Zugverkehr am Land: Warum werden ehemalige Bahnstrecken nicht wieder genutzt?
“Schiene statt Verkehrslawine” – der ÖBB-Slogan ist 20 Jahre alt. Aber seine Aussage ist aktueller denn je. Denn die Klimakrise zwingt uns vor allem bei Mobilität umzudenken. Weniger Autos und mehr öffentlicher Verkehr lautet das Mantra dabei, das auch gerne von PolitikerInnen wiederholt wird.
Doch speziell im Bereich des Zugverkehrs bleibt es dabei zu oft bei hohlen Aussagen. Das Schienennetz ist in Österreich in den letzten Jahren beständig zurückgegangen, während das Straßennetz deutlich zugenommen hat. Zudem wird von öffentlicher Hand wesentlich mehr in Straßen als in Schienen investiert. In der folgenden Animation siehst du, wie sich das Schienennetz in den letzten 90 Jahren entwickelt hat. In diesem Artikel findest du weitere Grafiken dazu.
Besonders der Rückgang von kleineren Nebenstrecken ist in der Grafik deutlich zu erkennen. Dabei spielt der Zugverkehr gerade im ländlichen Bereich eine wesentliche Rolle, wenn man die Bevölkerung zur Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen will. Denn wo es keine oder schlecht ausgebaute Angebote gibt, wird immer häufiger das Auto verwendet. Seit 2005 ist der Anteil der Menschen mit PKW in solchen Regionen um bis zu 20% gestiegen, während er in den größeren Städten gleich geblieben, oder sogar gesunken ist.
Wenn man diesem Trend entgegenwirken will, muss man neue Angebote schaffen. Dass diese auch angenommen werden, zeigt sich bei den Zahlen der Regionalbahnen: In den letzten Jahren konnten sie einen stetigen Zuwachs bei den Fahrgästen verzeichnen. Wenn man schnell und einfach neue Zugstrecken anbieten möchte, könnte man doch ganz einfach stillgelegte Gleise wieder beleben. In Deutschland wird das mittlerweile immer häufiger gemacht.
Doch in Österreich ist das leider nicht so einfach.
Einige Hürden bei der Reaktivierung von ehemaligen Bahnstrecken
“Die Rechtslage ist in Österreich grundsätzlich anders als in Deutschland”, so Otfried Knoll, Professor für Bahntechnologie und Mobilität der FH St. Pölten. Schon die Bezeichnung “stillgelegt” gebe es nur in Deutschland. Damit werde eine Zwischenstufe bezeichnet, bei der die Strecken vorerst erhalten und auch weiterhin in gewissem Maße gesichert werden. In Österreich werden diese hingegen eingestellt, woraufhin in der Regel die Auflassung erfolge. “Das bedeutet, dass die Linie dann als Bahn entwidmet wird und dieser Infrastrukturstreifen einer anderen Nutzung zugeführt wird”, so Knoll. Wenn sie aufgelassen ist, wird sie von der Bahn verkauft und nicht mehr in dem Ausmaß instandgehalten, wie es in Deutschland bei stillgelegten Bahnen üblich ist. Häufig wird die Strecke dann in weiterer Folge zum Teil abgebaut.
Will man die einmal aufgelassenen Strecken dennoch wieder nutzen, müssen diese neu zugelassen werden. “Dabei muss das komplette Bewilligungsverfahren, einschließlich der Baubewilligung und Betriebsgenehmigung für eine neue Eisenbahn durchlaufen werden. Und das unterschätzen viele”, sagt Knoll. Alle rechtlichen Fragen wie Abstandsregelungen und Baubereiche, die bei den ursprünglichen Strecken gegolten haben, müssten dann mit AnrainerInnen und allen beteiligten Interessensvertretungen neu verhandelt werden. Zudem muss für die gesamte Konzessionsdauer die Finanzierung sichergestellt werden.
Viele Projekte zur Reaktivierung scheitern
Das macht solche Reaktivierungen also auch zu einem Marathonlauf, der teuer ist und mitunter auch politisch heikel sein kann. Zu einer Umsetzung kommt es dabei nur selten.
So hat Knoll selbst etwa schon in den 90er-Jahren an einem Projekt mitgearbeitet, das eine Zugverbindung zwischen Waidhofen an der Thaya und der tschechischen Grenze reaktivieren sollte. Zwei Ministerien, das Land Niederösterreich und mehrere Gemeinden hatten eine Studie dazu finanziert. Doch geworden ist daraus nichts. “Dem Projekt wurden damals tatsächlich sehr gute Chancen eingeräumt. Mittlerweile ist dort die Auflassung erfolgt und die Trasse wurde zu einem Radweg umfunktioniert”, so Knoll.
Ein ähnliches Schicksal hat auch das Projekt “Grenzbahn” im Burgenland erlitten. Ursprünglich sollte dort die Eisenbahnstrecke Friedberg-Oberwart bis nach Szombathely reaktiviert werden, bei der aktuell nur ein kleiner Teil genutzt wird.
Nach einer Machbarkeitsstudie wurde das Projekt 2015 vom Land übernommen, der Baubeginn wurde für 2019 festgelegt. Damit sollte die an Infrastruktur schwache Region Südburgenland aufgewertet werden, auch das IHS hatte durch das Projekt gute wirtschaftliche Auswirkungen für die Gegend erwartet. Doch um das Projekt wurde es still. In den vergangenen Wochen wurde schließlich mit dem Rückbau der noch vorhandenen Gleise begonnen. Somit ist die “Grenzbahn” endgültig Geschichte – auch an ihre Stelle soll nun ein Radweg kommen.
Erfolgreiche Projekte nur mit regionaler Unterstützung
Positive Beispiele für erfolgreiche Reaktivierungen sieht Knoll nur wenige. Ein Beispiel sei die Kaltenleutgebner Bahn im Südwesten Wiens, wo 1951 der Personenverkehr und 2010 der Güterverkehr eingestellt wurde. Doch 2017 wurde die Strecke von den Gemeinden Kaltenleutgeben und Perchtoldsdorf gekauft, eine Wiederaufnahme des Personenverkehrs steht vermutlich bevor. “Solche Projekte können nur dann funktionieren, wenn sich die Bevölkerung auch damit identifizieren kann”, so Knoll. Eine regionale Verankerung sei unumgänglich, viele Gruppen hätten einfach unterschiedliche Interessen bei Reaktivierungen.
Reaktivierungen machen auch nur dann Sinn, wenn man die Raumplanung berücksichtigt. Denn die meisten Strecken wurden vor über 100 Jahren dort angelegt, damals hatte noch fast jede Gemeinden Interesse daran, eine Zugverbindung zu bekommen. Mittlerweile sind Siedlungen vor allem autogerecht angelegt und um einiges mehr zersplittert, als das früher der Fall war. Alte Zugstrecken zu beleben wird nur dann erfolgreich sein, wenn neue Siedlungen im Einzugsgebiet der Bahnhöfe entstehen. Doch bei der Verkehrsplanung hat in Österreich immer noch das Auto den Vorrang.