Wie Rumäniens geschlossene Grenze Österreichs Pflege gefährdet
Sie wollen wissen, wie es weitergeht. Ich habe keine Ahnung!
Daniel Pal, Spediteur in Rumänien
“Täglich rufen mich Dutzende PflegerInnen an. Sie sind verzweifelt, wollen wissen, wie es weitergeht”, sagt er am Telefon zu MOMENT. “Ich habe keine Ahnung”, könne er ihnen nur sagen. “Die Pflegerinnen stecken fest. Sie können jetzt nicht mehr nach Österreich kommen”, sagt Pal. “Obwohl sie alle wollen”, fügt er an.
Seit Ungarn die Grenzen geschlossen hat, stranden die fast ausschließlich weiblichen Pflegekräfte auf dem Weg nach Österreich an den Übergängen – und fehlen jetzt in Österreich. Allein Pals Fuhrunternehmen bringt fast 400 Pflegerinnen regelmäßig über die knapp 500 Kilometer lange Strecke hierher.
Knochenjob, den hier niemand machen will
Für den sogenannten Turnus fahren sie zwischen Arbeitsort und Heimat hin- und her. Immer ein paar Wochen bis zu einem Monat lang in Österreich, dann geht’s für eine Weile zurück nach Hause, zurück zur Familie. Es ist ein Knochenjob, den ÖsterreicherInnen nicht machen wollen – und deshalb vor allem Frauen au den östlichen EU-Ländern für uns tun.
Dann implodiert das System, das ist klar.
Christoph Lipinski, Gewerkschaft vidaflex
Die Hälfte aller rund 60.000 HauspflegerInnen kommt aus Rumänien. Fehlen sie hier, dann “implodiert das System, das ist klar”, sagt Christoph Lipinski zu MOMENT. Er ist Wiener Landesgeschäftsführer von vidaflex, einer gewerkschaftlichen Initiative für Selbständige und Ein-Personen-Unternehmen. Die 24-Stunden-Pflege in den Häusern und Wohnungen älterer ÖsterreicherInnen steht jetzt auf der Kippe – wir berichteten darüber. Caritas-Generalsekretär Bernd Wachter warnte: Ohne die Frauen “schaffen wir das nicht mehr wochenlang aufrecht zu halten.”
Physisch und psychisch eine Riesenbelastung.
Auch die Pflegerinnen stecken fest, die jetzt nach wochenlanger Arbeit in Österreich zurück zu ihren Familien fahren wollen. Wenn Daniel Pals Kleintransporter wegen der Coronavirus-Pandemie nicht mehr aus Rumänien heraus fahren können, kommt niemand sie ablösen. Die Frauen müssen in Österreich bleiben.
Viele von ihnen verpflichten sich freiwillig, die oftmals dementen Pflegebedürftigen weiter zu betreuen. Physisch und psychisch eine Riesenbelastung. “Für die ist es jetzt sehr schwer”, berichtet Pal über die gestrandeten Frauen. Dass sie dennoch weitermachen nennt Bernd Wachter einen “Goodwill in beachtenswerter Form”.
Ungarn und Rumänien reagieren panisch
Zurück nach Rumänien geht es für die 24-Stunden-Pflegerinnen jetzt nur, wenn Ungarn nachts für ein paar Stunden die Grenze zu Österreich öffnet. Dutzende Kilometer weit stauten sich in dieser Woche die Fahrzeugkolonnen vor den geschlossenen Schlagbäumen. Ungarn hat sie panisch heruntergelassen in der Hoffnung so das Coronavirus aus dem Land fernzuhalten. Ein aussichtsloses Unterfangen.
Auch Rumänien reagiert panisch: Seit dieser Woche verpflichtet die Regierung alle Personen, die zurück ins Land reisen, sich für 14 Tage zu Hause in Isolation zu begeben. Das gilt auch für die Pflegerinnen. Seit Montag 21 Uhr ist die Maßnahme in Kraft. Pals Kleintransporter mit sechs HeimbetreuerInnen aus Österreich an Bord raste durch Ungarn, um vorher am Grenzübergang anzukommen.
Einkommen der Pflegerinnen ist in Rumänien existenziell notwendig
Bernd Wachter, Caritas-Generalsekretär
DIe Gruppe schaffte es tatsächlich eine Stunde vor dieser Deadline dort zu sein. Aber: “Sie haben trotzdem alle Frauen und den Fahrer rausgezogen und gezwungen in Isolation zu gehen”, sagt Pal frustriert. Die Frauen müssen jetzt zu Hause bleiben und dürften nicht vor die Tür.
„Sie stehen jetzt vor einem Trümmerhaufen”, sagt Gewerkschafter Christoph Lipinski. Oft sind es die Heimpflegerinnen die das gesamte Einkommen ihrer Familien in Rumänien aufbringen müssen. “Das ist dort existenziell notwendig”, sagt Bernd Wachter. Soziale Sicherheit gibt es kaum. Die Frauen sind in Österreich nicht angestellt, sondern arbeiten als Selbstständige. Es ist ein schwindeliges System, bei dem oft zwielichtige Vermittlungsagenturen mitschneiden.
Handgreiflichkeiten an der Grenze
Fuhrunternehmer Daniel Pal schildert, wie chaotisch es bei der Einreise zuging: “Die Behörden haben keine Tests auf das Coronavirus gemacht, gar nichts.” Mehr als 17.000 RumänInnen fuhren in dieser Woche über Österreich und Ungarn in ihre Heimat. An den stundenlang geschlossenen Grenzen bildete sich Menschentrauben. „Es kam sogar zu Handgreiflichkeiten“, berichtet Lipinski. Das ist nichts, was hilft, das Coronavirus einzubremsen.
Bisher meldete Rumänien offiziell mehr als 300 infizierte Personen. Die Zahlen stiegen zuletzt, wie in vielen Ländern Osteuropas, rasant. Am Donnerstag forderte Staatspräsident Klaus Iohannis alle noch rund 5 Millionen RumänInnen im Ausland auf, dort zu bleiben.
Niemand hat sich gemeldet, keiner hilft uns.
Daniel Pal
Daniel Pal hat das Gesundheitsministerium seines Landes kontaktiert. Er will von ihnen wissen, wie es jetzt weitergeht und ob die Heimpflegerinnen doch wieder zurück an ihre Arbeitsplätze in Österreich fahren dürfen. Aber: “Niemand hat sich bei mir gemeldet. Keiner hilft uns da weiter”, sagt er.
Anderswo geht es: Pflegerinnen aus der Slowakei – sie stellen ein Drittel der 24-Stunden-Betreuerinnen in Österreich – dürfen inzwischen nach Österreich und zurück, trotz geschlossener Grenze. Für sie gibt es eine Sonderregelung.
„Die Bundesregierung ist in intensiven Verhandlungen, um Betreuungskräften weiterhin die Einreise zu ermöglichen“, sagte Nina Bauregger, Sprecherin des Gesundheits- und Pflegeministeriums am Freitag zum MOMENT. Voraussetzen würde das aber ein ärztliches Attest der Pflegerinnen oder eine Quarantäne hier in Österreich.
Daniel Pal in Rumänien ist ratlos. Er beendet das Gespräch mit MOMENT mit den Worten: “Wenn sie etwas von den österreichischen Behörden hören, geben Sie mir bitte Bescheid!”