Kündigung und 120.000 Euro, damit er’s lässt: Wie XXXLutz einen Betriebsrat bekämpfte
Als Hans Jürgen Krenn vom Geschäftsführer der XXXLutz Lagerlogistik zum Gespräch eingeladen wurde, war ihm mulmig zumute. „Ich habe geglaubt, wenn ich da auftauche, warten zwei solche Schränke auf mich“, sagt er, plustert sich etwas in seinem Sessel auf und breitet die Arme aus. Krenn hatte bis vor kurzem im XXXLutz-Zentrallager im burgenländischen Zurndorf gearbeitet. Gerade war ihm gekündigt worden. Zwei muskulöse Schläger warteten dann doch nicht auf Krenn. Das Gespräch mit dem obersten Chef der Lagerlogistik hatte es dennoch in sich.
Krenn schildert es so: Sie saßen an einem Tisch des Fast-Food-Lokals Kentucky Fried Chicken in der Shopping City Süd in Vösendorf und sein Gegenüber bot ihm etwas an: Geld. Viel Geld. Fünf Jahresgehälter sollte der Lagerarbeiter bekommen, rund 120.000 Euro. Dafür bräuchte er nur eines tun: Sich von der Wahl zum Betriebsrat im XXXLutz-Zentrallager zurückziehen. Es war das, was man ein unmoralisches Angebot nennt. Als es später zu einem Prozess kam, sollte die Geschäftsführung von XXXLutz abstreiten, dass es ein Angebot gab.
MOMENT.at hält fest, dass es über den Verlauf dieses Gespräches unterschiedliche Versionen gibt und distanziert sich aus medienrechtlichen Gründen ausdrücklich von den in diesem Zusammenhang gegen den Geschäftsführer erhobenen Vorwürfen. Auf sämtliche Anfragen von MOMENT.at, sich zum Sachverhalt zu äußern, reagierte XXXLutz nicht.
Betriebsrat bei XXXLutz? Gibt’s ja nicht
Der Termin des Treffens war aber jedenfalls nicht zufällig gewählt. Einige Tage später sollten die Wahlvorschläge für die Wahl des Betriebsrats in dem riesigen Möbellager mit derzeit 80 Mitarbeiter:innen kundgemacht werden. Einen Betriebsrat beim größten Möbelhändler Österreichs mit 47 Filialen und rund 9.500 Mitarbeiter:innen? Sowas gab es bisher an keinem Standort.
Die Geschichte, wie Hans Jürgen Krenn daran scheiterte, einen zu gründen, kann erklären, warum das so ist. Am Ende stand Krenn ohne Job da und mit einer Abfindung. Und er war nicht der Einzige, der gehen musste. Dass Krenn befürchtete, ihm werde bei dem konspirativen Treffen mit Gewalt gedroht, zeigt, wie toxisch das Klima zwischen Management und ihm gewesen sein muss.
Dabei macht Hans Jürgen Krenn äußerlich nicht den Eindruck, als wäre er leicht umzuhauen. Muskulöse Arme, ein massiger Oberkörper. Die Haare hat er an den Seiten abrasiert und hinten zum Zopf gebunden. Im Gesicht trägt er einen krausen Kinnbart. In Arbeitshose und schwarzem T-Shirt gekleidet sitzt er im Büro des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) in Neusiedl am See.
Mit am Tisch sitzt Johann Tesarek, der Regionalsekretär des ÖGB in Neusiedl am See. Er hat die angehenden Betriebsräte bei XXXLutz unterstützt und war bei den turbulenten Auseinandersetzungen zwischen Geschäftsführung und Belegschaft dabei. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt er zu MOMENT.at. Er zieht einen gut gefüllten Aktenordner mit Schriftstücken hervor. “Der Fall XXXLutz bietet genug Material für einen Low-Budget-Krimi.“
Das behauptete unmoralische Angebot für Hans Jürgen Krenn war ein Höhepunkt. „Das war eine utopische Dimension. Natürlich wirst du da schwach und überlegst“, sagt Tesarek. Doch Krenn blieb ungerührt: Er unterschrieb nichts. Er wollte die Wahl durchziehen. Krenn war da idealistisch.
„Ich wollte es unbedingt machen, weil die Leute ungerecht behandelt werden“, sagt Krenn. Er berichtet, wie seine Chefin durch die Halle lief und einem Kollegen gesagt habe, er könne nach Hause gehen, er bringe keine Leistung. „Der ist jeden Tag neun Stunden mit dem Gabelstapler hin und her gefahren und hat die Sachen aus- und eingeräumt“, sagt er. Einfach durchzugehen und zu sagen, er müsse jetzt weg, „das ist ein Blödsinn“.
Krenn berichtet von kaputten Fahrspuren, auf denen die Hochregalstapler zwischen den Regalreihen hin- und herfahren. Es funktioniert ähnlich wie bei einer Auto-Waschanlage, wenn es denn funktioniert. Links und rechts sind jeweils nur fünf Zentimeter Platz. Wer dort manuell reinfahren muss, kommt nicht nur ins Schwitzen, sondern in echte Gefahr. „Wenn du da nur ein paar Millimeter zu weit am Lenkrad drehst, krachst du ins Regal.“
Mit dem Betriebsrat sollte ein Verhandlungspartner da sein, „der mit der Geschäftsführung über so etwas reden kann – ohne Angst, gleich gekündigt zu werden“. Mitte dieses Jahres setzte sich Krenn mit ein paar Kollegen zusammen. Sie besprachen, wie es wäre, einen Betriebsrat zu gründen. Das Lager in Zurndorf wird gerade mächtig ausgebaut. Statt derzeit 80 sollen bald bis zu 320 Menschen hier arbeiten. „Wenn noch mehr kommen, geht das Spiel so weiter. Dann wird es wahrscheinlich noch schlimmer“, sagt er. Ob Arbeitssicherheit oder Arbeitsplatzsicherheit: Schon jetzt waren die Zustände für Krenn nicht haltbar.
Dann ging es los. „Das Wichtigste dabei ist, Verbündete zu haben“, sagt Tesarek. Er riet Krenn: „Rede nur mit Leuten, denen du 1000-prozentig vertrauen kannst.“ Die Liste der Verbündeten wurde länger, rund zehn Leute waren dabei. Und wie das so ist: „Irgendwer dürfte geplaudert haben und der wieder mit jemand anderen und so kam das dann nach oben zur Betriebsleitung“, sagt er.
Wie XXXLutz vorging, wirkte wie Motivkündigung
Wer einen Betriebsrat gründen möchte, hat einen gesetzlichen Kündigungsschutz. Das Problem: Vor Kündigung geschützt sind die Arbeitnehmer:innen erst, wenn die Betriebsversammlung einberufen ist, auf der die Wahl kundgemacht werden kann. Vorher könnten sie gekündigt werden. Um das zu verhindern und praktisch geheim zu halten, welche Arbeitnehmer:innen einen Betriebsrat gründen wollen, unterschrieb die zuständige Gewerkschaft vida die Einberufung der Betriebsversammlung.
Hans Jürgen Krenn wurde trotzdem gekündigt. Zum Mittag des 13. Juli wollte er die Kundmachung zur Einberufung der Betriebsversammlung im XXXLutz-Lager aufhängen. „Um halb 12 haben sie mir gesagt, ich soll ins Büro gehen“, sagt Krenn. Dort hätten sie ihm eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsvertrags hingehalten. „Das unterschreibe ich nicht, gebt mir die normale Kündigung, hab ich gesagt.“
Auch die sei schon bereit gelegen. Darauf sei sogar ein Grund für die Kündigung vorgedruckt gewesen: Er sei nicht geeignet für die Stelle als Nachwuchsführungskraft. Den Job, den er seit Jahren machte. Krenn wurde vom Dienst freigestellt. Die Kündigungsfrist sollte nur eine Woche betragen. „Das ganze Gespräch hat 5 Minuten gedauert, wenn überhaupt“, sagt Krenn. In seinem Arbeitsgewand verließ er das Gelände.
„Die kurze Frist war schon einmal rechtswidrig“, sagt Tesarek. Auch der Kündigungsgrund verwunderte ihn. Auf Jobbörsen und beim AMS sucht XXXLutz sprichwörtlich händeringend nach zusätzlichen Mitarbeiter:innen wie Hans Jürgen Krenn. „Das hatte schon was von Motivkündigung, die wollten ihn loswerden“, sagt Tesarek. Die Kündigung focht Hans Jürgen Krenn vor dem Arbeitsgericht an. Aus dem Betrieb war er erstmal raus.
Vorbei war es damit nicht. Statt Krenn habe ein Kollege die Kundmachung ausgehängt. Es begann eine Art Katz- und Maus-Spiel. „Die ist runtergerissen worden, dann hat er sie wieder aufgehängt, dann ist sie wieder runtergerissen worden“, sagt ÖGB-Mann Tesarek. „Sie wollten mit aller Macht die Betriebsversammlung verhindern. Die Kundmachung ist gesetzlich verankert und verpflichtend.“
Mit Blick auf den Schriftverkehr, den Tesarek anschließend mit der Betriebsleitung führte, sagt er: „Man gewinnt den Eindruck, der Lutz interpretiert die Gesetze wie er will.“ MOMENT.at konnte einige der Dokumente einsehen. Die Betriebsversammlung rückte näher. Einige von Krenns Mitstreitern hatten sich bereits zurückgezogen, nachdem Krenn gekündigt worden war. Wohl aus Angst, selbst bald ohne Job dazustehen.
Vor der Betriebsversammlung macht XXXLutz dicht
Am 27. Juli, dem Tag der angesetzten Betriebsversammlung, kam die nächste Überraschung: Für 15:30 Uhr luden die verbliebenen Mitstreiter von Hans Jürgen Krenn die Belegschaft an die Rampe des Wareneingangs. Erscheinen konnten nur die wenigsten. Denn der XXXLutz schickte die gesamte Belegschaft kurzerhand um 14 Uhr nach Hause.
Warum? „Einigen wurde gesagt, das System müsste neu aufgesetzt werden. Anderen, dass Tauben im Gebäude sind, die müssten raus“, sagt Krenn. „Jeder hat einen anderen Grund gehört.“ Seine Kolleg:innen seien angewiesen worden, das Gelände zu verlassen und ja nicht mit den Gewerkschaftern zu sprechen, die draußen standen.
Der Chef von Hans Jürgen Krenn habe damit gedroht, die Polizei zu rufen, sollten sie nicht verschwinden. „Machen sie das, rufen sie die Polizei, wir sind vorbereitet“, entgegnete Tesarek. Krenns Chef rief dann doch nicht die Polizei. Die Betriebsleitung habe sich stattdessen in einem der Büros praktisch verschanzt, erzählt Tesarek. „Wir haben durch die Glasscheiben nur ein paar Silhouetten gesehen“, sagt er.
Auch wenn nicht viele von der Belegschaft da waren: Die Versammlung wurde abgehalten und ein Wahlvorstand bestellt. Was danach passiert sein soll, klingt ein bisschen wild. „Wir sind dann zu unseren Autos gegangen und eingestiegen“, erzählt Tesarek. Unmittelbar danach seien der Geschäftsführer und zwei weitere Mitglieder der Betriebsleitung aus dem Gebäude gerannt, in ein Auto gestiegen und mit Vollgas vom Gelände gefahren. Die Belegschaft und die Gewerkschafter schauten verdutzt hinterher.
XXXLutz reiht Schikane an Schikane
Doch es ging weiter: „Wir haben gesagt, wir ziehen das durch“, sagt Tesarek. Am 1. August traf sich der Wahlvorstand. Krenn stand weiterhin an der Spitze der Liste. Er war zwar gekündigt worden. Die gerichtliche Anfechtung lief aber noch. Die 6 Wochen Kündigungsfrist, die ihm normalerweise zusteht, war noch nicht abgelaufen. Deshalb das Treffen am Tag davor, bei dem ihm ein großer Batzen Geld angeboten worden sein soll, wenn er es sein lässt und das Unternehmen verlässt. Hans Jürgen Krenn widerstand allen Angeboten der Geschäftsführung und sagte: Nein.
Es folgte der nächste Akt in dem Drama: Um eine Betriebsratswahl durchführen zu können, braucht der Wahlvorstand Einblick in das Verzeichnis der Arbeitnehmer:innen. So kann er feststellen, wer überhaupt im Betrieb arbeitet, wer davon wahlberechtigt ist und wer etwa wegen Urlaub oder längerem Krankenstand bei der Wahl nicht anwesend sein kann. Diesen müsste dann eine Wahlkarte zugeschickt werden. Es ist ein formaler Akt, eine Selbstverständlichkeit, und gesetzlich vorgeschrieben. Die Betriebsleitung des Zentrallagers weigerte sich jedoch, das Verzeichnis herauszugeben. Der vorgebliche Grund: Datenschutz.
Tesarek verfasste ein E-Mail an die Geschäftsleitung. Darin kündigte er an, notfalls das Arbeits- und Sozialgericht in der Landeshauptstadt Eisenstadt einzuschalten, um die Herausgabe des kompletten Verzeichnisses zu erzwingen. Kurz nachdem er auf Senden geklickt hatte, landete eine Nachricht in seinem Posteingang. Sie kam von einem der Kandidaten, die sich für den Wahlvorstand hatten aufstellen lassen. Das E-Mail ging an die Hausleitung und in Kopie an Tesarek. Darin kündigte der Mitarbeiter in wenigen Worten an, sich aus dem Wahlvorstand zurückzuziehen.
„Um 13:53 Uhr erhielt ich das Mail“, sagt Tesarek. Später habe er gehört, dass der Mitarbeiter für 13 Uhr im Büro der Betriebsleitung einbestellt worden war. Danach tauchte er ab. „Er hat weder das Telefon abgehoben noch auf meine E-Mails geantwortet, es gab keinen Kontakt mehr“, sagt Tesarek. Dabei habe er den Mitarbeiter darauf hingewiesen: Sobald der Wahlvorstand steht, hat er Kündigungsschutz. Es half offenbar nichts. „Er wurde mit Sicherheit von der Chefetage geimpft“, sagt Tesarek. „Er durfte nicht mehr.“
Mit Jobverlust drohen reiche, um abzuschrecken
War auch hier Geld im Spiel? Tesarek kann dazu nichts sagen. Er meint nur: „Als Geschäftsleitung brauchst du gar nicht mit Geld kommen. Drohen, den Job zu verlieren, ist wirksam genug.“ Bei XXXLutz in Zurndorf kommen viele der Beschäftigten aus der Slowakei und Ungarn. Im Zentrallager in Österreich verdienen sie mitunter drei bis viermal so viel wie im Heimatland.
Dafür nehmen sie nicht nur eine lange Anfahrt in Kauf. Bei einem der Gespräche mit den Arbeitern vor der Lagerhalle sei Krenn aufgefallen, dass einer von ihnen kaum seine Zigarette halten konnte, so sehr schmerzte die Schulter. Beim Rausheben aus dem Container sei ihm eine Tischplatte auf die Schulter gefallen, 150 Kilo schwer. Krenns Rat: „Das ist ein Arbeitsunfall, das musst du melden.“ Der Verletzte wiegelte ab: Nein, alles gut. Das lassen wir. Aus Angst vor beruflichen Nachteilen, unterließ er es, den Vorfall zu melden.
„Es ist leider so, dass sich speziell die Belegschaft aus Ungarn sehr viel gefallen lässt“, sagt Tesarek. Oder gefallen lassen muss. Ein weiterer Mitarbeiter, der für den Betriebsrat kämpfte, war seinen Job bald los. Weil Krenn und die Gewerkschafter nicht in den Betrieb durften, übernahm er die undankbare Aufgabe, für den Wahlvorschlag zu werben. Damit dieser gültig ist, mussten mindestens acht Beschäftigte ihre Unterschrift darauf setzen. Das gelang dem Mann, der wie viele im XXXLutz-Lager in Zurndorf als Leiharbeiter werkelte. Er gab die unterschriebene Liste ab.
Mitarbeiter gekündigt – vorher gab er die Wahlliste ab
„Einen Tag später wurde er nach Hause geschickt und auch gleich von seiner Leiharbeitsfirma gekündigt“, so Tesarek. XXXLutz habe behauptet, der Mitarbeiter sei handgreiflich geworden, deshalb die Kündigung. Tesarek fragte bei dem Mitarbeiter nach: „Stimmt nicht, das ist eine Lüge, hat der gesagt.“ Was folgte: Der nunmehrige Ex-Mitarbeiter habe Anzeige bei der Polizei wegen Verleumdung gestellt. Die Kündigung durch seine Leiharbeitsfirma habe er angefochten.
„Das läuft beides noch“, sagt Tesarek beim Gespräch mit MOMENT.at. Hans Jürgen Krenns Liste der Kandidaten für den Betriebsrat wurde jedoch immer kürzer. Der XXXLutz begrüßte gleichzeitig neue Mitarbeiter:innen: So arbeitet inzwischen der Ehemann der Hausleiterin als bei XXXLutz in Zurndorf und leitet dort das Lager.
Weil das Verzeichnis der Arbeitnehmer:innen immer noch nicht da war, erstatteten die Gewerkschafter am 2. August Anzeige bei der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl. Zwei Tage später erhielten sie die Liste. Aber: „Das waren nur die fixen Mitarbeiter. Die Leiharbeiter waren nicht dabei“, sagt Tesarek. Und das war ein Riesenproblem: Wenn sie nicht auf der Liste stehen, wäre die gesamte Wahl anfechtbar – nicht von XXXLutz selbst, aber von einem der Mitarbeiter:innen. Und dafür „finden die schon welche“, sagt Tesarek mit spöttischem Lächeln.
Wenn schon Betriebsrat, dann von Gnaden des XXXLutz
Was folgte, war die nächste Eskalationsstufe und eine überraschende Wendung: Plötzlich trat eine zweite Liste mit Wahlvorschlägen an. Darauf standen laut Krenn und Tesarek Kandidaten, die kurz zuvor noch eine Erklärung unterschrieben hätten, in der es hieß: „Wir, die Mitarbeiter von XXXLutz möchten keinen Betriebsrat haben.“ Das Schreiben erhielt Tesarek von der Betriebsleitung. Er geht davon aus, dass es auch aus deren Feder stammt.
Und plötzlich ging alles ganz schnell und einfach: Das Verzeichnis der Arbeitnehmer:innen wurde herausgegeben, Wahlkarten verschickt. Flyer, die für die neue Liste warben, hätten plötzlich an jeder Türe gehangen. „Unsere Kundmachung haben sie immer abgerissen, das war jetzt überall“, sagt Tesarek. Was darauf versprochen wurde: Unter anderem eine einmalige „Kostenerstattung“ von XXXLutz für jede:n im Betrieb zu erhalten.
Zudem wurde Unwahres behauptet: Wer die Liste wähle, müsse keine Gewerkschaftsbeiträge zahlen. „Nur weil es einen Betriebsrat gibt, muss niemand Beiträge an die Gewerkschaft leisten, erst wenn sie Mitglied werden, und das ist freiwillig”, sagt Tesarek. Im anderen Schreiben hieß es: Ein Betriebsrat werde unter anderem deshalb abgelehnt, weil dann eine Betriebsratsumlage fällig werde. Auch das stimmt nicht. „So etwas können nur die Mitarbeiter:innen beschließen. Sind sie dagegen, gibt es keine Umlage”, sagt der ÖGB-Mann.
Was hier laufen sollte, scheint klar: Wenn XXXLutz schon nicht verhindern kann, dass ein Betriebsrat gegründet wird, soll es wenigstens einer von Gnaden der Chefetage sein. „Wer hier die Fäden lenkt, wussten wir“, sagt Tesarek. Die Wahl ging dann so aus, wie von ihm und Krenn befürchtet: Die zweite Liste gewann, allerdings nicht komplett. Drei Sitze gingen an die neue Wahlliste.
Er war jetzt Betriebsrat, aber trotzdem draußen
Für Krenn stimmten immerhin so viele Beschäftigte, dass es für ein Mandat im Betriebsrat reichte. „Nur eine Stimme weniger und es hätte kein Mandat für ihn gegeben“, sagt Tesarek. „Knapp an der Katastrophe vorbei“, nennt er das Ergebnis. Hans Jürgen Krenn war jetzt Betriebsrat in einem Betrieb, der ihm gekündigt hatte. Den Prozess um die Anfechtung vor dem Arbeits- und Sozialgericht hätte Krenn wohl gewonnen.
Und dann? Für Gewerkschafter Tesarek war der Weg vorgezeichnet: „Die hätten die Wahl angefochten, hundertprozentig.“ Da XXXLutz so viele Schikanen aufbaute, um die Wahl überhaupt durchführen zu können, gab es schließlich ausreichend Gründe dafür: Versäumte Fristen, nicht ausreichend kenntlich gemachte Informationen, Wahlkarten, die angeblich nicht bei allen ankamen. Da hätte sich schon etwas gefunden. „Wir hätten dann eine Neuwahl ausrufen müssen. Bei dem Druck der Betriebsleitung geht die 4:0 für die andere Liste aus“, sagt Tesarek.
Ohne Betriebsratsmandat wäre Hans Jürgen Krenn dann eben etwas später gekündigt worden, ohne Abfindung. Also einigte er sich mit XXXLutz auf einen Vergleich: Rund 12.000 Euro war es dem Möbelriesen jetzt noch wert, dass Krenn sein Mandat nicht antritt und den Betrieb verlässt. Besser würde es nicht mehr werden. Also hieß es für ihn und den Gewerkschafter Tesarek: „Abhaken, Danke und Wiederschauen.“
Auch für die anderen Beschäftigten im Zurndorfer Zentrallager gab es etwas: Jede:r von ihnen hat inzwischen einen Bonus bekommen. „War das dafür, dass sie die andere Liste gewählt haben?“, fragt sich Tesarek. Beweisen kann er das nicht, aber: „Die Optik ist so.“ Dem Vernehmen nach soll jede:r Mitarbeiter:in 500 Euro von XXXLutz erhalten haben.
Milliardenkonzern XXXLutz schweigt einfach
Ende September wurde der Betriebsrat gegründet, er ist damit arbeitsfähig. Gewerkschafter Tesarek hat angeboten, das Gremium zu unterstützen, bei Fragen und Problemen zu helfen. Bisher erhielt er keine Antwort. Johann Tesarek glaubt nicht, dass der augenscheinlich von der Chefetage gesteuerte Betriebsrat viel tun wird. Auch Erich Mauersics, Burgenland-Chef der zuständigen Gewerkschaft vida, sagt zu MOMENT.at: “Ich befürchte, das geht den Bach runter. Dieser Betriebsrat wird nicht arbeiten.”
Hans Jürgen Krenn erhielt eine gute Nachricht: Wenige Tage nach dem Gespräch mit MOMENT.at bekam er die Zusage für einen neuen Job in einem Baumarkt.
Gerne hätte MOMENT.at erfahren, wie Krenns früherer Arbeitgeber die Sache sieht. Seit Beginn der Recherche kontaktierten wir den alleinigen Unternehmenssprecher von XXXLutz rund ein Dutzend Mal telefonisch und ebenso oft per E-Mail. Wir schickten ihm einen umfangreichen Fragenkatalog. Wir wollten wissen, ob die von Gewerkschafter Tesarek und dem ehemaligen XXXLutz-Beschäftigten Krenn geschilderten Ereignisse so stattgefunden haben oder nicht.
Das Telefon hob niemand ab, auf E-Mails kamen keine Antworten. In der Abteilung arbeiten muss aber irgendjemand: Der XXXLutz Firmen-Newsletter mit Jubelmeldungen zum Unternehmen kommt regelmäßig. Zur erfolgreichen Gründung des XXXLutz-Betriebsrats im Zentrallager in Zurndorf ist dort nichts zu lesen.
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