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Gesundheit
Arbeitswelt

Pflege daheim: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Pflege daheim: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Pflegekräfte werden ab 2026 in die Schwerarbeitspension aufgenommen. Zumindest nach außen eine Anerkennung. Die Pflegekrise lösen wird das noch nicht. Schließlich fehlen bis 2030 rund 51.000 Pfleger:innen – auch dort, wo 80 Prozent der Menschen ihren Lebensabend verbringen wollen: daheim.

Um fünf Uhr in der Früh läutet der Wecker für Gorica Rokos. Die mobile Pflegerin sorgt dafür, dass sich für viele die Hoffnung erfüllt, den Lebensabend daheim erleben zu können. “Die meisten wollen zu Hause bleiben, dort auch sterben und nicht irgendwann in einer fremden Umgebung”, sagt Rokos. 

Damit erklärt sie, dass es rund 490.000 Pflegegeldbezieher:innen in Österreich gibt. Doch davon lebt nur jede fünfte Person in Pflegeheimen. Die 57-Jährige arbeitet seit 25 Jahren für das Rote Kreuz; erst als Heimhilfe, heute als mobile Pflegerin. Sie ist merkbar stolz darauf: „Das ist ein sicherer Job – und einer, der Sinn macht. Ich gebe den Menschen ein Stück Glück, indem ich ihnen ermöglichte, daheim zu bleiben.“

Herausfordernder, erfüllender Job

Angefangen hat sie ihre Berufslaufbahn in der Gastronomie. Dort hat ihr aber der menschliche Aspekt gefehlt. Das ist der Grund, warum sie sich für den Pflegebereich entschieden hatte. 

Ihr Arbeitstag wird heutzutage per App durchgetaktet. Als Heimhilfe kümmerte sie sich früher um den Haushalt, ging einkaufen und zur Apotheke. Pfleger:innen, wie sie heute eine ist, sind für die medizinische Betreuung, Inkontinenzversorgung oder Körperpflege zuständig.

Der Pflegeberuf wird ihrer Meinung nach zu oft negativ dargestellt – etwa wenn Medien über Belastung und schlechte Bezahlung berichten. Denn die positiven Seiten würden überwiegen. “Ich gehe gerne in die Arbeit”, meint sie. Das Zwischenmenschliche ist das, was “mir Freude macht – ich höre zu, ich unterhalte, ich bin manchmal auch Showmasterin.”

“Ein Stück Glück und Würde”

Der Job ist nicht immer einfach. Der Arbeitsdruck nimmt wie überall zu. Das zu betonen, ist ihr wichtig.  Und dabei geht es nicht nur um Themen wie Gewalt.  Tage können in Früh- und Spätdienste aufgeteilt sein, dazu kommen Wochenend- und Feiertagsdienste. Pro Tag werden bis zu acht Menschen betreut, mindestens eine halbe Stunde. Hinzu kommen vorgeschriebene Dokumentationspflichten. Diese nehmen zusätzlich Zeit in Anspruch.

All dem zum Trotz sei es eine schöne Arbeit. Diesen Wert möchte sie auch jüngeren Menschen vermitteln. Pflegearbeit bedeute, die Lebensqualität der Menschen zu erhalten; etwas, was wir als Gesellschaft gerne möglichst lange ignorieren: 

„Gerade alte Menschen hängen sehr an ihrem Zuhause, an Erinnerungen und an ihrer Familie. Meine Motivation ist es, anderen ein Stück Glück und Würde im Alter zu ermöglichen.“

Um das zu erreichen, braucht es in Zukunft tausende Personen, die in der mobilen Pflege arbeiten sollen und die es heute nicht gibt – und die auch noch bezahlt werden müssen.

Pflege daheim: Ist das die günstigste Variante?

Doch die Frage nach Lebensqualität ist nicht nur für die Pfleger:innen, sondern auch die Betroffenen eng mit finanziellen Überlegungen verknüpft – denn die häusliche Pflege ist zwar von vielen gewünscht, aber nicht immer die günstigste Option.

Wer Pflege braucht, stellt einen Antrag auf Pflegegeld. Wenn das Einkommen zur gänzlichen Abdeckung der Kosten nicht ausreicht, kommt meist die Sozialhilfe/Mindestsicherung für den Restbetrag auf. „Wie hoch der Selbstbehalt ist, kann man nicht allgemein sagen, weil die Unterstützungsleistungen zwischen den Bundesländern stark variieren“, sagt Petra Schmidt gegenüber MOMENT.at. Sie ist im Generalsekretariat des Roten Kreuzes Bereichsleitung Gesundheit, Einsatz und Soziales.

Ob es nicht billiger und einfacher wäre, mehr Menschen in Einrichtungen wie Pflegeheimen zu betreuen statt weit verstreut mit Rokos und ihren Kolleg:innen? Eine schwierige Sache, wie das Rote Kreuz auf Nachfrage festhält. Denn je niedriger die Pflegestufe, desto mehr Menschen wären betroffen: “Das würde zu höheren Kosten führen und auch zu Problemen im Zusammenhang mit dem ohnehin schon vorhandenen Personalmangel. Außerdem ist dieses Szenario wohl ohnehin nicht realistisch, da die meisten Menschen zu Hause gepflegt werden wollen – unabhängig von der Pflegestufe.”

Entwicklungen waren absehbar

Pflege daheim entspricht laut Schmidt dem politischen Ziel „digital vor ambulant vor stationär“. Allerdings: Schon heute gibt es oft Wartelisten beim Roten Kreuz – der Personalmangel schränkt die Versorgung bei allen Pflegeanbietern ein. Und auch mit Pflegegeld ist es nicht für alle leistbar, sich daheim pflegen zu lassen.

Aber selbst wenn man Hilfe bekommt, führt Pflegebedürftigkeit nicht gleich zu einer 24-Stunden-Betreuung. Dann übernehmen Angehörige viele Aufgaben. Eine Millione Menschen in Österreich pflegt einen nahestehenden Menschen. Dazu kommt eine erhebliche Dunkelziffer an „Young Carers“ – also Minderjährige, die pflegen. Viele machen das zumindest in diesem Ausmaß nicht freiwillig, sondern weil es nicht anders geht. 

Problem schwappt auf andere Bereiche

Wer das tut, kann aber oftmals zumindest nicht Vollzeit arbeiten. Der Wirtschaft fehlen mögliche Arbeitskräfte, den betroffenen Menschen fehlt Geld und Möglichkeiten zur Entfaltung. Sowohl bei den Profis, als auch bei Angehörigen gilt: Pflege ist weiblich und viele Lebensläufe sind davon geprägt: Zuerst als Mutter, dann um die (Schwieger-)Eltern zu pflegen, am Ende vielleicht auch noch den eigenen Mann. Übrig bleibt nicht selten Altersarmut.

Allen Regierungen der vergangenen Jahrzehnte musste bewusst gewesen sein, dass die vielen Babyboomer in Pension gehen und viele Menschen länger leben werden. Der steigende Bedarf nach Pflege war absehbar. Und es gab durchaus Anläufe, um Dinge besser zu machen. Der große Wurf, um das Problem zu lösen, ist bisher nicht gelungen. 

Personalmangel als Kern des Problems

Versäumnisse der Vergangenheit und Herausforderungen für die Zukunft zu bewältigen, dafür ist auf höchster Ebene seit Anfang März Korinna Schumann (SPÖ) als Sozialministerin zuständig. Auf Anfrage bestätigt das Ministerium, dass die Gewinnung und Bindung des Personals im Pflegebereich eine der dringlichsten Fragen ist. 

Man verweist dazu auch auf bereits Umgesetztes, wie die neue Schwerarbeitspension, die Pflegekräfte ab 2026 bekommen können sollen. Hier gibt es allerdings auch Kritik, da nicht klar ist, ob die Bedingungen nicht zu schwer erreichbar sind. Und es gibt weitere Baustellen.

Abhilfe sollen Arbeitskräfte aus dem Ausland schaffen. Diese Hoffnung haben aber viele westliche Länder, die vor einem ähnlichen Problem stehen. Selbst wenn Österreich dabei ein attraktives Angebot machen würde, lösen werden ausländische Kräfte allein das Problem nicht.  Vor allem dann nicht, wenn Integrationsmaßnahmen fehlen und die Anerkennung ausländischer Qualifikationen schwierig ist. 

Wie findet man mehr Menschen für die Pflege?

Für alle gilt: „Hauptproblem ist der Arbeitsdruck, nicht die Tätigkeit an sich“, stellt Schmidt klar. Das sieht auch Rokos so. Dass der Arbeitsdruck hoch ist, hat natürlich auch damit zu tun, dass zu wenige Menschen in den Beruf gehen. Damit der Beruf für viel mehr Menschen attraktiv wird, braucht es Verbesserungen bei Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Das liegt auf der Hand.

Gegenwärtig starten Vollzeit-Ausschreibungen für die mobile Pflege bei rund 3.000 Euro brutto monatlich. Das ist weniger als Vollzeit-Einkommen in Österreich im Mittel (das lag 2023 bei etwa 51.500 Euro – also 14 Mal rund 3.700 Euro). Aber in der Altenpflege sind mehr als die Hälfte aller Angestellten in Teilzeit.  Vollzeit können den intensiven und anspruchsvollen Job auf Dauer nicht viele machen. Dann bleibt ihnen noch viel weniger. All das sind verständliche Gründe, warum nicht nur zu wenige Menschen den Beruf angehen, sondern zu viele den Job irgendwann verlassen.

Überdenken des Systems notwendig

Rokos selbst ist mit ihrem Gehalt nicht unzufrieden. Eine faire Bezahlung sei natürlich wünschenswert. Dass es besser bezahlte Jobs gibt, liegt aber auf der Hand. Idealismus bleibt oft der entscheidende Grund, warum Menschen diesen Beruf ergreifen. 

Ihre Schlussworte sind deshalb ein leiser Appell – an Politik, Gesellschaft und uns alle:

„Wir müssen schon auch zeigen, dass alte Menschen keine Belastung sind. Jeder von uns verdient es, den Lebensabend in Würde zu verbringen.“ 

Gorica Rokos

Wie das in Zukunft aussehen kann, ist letztlich eine politische Entscheidung.

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