Warum ist Männlichkeit bei Amokläufen auch ein Faktor?

Die Trauer sitzt tief. Gestern tötete ein ehemaliger Schüler bei einem Amoklauf an einer Grazer Schule neun Schüler:innen und eine Lehrerin. Ebenso gibt es etliche Verletzte im Krankenhaus, teils auf der Intensivstation. Der Österreicher beging nach seiner Tat Suizid. Es wird nach Antworten gesucht – auch in den Medien (und manche davon verhalten sich dabei grauenvoll). Es geht um den leichten Zugang zu Waffen, die schweren Folgen von Mobbing, das Erleben von Kränkungen oder psychische Erkrankungen.
Dabei fehle oft ein wichtiger Punkt, argumentierte Laura Wiesböck* in einem Instagram-Post. Männlichkeit als Risikofaktor für Amokläufe werde fast nie thematisiert. Schließlich gäbe es kaum weibliche Amokläuferinnen. Dabei bezieht sie sich auf Studien des Sozialtheoretikers Jackson Katz.
Großer Druck
In einer Dokumentation betont Katz den Zusammenhang zwischen einer Krise der Männlichkeit und immer mehr Amokläufen an amerikanischen Schulen, die er lange untersucht hatte. Junge Männer würden unter großem Druck stehen, einem weit verbreiteten Bild eines “echten” Mannes zu entsprechen. Dazu gehöre es, körperlich und mental stark zu sein und Macht über Andere auszuüben. Weiblich konnotierte Eigenschaften, wie das Zeigen von Verletzlichkeit oder Emotionen, würden als schwach, unmännlich und weiblich gelten. Wenn junge Männer nicht in die Schublade von “wahrer” Männlichkeit passen, würden sie abgewertet oder ausgeschlossen werden.
Doch wo lernen Männer diese Männlichkeitsbilder? Katz argumentiert, dass vor allem Medien Männlichkeit mit Dominanz, Macht und Kontrolle in Verbindung setzen würden. Gewalt werde als Teil von Männlichkeit normalisiert. Viele Täter würden selbst mit Gewalt aufwachsen. Komme es dann später zu Kränkungen, zum Beispiel in Bezug auf männliche Statussymbole, würden sie die Gewaltspirale fortsetzen. “Anstatt sich selbst verletzlich zu zeigen, verletzt man andere”, fasst Wiesböck zusammen. Denn wenn Männer gewalttätig sind, hätten sie der Gesellschaft endgültig ihre Männlichkeit bewiesen.
Ein schädliches Bild von Männlichkeit ist ein Teil des Problems, dass zu anderen Faktoren hinzu kommt: wie beispielsweise ein zu leichter Zugang zu Waffen oder mangelnde, psychosoziale Versorgung. Jeder einzelne dieser und noch viele weitere Faktoren sind zu wenig, um Amokläufe allein zu erklären. Zusammen haben sie manchmal besonders grauenvolle Folgen.
*Laura Wiesböck gab uns die Erlaubnis, ihren Post zu zitieren. Wegen Krankheit war sie für ein persönliches Gespräch verhindert.
Hier bekommst du Hilfe:
- Österreichische Telefonseelsorge (0-24 Uhr, kostenlos unter 142), www.telefonseelsorge.at/
- Psychiatrische Soforthilfe (0-24 Uhr, 01/31 330), psd-wien.at
- Kindernotruf (0-24 Uhr, 0800 567 567)
- Rat auf Draht (0-24 Uhr, 147), rataufdraht.at
- Kriseninterventionszentrum (Montag bis Freitag 10-17 Uhr, 01 406 95 95), anonyme E-Mail-Beratung (kriseninterventionszentrum.at)