Zero Covid will Corona runter auf Null stampfen: Was du über die Strategie wissen willst
In Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich AktivistInnen zusammengetan um einen „solidarischen Weg“ aus der Covid-19-Pandemie zu fordern. Inspirationsquelle ist ein internationaler Aufruf von WissenschaftlerInnen aus dem Dezember 2020. Mit einem kurzen, aber entschlossenen solidarischen Shutdown soll es gelingen. Hier erfährst du was „Zero Covid“ will und wie das erreicht werden soll.
Was? Noch ein Lockdown? Geh bitte… Das ist doch nicht ernst gemeint?
Doch. Aber der von „Zero Covid“ geforderte Shutdown ist anders. Er soll nämlich auch die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft betreffen. Fabriken, Schulen, Büros oder Baustellen, die den Infektionsschutz nicht garantieren können. Sie alle möchte die Kampagne für einige Wochen stilllegen, und zwar europaweit. Ein entsprechender Aufruf wurde bereits von über 91.000 Menschen unterschrieben, Tendenz steigend.
Nach Meinung von „Zero Covid“ ist es ein schwerer Fehler aller europäischen Staaten – auch Österreichs – dass dies bislang nicht geschah. Möglichst viele Menschen sollen für einen solchen einmaligen Kraftakt solidarisch mobilisiert werden.
Okay. Aber wir impfen doch jetzt und öffnen langsam wieder die Wirtschaft …
Genau das macht „Zero-Covid“-AktivistInnen Sorgen. Zu den ErstunterzeichnerInnen gehört zum Beispiel der Salzburger Professor für Wirtschaftsgeografie Christian Zeller. Er sagt: „Die Situation ist weiter sehr labil. Es ist nicht möglich, die Pandemie wie einen Ofen einzustellen. Wenn man öffnet, und nicht genügend Personen geimpft sind, wächst das Risiko für Mutationen. Wir haben schon jetzt Mutationen. Einige sind hoch ansteckend und belasten das Gesundheitswesen. Irgendwann kommt eine Mutation, für die die Impfstoffe nicht funktionieren. Deshalb müssen wir die Infektionen so weit wie möglich auf Null senken, bis eine ausreichende Bevölkerungszahl durchgeimpft ist.“
Zudem hätten die Impfkampagnen bis in den Sommer hinein keinen Einfluss auf die Dynamik der Pandemie, so Zeller weiter. Denn: „Aus ethischen Gründen werden zuerst die alten und kranken Menschen geimpft. Doch diese haben ohnehin weniger Sozialkontakte. Relevant für das Infektionsgeschehen sind die Jungen und Berufstätigen. Wenn sich unter ihnen das Virus weiterverbreitet, werden dennoch viele junge Menschen erkranken und sterben.“
Zero Covid soll die Coronafälle auf Null senken? Das geht doch gar nicht! Wir werden mit dem Virus leben müssen.
Hier verweisen die „Zero Covid“-Leute auf Länder wie Neuseeland. Dort gibt es de-facto keine Corona-Fälle mehr. Die Menschen feiern Partys, gehen in Nachtclubs und freuen sich im derzeit stattfindenden Sommer auf große Open-Air-Festivals. Einschränkungen konnten in diesen Ländern minimiert werden. Auch in Deutschland und Österreich sei die Pandemie im Frühsommer 2020 beinahe besiegt gewesen. Weil die Regierungen auf Druck der WirtschaftsvertreterInnen die Maßnahmen zu früh lockerten, hätten sie die Chance verspielt. Die „Flatten the Curve“ Strategie mit dem Ziel, die Infektionszahlen abzuflachen, aber das Virus nicht vollständig auszurotten, sei gescheitert und bedeute letztendlich eine dauerhafte Ausdehnung der Einschränkungen.
Christian Zeller meint: „Wenn wir nicht wollen, dass noch viel mehr Menschen an dem Virus sterben, müssen wir rasch auf ein Niveau kommen, in dem jede Infektion einzeln nachvollziehbar ist. Das ist der erste Schritt in Richtung null Infektionen. Wer das nicht will, muss offen sagen, wie viele Tote er oder sie für akzeptabel hält.“
Aber die Wirtschaft hält das nicht aus. Es gibt jetzt schon zu viele Arbeitslose.
Die „Zero Covid“-Kampagne plädiert für ein Ende mit Schrecken, als Schrecken ohne Ende. Mit dem von „Zero Covid“ geforderten Shutdown sollen Betriebe größere Planbarkeit als bislang erhalten. Derzeit sei alles „Stop and Go“ und werde auf ungewisse Zeit so weitergehen, meint Christian Zeller: „Dadurch werden zum Beispiel Kleingewerbetreibende noch viel stärker betroffen, als durch einen zeitlich beschränkten Shutdown um die Infektionen auf Null zu drücken.“
Wichtig sei aber auch das Element der Solidarität. „Gewerkschaften müssen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung eines solchen Lockdown spielen. Sie sollten sicherstellen, dass das sozial gerecht abläuft. Leider halten sie sich in der Frage bislang sehr zurück, dabei sollte der Gesundheitsschutz von Gewerkschaftsmitgliedern ein zentrales Thema sein“, so Zeller. In Großbritannien ist das zum Beispiel anders. Dort befürworten einige wichtige Gewerkschaften die „Zero Covid“ Strategie und fordern die Schließung von Betrieben und Schulen, bis ein sicheres Öffnen möglich ist.
Außerdem greift „Zero Covid“ mit der Forderung nach einer europäischen Reichen- und Transaktionssteuer zur Finanzierung einer sozialen Abfederung der Krisenauswirkungen ein Thema auf, welches österreichische Gewerkschaften vor der Pandemie bereits ähnlich auf den Tisch gelegt haben.
Überschneidungen mit gewerkschaftlichen Themen gibt es auch beim Gesundheitsbereich. Hier macht sich „Zero Covid“ für eine ausreichende Finanzierung, gegen Privatisierungen, für mehr Personal und höheres Gehalt für die Beschäftigten stark. „In der Pandemie ist vor allem die Belastung für Frauen massiv gestiegen“, sagt Zeller. „Hier liegt eine gesellschaftliche Aufgabe, die im Rahmen einer Zero-Covid Strategie angegangen werden muss.“
Gut. Also bleibe ich vier Wochen daheim. Aber ist das nicht eine gefährliche Politik der Unterdrückung?
Tatsächlich wird über kaum einen anderen Aspekt der „Zero Covid“-Strategie so lebhaft gestritten wie diesen. Auch in Österreich. Ein Beispiel dafür liefert Benjamin Opratko im Mosaik-Blog. Er sieht Gefahren: Ein Lockdown würde “unabsehbare soziale und politische Dynamiken auslösen, bis hin zu offener Gewalt“. Auch sei das von „Zero Covid“ geforderte Programm „ohne eine nachhaltige Beschädigung der bürgerlichen Demokratie nicht umsetzbar.“
In den Augen der “Zero Covid”-Befürworter sorgt aber gerade die derzeitige Krisenhandhabung für unterdrückerische Zustände. „Je länger die Pandemie andauert, desto autoritärer wird die Politik der Regierung“, meint Zeller. Die Regierungen seien Gefangene ihrer eigenen Politik geworden und befänden sich gewissermaßen auf einer Flucht nach vorne. Der derzeitige Regierungskurs wirke auch deshalb so autoritär, weil Beschränkungen vor allem auf den Freizeitbereich einwirken: „Gleichzeitig bleiben die Straßenbahnen voll, weil die Menschen zur Arbeit fahren müssen. Deshalb brauchen wir Maßnahmen, die die Arbeitszeit betreffen.“
Dies sei auch eine Frage des Kräfteverhältnisses: „Unsere Kampagne trägt dazu bei, dass Kräfteverhältnis zugunsten progressiver Bewegungen zu verändern“, ist Zeller überzeugt. Er möchte „die Bewegung systematisch zu verbreitern und lohnabhängige Menschen direkt anzusprechen. Das ist das beste Mittel gegen autoritäre Tendenzen.“ Ein solidarischer Lockdown werde ohne unterdrückerische Schritte wie die Schließung öffentlicher Parks auskommen. Auch fordert die Kampagne Maßnahmen wie die dezentrale Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen, sowie den Stopp von Abschiebungen.
Wenn ich ein paar Wochen daheim bleibe, ist es dann wenigstens vorbei?
Gute Frage. Es gibt mittlerweile zahlreiche Studien, die beweisen, dass die Lockdowns tatsächlich die Virusverbreitung massiv eindämmen. Aber diese Lockdowns haben die Menschen hochgradig ungleich getroffen. Viel hängt auch davon ab, wie solidarisch zum Beispiel die weltweite Verteilung der Impfstoffe funktioniert. Wenn sich die reichen Länder alle Impfdosen sichern, während die Menschen in den ärmeren Ländern im globalen Süden nichts bekommen, sieht es schlecht aus. Die „Zero Covid“ Kampagne fordert deshalb, die Impfstoffe zu globalem Allgemeingut zu erklären, Patente offenzulegen und die Produktion international zu koordinieren. „Ich finde es auch verwerflich, dass die Verträge mit den Pharmakonzernen geheim sind“, sagt Christian Zeller. „Die sollten offengelegt werden. Da greift man noch nicht einmal in die Eigentumsrechte der Konzerne ein.“
Fakt ist leider auch, dass jederzeit weitere Pandemien drohen können. „Wir sind durch einen Stoffwechsel mit der Natur verbunden“, sagt Zeller. „Industrialisierte Landwirtschaft, massenhafte Fleischproduktion, das Eindringen der Menschen in die Lebensräume wilder Tiere – all das schafft Bedingungen für globale Krankheitswellen wie Covid-19. Hier müssen wir als Gesellschaft dringend umsteuern. Das bedeutet eine globale Anstrengung. Die können wir aber schaffen, wenn wir nur wollen.“