: „Die Vorwürfe, die der ehemalige Mitarbeiter gegen uns erhebt, weisen wir aber jedenfalls als unrichtig zurück.“

Was Stöckl bei seinem Ex-Arbeitgeber erleben musste, „ist leider keine Seltenheit“, heißt es vom Österreichischen Gewerkschaftsbund ÖGB gegenüber MOMENT.at. „Immer wieder kommt es dazu, dass Unternehmen Betriebsratswahlen verhindern.“ Der ÖGB fordert, die Betriebsverfassung anzupassen. Betriebsräte zu verhindern oder in ihrer Arbeit zu behindern, sollte auch gerichtlich strafbar sein. „Es soll gezeigt werden, dass es für dieses Verhalten eine Sanktion gibt.“ Das sei auch im Sinne einer Generalprävention: „Jemand, der wegen Fehlverhaltens bestraft wurde, wird diesen Fehler wahrscheinlich nicht erneut begehen“, so der ÖGB.

Am 5. Dezember sollen sich beide Parteien erstmals vor Gericht sehen. Nicht auszuschließen ist, dass GL-Spezialverglasung nach Ende des möglichen Prozesses um die Kündigung und nachfolgende Entlassung von Thomas Stöckl noch ein paar Worte mit seinen Auftraggeber:innen von ÖBB und Wiener Linien wechseln wird müssen. Denn die jeweils zu 100 Prozent der öffentlichen Hand gehörenden Unternehmen haben Klauseln in ihren Verträgen mit Geschäftspartner:innen verankert.

„Ein vermuteter Verstoß gegen arbeitsrechtliche Regelungen, würde bei nachweislichem Vorliegen die entsprechenden juristischen Konsequenzen nach sich ziehen“, sagte ÖBB-Pressechefin Gabi Zornig zu MOMENT.at. Katharina Steinwendtner, Sprecherin der Wiener Linien antwortete: „Wir stehen für gute Arbeitsbedingungen ein und erwarten diese auch von unseren Vertragspartner*innen.“ Und das sei „natürlich auch in den Verträgen verankert“.

Zumindest eines der beiden Unternehmen hat GL-Spezialverglasung inzwischen gebeten, zur mutmaßlichen Kündigung wegen Betriebsratsgründung Stellung zu beziehen.

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