24-Stunden-Betreuung: Ausländische Kräfte kämpfen mit alten Problemen und neue Belastungen
Die Arbeitsbedingungen für ausländische Betreuungskräfte sind oft prekär: Die Verpflichtung zu ständiger Verfügbarkeit, unzureichende soziale Sicherung und das Verlassen der Heimat über mehrere Wochen führen zu Belastung. Die Corona-Pandemie verdeutlicht nun die Schwächen des Systems und sorgt für neue Herausforderungen. Darunter leiden neben den österreichischen Familien vor allem die Betreuungskräfte.
Als im März 2020 erste Maßnahmen gegen die Pandemie verhängt wurden, konnten sich die Betreuungskräfte plötzlich nicht mehr auf offene Grenzen verlassen. Diese sind die Grundlage für ein verbreitetes Pflegemodell, bei dem zwei 24-Stunden-Betreuungskräfte abwechselnd 2 bis 5 Wochen bei ihren Klient*innen verbringen, und danach in ihr Heimatland zurückkehren. Als Folge der Grenzschließungen arbeiteten deshalb manche Betreuungskräfte bis zu drei Monate am Stück.
Burnout-Gefahr durch 24-Stunden-Betreuung
Laut einer Organisation aus dem Sektor sei dieser Zeitraum zu lang: “Diese Arbeit ist psychisch und physisch sehr belastend, eine Abgrenzung zur Freizeit ist schwierig. Es gab viele Burnouts“. Eine Vermittlungsagentur erklärt weiter: “Die Betreuer*innen betreuen unterschiedliche Krankheitsfälle. Sehr häufig ist das heute Demenz, bis hin zu Leuten, die keine Sekunde aus den Augen gelassen werden können, weil sie umfallen könnten. Und wenn sie das jetzt über so einen langen Zeitraum machen, sind die Betreuer*innen sehr angespannt. Sie können oft gar nicht gut schlafen, weil die Klient*in eben dreimal die Nacht aufstehen und auf die Toilette muss.”
Um die Betreuungskräfte von einem Infektionsrisiko abzuschirmen, bestanden die Angehörigen der Klient*innen oft darauf, dass die Betreuungskräfte die Wohnung möglichst wenig verlassen sollten. Auch kleinere Auszeiten, die für gewöhnlich während Besuchen von Angehörigen entstehen, fielen häufig weg. Zusätzlich kann die Verlängerung zu Druck auf die Beziehung mit den Klient*innen oder der eigenen Familie im Heimatland führen. Hinzu kommen Zukunftsängste aufgrund der Unsicherheit über die Entwicklung der Lage.
Enorme Unsicherheit in Selbstständigkeit
Jene 24-Stunden-Betreuungskräfte, welche die Anfangsphase der Pandemie in ihren Heimatländern verbrachten, konnten derweil gar nicht arbeiten – was aufgrund der Selbständigkeit einen vollständigen Einnahmeausfall bedeutete. Manche Betroffene vereinbarten mit ihren Kolleg*innen einen Ausgleich der Arbeitszeiten über die Sommermonate, Rechtsansprüche darauf gab es jedoch nicht.
Hürden bei Hilfen
Obwohl die österreichische Regierung finanzielle Hilfen anbot, hatten die Betreuungskräfte oft Probleme bei der Beantragung. Sowohl der Härtefall-Zuschuss für Einkommensausfälle von Selbstständigen als auch der “Bleib da!“-Bonus für ausländische 24-Stunden-Betreuungskräfte erfordern ein österreichisches Bankkonto, das wiederum an den Hauptwohnsitz in Österreich gekoppelt ist. Diesen führen die meisten jedoch in ihren Heimatländern.
Die Betreuer*innen führen sozusagen ein transnationales Leben”, erklärt die Interessensgemeinschaft. “Das bedeutet, hier in Österreich arbeiten sie, hier zahlen sie ihre Steuern. Aber in der Slowakei oder in anderen Herkunftsländern ist eigentlich ihr Leben, ihr Familienleben.” Die Aussage zeigt, dass oft nicht nur die Betreuungskräfte selbst unter dem Einkommensausfall leiden – auch ihre Familienmitglieder sind betroffen.
Sprachbarrieren bei Hilfen und Informationen
Für zusätzliche Schwierigkeiten bei der Beantragung von Hilfen sorgte außerdem die Sprachbarriere, da bürokratische Anträge selbst bei grundlegenden Deutschkenntnissen eine Herausforderung darstellen. Auch für den 24-Stunden-Betreuungssektor bedeutende Informationen der österreichischen Behörden zu Pandemie-Maßnahmen waren überwiegend nur auf Deutsch verfügbar. Viele Betreuungskräfte hielten sich deshalb über Bekannte, ihre Agentur oder soziale Medien auf dem Laufenden. Einige Fragen blieben vollständig ungeklärt, etwa zum Verfahren bei Corona-Fällen unter 24-Stunden-Betreuungskräften, oder welche Hygieneregeln bei der Betreuung von Klient*innen zu beachten seien.
Auch verunsicherten unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern und EU-Staaten. So schreckten manche Betreuungskräfte vor der Reise nach Österreich zurück, weil sie befürchteten, hinterher nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren zu können. Auch Drittländer spielten teilweise eine Rolle, etwa als die Grenzschließung Ungarns die Route nach Rumänien abschnitt. Hier konnten die Betreuungskräfte die Reise schließlich in einem von Österreich eingesetzten Sonderzug bewältigen.
Konfuse Organisation der Transporte
Davon abgesehen mussten die Agenturen, Familien oder 24-Stunden-Betreuungskräfte die Organisation von Tests und Transport jedoch selbst übernehmen. Das war vor allem anfangs erschwert durch mangelnde Testkapazitäten und langsame Kostenerstattung. Das Geld für die Bezahlung der Tests streckten somit entweder die Familien in Österreich, oder die Betreuungskräfte selbst vor. Um den Transport zu bewältigen, überquerten Betreuungskräfte die Grenzen oft zu Fuß, und fuhren anschließend in einem neuen Transportmittel weiter. In Bussen, Taxis oder der kollektiven Quarantäne nach der Einreise in Österreich, welche zeitweise verpflichtend war, sahen sich die Betreuungskräfte einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt.
Ein weiteres Infektionsrisiko besteht in den Familien. “Für viele ist es selbstverständlich, dass die Betreuer*in einen Corona-Test vorweisen soll, aber umgekehrt gilt das dann nicht mehr. Das sollte gerecht sein”, findet eine Betreuerin. Neben der Angst um die eigene Gesundheit fürchten Betreuungskräfte eine Infektion auch aufgrund der damit verbundenen Arbeitsunfähigkeit.
Konflikte um die Plätze
Uneinigkeit herrscht über die Frage, ob die Pandemie die Verhandlungsposition eher für 24-Stunden-Betreuungskräfte oder Betreuungsbedürftige verbesserte. Während eine Agentur von einer gestärkten Position für 24-Stunden-Betreuungskräfte durch das verringerte “Angebot“ sprach, nahmen die Betreuungskräfte einen stärkeren Konkurrenzdruck war.
Da der gewohnte Rotationszyklus unterbrochen war, kam es teilweise zu Konflikten zwischen Kolleg*innen, wer die längeren Arbeitszeiten beziehungsweise Einkommenseinbußen hinnehmen sollte. “Aus Angst vor dem Jobverlust arbeiten manche unter noch schlechteren Bedingungen“, erklärte eine 24-Stunden-Betreuerin. “Keiner will ja ohne Arbeit zuhause bleiben. Auch wenn die Bedingungen vor Corona schon nicht ideal waren, arbeiten viele Betreuer*innen trotzdem weiter, weil sie Geld brauchen. Manche Betreuer*innen haben Kinder, oder müssen Kredite bezahlen und so weiter.”
Bedingungen müssen verbessert werden
Insgesamt sind die Bedingungen für die Betreuungskräfte stark abhängig von ihrer Vermittlungsagentur sowie den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen. Eine offizielle Interessenvertretung aller ausländischen Betreuungskräfte fehlt bisher. Immerhin entstanden während der Pandemie neue Initiativen, wie etwa den Versuch, Zusammenschlüsse von 24-Stunden-Betreuungskräften aus einzelnen Ländern zu verbinden. Auch zeigte die Pandemie die Abhängigkeit des österreichischen Pflegesystems von ausländischen Betreuungskräften und sorgte oft für deren gesteigerte Anerkennung.
Wie bei vielen systemrelevanten Berufen reicht das jedoch nicht aus. Stattdessen wünschen sich die Betreuungskräfte bessere Arbeitsbedingungen und eine Reform des 24-Stunden-Betreuungssektors, etwa durch angemessene soziale Sicherung und einer gesetzlichen Interessenvertretung.
Luzie Dallinger, Liz Brentjens, Nina Schulze und Magdalena Weichselbraun untersuchten die Situation der 24-Stunden-Betreuungskräfte im Rahmen eines Kurses des Masterprogramms Socio-Ecological Economics and Policy an der WU Wien und stellen sie hier in einem Gastbeitrag vor. Links, Titel und Zwischentitel wurden von der MOMENT-Redaktion eingefügt.