Unleistbare Mieten: “Entfesselter Wohnungsmarkt reißt Schneisen in die Gesellschaft”
MOMENT: Sie fordern in ihrem Buch „Wir holen uns die Stadt zurück“ eine „urbane Revolution“ am Wohnungsmarkt. Worin soll diese Revolution bestehen?
Florian Schmidt: Wir müssen den Begriff der Immobilienwirtschaft und des Wohnungsmarktes verändern. Wir sollten nicht mehr davon ausgehen, dass es auf der einen Seite einen Markt gibt mit Investor:innen und Kapital – und auf der anderen Seite den Staat, der ein bisschen daran herumschraubt und Sozialwohnungsquartiere baut für die Ärmsten. Nein, schon jetzt gibt es ein dem Gemeinwohl dienendes Segment im Immobilienwesen. Dieses zu stärken, in die Pole Position zu bekommen, auf über 50 Prozent, dominant im ganzen Spiel, das ist die Revolution, die wir uns wünschen.
Eine Revolution im klassischen Verständnis läuft ja so: Du hast eine Formel und dann drehst du alles um. Darum geht es hier nicht. Die Bausteine, das umzusetzen, gibt es längst, man muss sie nur ernst nehmen. In Berlin Friedrichshain-Kreuzberg hatten wir zu Beginn der Legislaturperiode 25 Prozent der Immobilien in Hand von am Gemeinwohl orientierten Genossenschaften, Stiftungen, landeseigenen Wohnbaugesellschaften und so weiter. Jetzt sind es 30 Prozent. In Wien hat man diese „Revolution“ über 100 Jahre beibehalten und mehr als 50 Prozent in Gemeinwohl-Eigentum. Das war eine Philosophie, die man konsequent durchgesetzt hat.
Die Leute gehen gegen den entfesselten Wohnungsmarkt auf die Straße. Sie haben einen revolutionären Geist.
MOMENT: Die Mehrheit der Berliner:innen will offensichtlich Wohnen nicht länger dem Markt überlassen. Das zeigt der Erfolg des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ im September. Wie erklären Sie sich diese Stimmung?
Schmidt: Wir haben eine Wohnungsnot. Wir haben einen entfesselten Markt – übrigens von der Politik entfesselt durch die Gesetzgebung – der verheerende Schneisen in die Gesellschaft reißt. In Berlin gehen die Leute dagegen auf die Straße. Sie haben einen revolutionären Geist. Die sagen aber nicht, wir gehen denen an den Kragen. Sondern sie sagen: Wir kaufen unsere Häuser selber, gründen Genossenschaften, fordern Darlehen ein.
Es gibt also eine Stimmung, die auch zum Volksentscheid geführt hat und ein fulminanter Erfolg wurde. Auch SPD und CDU respektieren das und sehen: Sie müssen sich damit beschäftigen. Meine Formel ist einfach: Lasst uns die Wohnungen ins Gemeinwohl holen, dann sind sie sicher.
MOMENT: Der Widerstand dagegen ist groß. Das hätten sie am eigenen Leib erfahren, schreiben Sie in Ihrem Buch. Wer sind die größten Gegner? Ist es die Immobilienwirtschaft oder sind es politische Gegner:innen?
Schmidt: Diejenigen, die politische Drecksarbeit machen und Menschen wie mich abschießen wollen, sind einerseits Hardcore Lobbyisten. Seit ich 2016 angetreten bin, wurde ich von Anwält:innen, die neoliberalen Parteien nahestehen, mit Strafanzeigen bombardiert. Das wurde an die Presse gegeben, dann hieß es: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mich. Aber: Das wurde alles eingestellt.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass beim Wohnen direkt das Leid des Einen das Wohl des Anderen bedingt.
Dann gibt es Unternehmen, die dies unterstützen. Am stärksten diejenigen, die Häuser aufteilen. Sie verkaufen einzelne Wohnungen daraus und leben von diesem Geschäftsmodell. In der breiten Gruppe der Eigentümer:innen gibt es großen Widerstand: Das geht von Einzeleigentümer:innen, denen Angst gemacht wird, ihnen würden die Häuser weggenommen. Und es endet bei Konzernen, die wirklich Angst haben sollten, weil es das deutsche Grundgesetz auch erlaubt, sie zu enteignen.
Die Immobilien- und damit verbundene Bauwirtschaft macht 18 Prozent des BIP in Deutschland aus. Da sind wahnsinnige Interessen im Spiel. Einige Player haben große Vermögen angehäuft. Sie sehen ihre laufenden Einnahmen in Gefahr. Dass diese laufende Einnahmen zum großen Teil auf dem Rücken der Menschen gemacht werden, sehe ich in kaum einem Wirtschaftsbereich so deutlich
Wir haben uns viel zu sehr daran gewöhnt, dass hier so direkt das Leid des Einen das Wohl des Anderen bedingt. Das ist aber kein Naturgesetz. Wenn man den Menschen zeigt, wie es anders sein kann, werden alle dabeisein: von denen, die wenig haben bis zur bessergestellten Mittelschicht. Das ist eine soziale Frage.
Ich glaube, die neue Stadtregierung in Berlin kann es sich nicht leisten, den Volksentscheid nicht umzusetzen.
MOMENT: Der Volksentscheid in Berlin war erfolgreich. Ist damit alles gut und der Weg frei, die Wohnungen großer Immobilien-Unternehmen zu vergesellschaften?
Schmidt: Nein, das muss alles noch umgesetzt werden. Aber die Chance ist da. Ich sage: Jede Partei, die sich daran beteiligt, das zu verhindern, wird bei der nächsten Wahl die Quittung bekommen. Ich glaube, die neue Stadtregierung in Berlin kann es sich nicht leisten, das nicht umzusetzen.
Aber alles gut wäre damit noch lange nicht. Die betroffenen Häuser großer Konzerne sind überwiegend Sozialbauten, die zu Betongold geworden sind. Wir vergrößern damit den kommunalen Wohnungsbesitz. Das ist gut. Aber in vielen Kiezen, wo Bestandsaltbauten in kleinteiligen Besitz aufgeteilt sind, brauchen wir eine ganz andere Lösung. Wir müssen diese Häuser kaufen, wenn sie aufgeteilt und am Wohnungsmarkt angeboten werden.
MOMENT: Im Vergleich zu anderen deutschen Städten wie München und Hamburg ist das Mietniveau in Berlin niedrig. Wo ist denn das Problem?
Schmidt: Es geht immer um das Verhältnis Einkommen zu Miete und da ist Berlin nicht günstig. Bei Neuvermietungen müssen sie weit über 40 Prozent von ihrem Einkommen für die Miete zahlen. Berlin hat eine so schnelle Verschlechterung erfahren, dass es die Leute aufgeschreckt hat. In München haben viele das akzeptiert und das zivilgesellschaftliche Engagement ist nicht so stark.
MOMENT: Sowohl den staatlichen als auch den privaten Immobiliengesellschaften ist klar: Die Wohnungsnot in den Städten ist ein Riesenproblem. Die Rezepte dagegen könnten unterschiedlicher nicht sein. Hier Regulierung und Vergesellschaftung, dort Deregulierung und freier Markt für mehr Investitionen. Welcher ist der bessere Weg?
Schmidt: Wir wollen ein alternatives gemeinwirtschaftliche Immobilienwesen fördern, das nicht einfach nur staatlich ist. Es gibt Privateigentümer, die auskömmlich wirtschaften können, weil sie nicht in die Spekulationsspirale reingeraten. Sie haben es nicht notwendig, den Kaufpreis mit Profit schnell wieder reinzuholen. Diese Blase einmal anpieksen und zusammenfallen zu lassen, ist der Punkt.
Überlasse ich die Innenstadt dem Tourismus und Leuten mit Erbschaften? Nein, auch die Innenstadt wollen wir zurückhaben.
Neu zu bauen ist wichtig, aber es wird nicht reichen. Das spekulative Investment in den Innenstädten werde ich nicht beenden, wenn ich am Stadtrand Wohnungen baue. Da geht es auch um die Frage: Will ich die innere Stadt aufgeben? Überlasse ich die dem Tourismus und Leuten mit Erbschaften oder Wucher-Mietmodellen und illegalen Praktiken? Da sage ich: Nein, auch die Innenstadt wollen wir zurückhaben.
MOMENT: Das von ihnen gewünschte Platzen der Immobilienblase ist auch eine Angst der kleinen Immobilienbesitzer:innen. Was soll mit denen passieren?
Schmidt: Das ist nicht immer einfach. Wir hatten auch beim Mietendeckel Leute, die sagten: Sinken die Mieten, kann ich mir den Kredit nicht mehr leisten, um die Wohnung abzuzahlen, die ich mir fürs Alter gekauft habe. Das passiert, dafür gibt es Sonderzuschüsse. Wenn du die Wohnung im Alter selbst nutzt, hast du auch kein Problem, wenn die Blase platzt.
Wenn aber die Altersvorsorge darin besteht, zum Kleinvermieter zu werden, muss man sagen: Ja, da braucht es Härtefallregelungen. Der Mietendeckel hat gezeigt, wie es gehen könnte. Das Verfassungsgericht hat nicht gesagt, der geht nicht. Sondern nur, das Land ist nicht zuständig. Wir müssen weiter daran arbeiten.
MOMENT: Dennoch schreiben Sie in Ihrem Buch, der Mietendeckel sei ein Herumdoktern an Symptomen. Warum?
Schmidt: Er ist ein Herumdoktern in folgendem Sinne: Immobilieneigentum sollte gar nicht diese privaten Strukturen haben. Wir sollten gar nicht immer gegen Marktmechanismen ankämpfen müssen. Deswegen ist die Rekommunalisierung der sauberere Weg.
MOMENT: Gibt es mehr Regulierung, würden private Investor:innen weniger in Neubauten investieren, lautet eine Kritik am Modell in Berlin. Damit werde die Wohnungsnot noch verschärft. Was ist da dran?
Schmidt: Die private Immobilienwirtschaft besteht nur zu einem Bruchteil aus Investor:innen. Der Rest sind die ausführenden Baufirmen, Vermesser:innen und andere. Nur die, die mit Grundstücken und Immobilien spekulieren und aus Geld wieder mehr Geld machen wollen, sagen: Dann bauen wir nicht mehr. Aber städtischer, kommunaler, genossenschaftlicher, gemeinwohlorientierter Wohnungsbau funktioniert ja auch. Da arbeiten dieselben Baufirmen mit. Die freuen sich über Aufträge und niemand wird die verstaatlichen wollen.
Städtische Wohnungsgesellschaften funktionieren wie Unternehmen. Nur müssen sie keine Gewinne abführen.
Beim Bauen wird immer so getan, als würde es nur mit privaten Investoren gehen. In Berlin bauen die Wohnungsbaugesellschaften sehr viel. Die funktionieren genauso wie Unternehmen. Nur müssen sie kein Kapital an Shareholder abführen, sie arbeiten ohne diese Gewinnabfuhr. Es klingt blöd, weil es etwas gemein ist: Aber wir brauchen diese Investoren nicht für den Wohnungsbau. Ohne sie wird es billiger.
MOMENT: Ob Mietendeckel oder Vergesellschaftung: Wenn nicht auch der Bund mitspielt, wird es langfristig wohl nicht gehen, den Wohnungsmarkt umzukrempeln. Haben Sie Hoffnung, dass die mögliche Ampelregierung etwas ändert?
Schmidt: Mit Beteiligung einer neoliberalen Partei wie der FDP, ist es schwierig radikale Maßnahmen durchzusetzen. Es ist ein Trauerspiel, wenn man sieht das nur 2 Prozent gefehlt haben für ein rot-grün-rotes Bündnis im Bund. Und das, obwohl die Linken stark verloren haben. Insofern hoffe ich schon eher auf die nächste Wahl. Bis dahin werden wir sehen, wie groß der Leidensdruck für die Menschen werden wird.
Zur Person: Florian Schmidt (Jahrgang 1975) studierte Soziologie, Kunstgeschichte und Volkswirtschaftslehre in Hamburg, Barcelona und Berlin. Er ist seit 2006 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Er war an zahlreichen Initiativen Und Projekten in Stadtraumpolitik und Kultur aktiv. Seit 2016 ist er Baustadtrat in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg.
Im Oktober diesen Jahres erschien sein Buch: „Wir holen uns die Stadt zurück – Wie wir uns gegen Mietenwahnsinn und Bodenspekulation wehren können“. Auf Initiative von Markus Reiter, Bezirksvorsteher von Wien-Neubau, stellte er das Buch am vergangnen Freitag auf einer Podiumsdiskussion in Wien vor.