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Gesundheit

"Perfekte Quarantäne" für 24-Stunden-BetreuerInnen – und keiner will’s gewesen sein

Zwei Wochen saßen 24-Stunden-BetreuerInnen aus Rumänien in Niederösterreich in Quarantäne. Doch die war offensichtlich völlig unzureichend: Das Land fühlt sich nicht verantwortlich, die Wirtschaftskammer duckt sich weg. Für die Chefin einer Pflegeagentur war dagegen alles "perfekt organisiert".

Zwei Wochen saßen 24-Stunden-BetreuerInnen aus Rumänien in Niederösterreich in Quarantäne. Doch die war offensichtlich völlig unzureichend: Keine Isolation, Übernachten in Mehrbettzimmern, Essen am Buffet, keine Schutzmasken, keine Handschuhe, nur ein Fläschchen Desinfektionsmittel. Dazu keine medizinische Betreuung und nur einmal Fiebermessen bei der Ankunft. Das Land Niederösterreich fühlt sich nicht verantwortlich, die Wirtschaftskammer duckt sich weg. Für die Chefin einer Pflegeagentur war dagegen alles „perfekt organisiert“.

Einmal Fiebermessen muss reichen. Zumindest dann, wenn man eine 24-Stunden-Betreuerin ist, die in Österreich alte pflegebedürftige Menschen rund um die Uhr versorgt. In der Coronavirus-Pandemie zählen die Älteren unter uns zur absoluten Hochrisikogruppe, die besonders geschützt gehört. Und es sollte alles Mögliche oder zumindest das Notwendige getan werden, damit auch diejenigen frei vom Virus sind, die sich um sie kümmern. Unsere Recherchen zeigen, dass das nicht der Fall ist

In rund 33.000 österreichischen Haushalten kümmern sich 24-Stunden-BetreuerInnen um pflegebedürftigen Menschen. Mehr als die Hälfte der über 60.000 BetreuerInnen sind Frauen aus Rumänien. Wegen der geschlossenen Grenzen können sie jetzt nicht mehr hierherkommen. Weil sonst der Pflegenotstand droht, ließ die Wirtschaftskammer Niederösterreich vor einigen Wochen 231 BetreuerInnen einfliegen. Beteiligt waren das Land Niederösterreich, das die Flüge bezahlte und das Außenministerium, das diese beauftragte. MOMENT berichtete mehrfach darüber.

Als die BetreuerInnen in Wien-Schwechat landeten, wurden sie von den Pflegeagenturen, die sie angefordert hatten, in Empfang genommen. Ein Amtsarzt war anwesend, kontrollierte die BetreuerInnen auf Symptome einer COVID-19-Erkrankung, maß also im Wesentlichen Fieber. Danach ging es für die BetreuerInnen in ein Hotel in der Nähe des Flughafens für eine zweiwöchige Quarantäne. Bis hierhin war das zwar eine mindestens umstrittene Hauruck-Aktion. Wie sie durchgeführt wurde, entsprach aber den von Gesundheitsämtern herausgegeben Vorgaben für Quarantänemaßnahmen, die jetzt bei Einreisen nach Österreich obligatorisch sind.

Quarantäne im Mehrbettzimmer

Doch danach lief alles aus dem Ruder. Die BetreuerInnen hätten teilweise zu zweit oder zu dritt in den Hotelzimmern gewohnt. Einen Arzt oder eine Ärztin sahen sie außer direkt nach der Landung in Wien nicht mehr. Auch nicht, als die Quarantäne um Punkt 24 Uhr am Ostermontag beendet war. MOMENT wurde über Vertrauenspersonen der BetreuerInnen schon während der laufenden Quarantäne zugetragen, dass dabei kaum etwas den Vorschriften entsprach. Jetzt, mehr als eine Woche nach Ende der Quarantäne, schildern sie weitere Details.

So seien die Mahlzeiten – es gab Frühstück und Mittag, aber kein Abendessen – in großen Gruppen an einem Buffet eingenommen worden. „Das heißt, alle haben das Besteck angefasst, als sie sich das Essen genommen haben“, sagt eine Frau, die wie alle nur anonym zitiert werden möchte. Es seien keine Handschuhe und keine Masken verteilt worden. Pro Stockwerk hätte ein Wischmob und eine Flasche Waschmittel bereit gestanden. Im Flugzeug sei ihnen eine winzige Flasche Desinfektionsmittel gegeben worden, das war’s.

Theoretisch hätten sie streng isoliert im Zimmer bleiben müssen, praktisch war das unmöglich. „Ich habe streng die Regeln eingehalten. Aber das war egal, weil ich mich jederzeit beim Essen angesteckt haben könnte“, sagt die Betreuerin. Für sie war die Quarantäne verschenkte Zeit. Es waren zudem zwei Wochen, für die sie mit keinem Cent bezahlt oder entschädigt worden sind.

Was soll man jetzt bezahlen? Wenn die BetreuerInnen zuhause wären, würden sie auch kein Geld bekommen.
Evelyn Uitz, Geschäftsführerin Pflegeagentur Grüner Apfel
 

Für Evelyn Uitz, Geschäftsführerin der Pflegeagentur Grüner Apfel in Mödling, war das auch völlig in Ordnung so. „Den Flug hat das Land Niederösterreich bezahlt, die Wirtschaftskammer das Hotel. Was soll man jetzt noch bezahlen?“ sagt sie zu MOMENT. Ihr Argument: „Wenn sie zuhause wären, würden sie auch kein Geld bekommen.“ Allerdings hätten die BetreuerInnen dann auch nicht in Quarantäne sitzen müssen.

Gegenüber MOMENT bestätigt Uitz, wie lax die Quarantäne ablief – auch wenn sie das selbst nicht so sieht. Wurde bei ihren BetreuerInnen Fieber gemessen? „Das wurde bereits am Flughafen erledigt.“ Wurde während der Quarantäne auf Symptome untersucht? „Die Herrschaften“, sagt sie und meint damit die 24-Stunden-BetreuerInnen, die sie in Haushalte mit zu pflegenden Angehörigen vermittelt, „haben alle wenig, aber doch Ahnung von Medizin. Wenn eine sagt, mir ist heiß, mir ist schlecht, ich habe Kopfweh, dann würde man dem entsprechen“, sagt Uitz.

Heißt im Klartext: Niemand wurde hier untersucht. Anders als die Betreuerinnen sagt die Pflegeagentur-Chefin aber: „Sie haben einen Mundschutz gehabt.“ Aus Sicht von Uitz sei das jedenfalls ausreichend gewesen. Ihr Resümee : „Das war sehr gut organisiert, die Quarantäne war perfekt.“

Sollten wir erfahren, dass es zu einer Missachtung der Quarantäne-Bestimmung kommt, werden wir die Verantwortlichen damit konfrontieren.
Katharina Schinkinger, Gesundheitsministerium

An anderer Stelle sieht man das etwas weniger entspannt, zum Beispiel im Gesundheits- und Sozialministerium. Von MOMENT dazu befragt, was es zu dieser „Quarantäne“ sagt, antwortet das zuständige Regierungsamt: „Sollten wir erfahren, dass es hier zu einer Missachtung der notwendigen Bestimmungen während der Quarantäne kommt – und eine Belegung in Mehrbettzimmern stellt ohne Zweifel eine solche Missachtung dar – werden wir uns umgehend darum kümmern, die OrganisatorInnen der Quarantäneaufenthalte damit zu konfrontieren“, schreibt Katharina Schinkinger, Sprecherin im Kabinett von Minister Rudolf Anschober (Grüne).

Das Ministerium ist formal nicht zuständig, zu überwachen, dass die Quarantäne ordnungsgemäß abläuft. Dass es offensichtlich nicht weiß, was in Schwechat passiert ist, wirft aber einerseits kein gutes Licht auf das auch für die Pflege zuständige Ministerium. Andererseits haben damit die Verantwortlichen für die Quarantäne ein Problem. Und das sind die Wirtschaftskammer Niederösterreich und das Land Niederösterreich. „Ich kann sie aktuell nur an diese verweisen“, sagt Schinkinger.

Das Land: Nicht zuständig, keine Informationen

Nur: So richtig verantwortlich will in St. Pölten niemand sein. Am Landhausplatz 1, dem Sitz von Niederösterreichs Regierungsamt, will man das Eisen erst gar nicht anfassen. Die zuständige Abteilung für Gesundheit und Soziales verweist bei jeder Bitte von MOMENT danach aufzuklären, wie die Quarantäne der 24-Stunden-BetreuerInnen ablief, auf die Wirtschaftskammer. Es ist beinahe wie ein Mantra: In der bisher letzten Antwort, abgeschickt am Montag dieser Woche, schreibt das Land es dürfe, „erneut auf die Stellungnahmen vom 31.03.2020, 06.04.2020, 10.04.2020 sowie 14.04.2020 hingewiesen werden“.

Und die lauteten unisono: „Dem Land Niederösterreich liegen bzgl. der Abwicklung der Quarantäne für die Betreuungskräfte keine Informationen vor. Sie werden daher ersucht, sich mit Ihrer Anfrage direkt an die Wirtschaftskammer Niederösterreich zu wenden“, schreibt das Land, das die Flüge der BetreuerInnen immerhin mit 50.000 Euro gesponsert hat. Dabei sind die Fragen, die MOMENT dem scheinbar ahnungslosen Land gestellt hat, eher harmloser Natur: „Wer ist zuständig für die Überprüfung der Einhaltung der Quarantäne der BetreuerInnen?“ hieß etwa die erste. Reaktion: Schulterzucken in St. Pölten.

Er wird sich schnellstmöglich bei Ihnen melden
Wirtschaftskammer Niederösterreich

Das ist immerhin mehr als vom Wirtschaftskammer-Platz 1 kommt. Beim Sitz der Standesvertretung von sowohl den Pflegeagenturen als auch den 24-Stunden-BetreuerInnen selbst, die formal selbständige Ein-Personen-Unternehmen sind, herrscht gegenüber MOMENT Funkstille. Nur auf die erste E-Mail-Anfrage erhielten wir überhaupt eine Antwort: „Danke für Ihr E-Mail und Ihre Fragen“, schreibt Andrea Servus von der Fachgruppe der Personenberatung und Personenbetreuung am 30. März. Der Fachgruppenchef Robert Pozdena werde „sich schnellstmöglich bei Ihnen melden“. Schnellstmöglich scheint ein dehnbarer Begriff zu sein.

Dabei ist Pozdena derjenige, der die Idee hatte, die 24-Stunden-BetreuerInnen per Luftbrücke nach Österreich zu bringen. Das Land Niederösterreich war angetan davon. Pozdena habe dessen „volle Unterstützung“, sagte Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP). Erich Lahner, Chef einer Pflegeagentur aus Salzburg, sagte zu MOMENT: „Herr Pozdena handelte hier selbstlos und wir sind ihm dankbar.“ Doch obwohl so viele Pozdena so sehr loben, gibt er sich äußerst wortkarg, seitdem die BetreuerInnen in Wien-Schwachat gelandet sind. Bisher war Pozdena kein einziges Mal bereit, mit MOMENT zu sprechen.

Welche Agentur holt wie viele BetreuerInnen?

Die offenen Fragen an ihn werden dabei zunehmend unangenehmer. Neben seiner Tätigkeit als Funktionär der Wirtschaftskammer ist Pozdena auch Geschäftsführer der Pflegeagentur Cura Domo. Das Unternehmen sitzt in Schwechat, vertreten wird es von Pozdenas Frau Angelika Pozdena-Tomberger. Cura Domo hatte im Flugzeug aus Rumänien natürlich auch BetreuerInnen sitzen, die für sie arbeiten. Laut Aussagen beteiligter BetreuerInnen, seien die meisten PassagierInnen wortwörtlich auf einem Ticket von Cura Domo gesessen.

Das ist nicht unerheblich: Aufgrund der geschlossenen Grenzen waren die Flüge bis jetzt die einzige Möglichkeit, BetreuerInnen ins Land zu holen, die jetzt so dringend benötigt werden. Sie machen eine schlecht bezahlte und angesehene Arbeit, die kaum jemand aus Österreich machen möchte. Findet eine Agentur jetzt keine BetreuerInnen mehr, die für sie hier in Österreich arbeiten, dann müssen sich die Familien der zu pflegenden Personen an andere Betreuungsagenturen wenden: zum Beispiel an Cura Domo.

Bei Verstößen ist es unsere Pflicht, tätig zu werden.
Johann Baumschlager, LPD Niederösterreich

Gegenüber dem STANDARD betonte Pozdena, alle Agenturen eingeladen zu haben, BetreuerInnen für die Flüge anzumelden. Die Plätze seien dann nach dem Prinzip von „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ vergeben worden. Er habe dabei weder seine Firma noch befreundete Unternehmen bevorteilt. Tatsächlich entkräftet hat er die Vorwürfe bisher nicht. Dabei wäre das nicht so schwer: Auf die von MOMENT gestellte Frage, wie viele BetreuerInnen seiner Firma eingeflogen worden sind, reagierte Pozdena weder in seiner Funktion als Geschäftsführer von Cura Domo noch in der als Chef der Fachgruppe in der Wirtschaftskammer Niederösterreich.

Die Kammer beantwortete auch nicht die wiederholten Fragen danach, wie die Quarantäne der BetreuerInnen durchgeführt wurde und wer diese überwacht hat. Und hier kommt wieder das Land Niederösterreich ins Spiel. Schließlich hat die Wirtschaftskammer keine medizinische Abteilung. Laut COVID-Verordnung müssen die Behörden sicherstellen, dass die Quarantäne eingehalten wird. Das sagt auch Johann Baumschlager, Sprecher der Landespolizeidirektion Niederösterreich zu MOMENT. „Bei Verstößen ist es unsere Pflicht, tätig zu werden.“

Verantwortung einmal im Kreis geschickt

Für medizinische Fragen sind die Sanitätsdienste der Bezirke zuständig. MOMENT erreichte zwei Amtsärzte aus Niederösterreich. Darunter den Arzt, der auch am Flughafen Schwechat war, als die BetreuerInnen dort ankamen. „Wir vollziehen die Verordnung 105, die das Gesundheitsministerium herausgegeben hat“, sagt er. Diese Verordnung regelt die „Einreise auf dem Luftweg nach Österreich“ und trat am 18. März dieses Jahres in Kraft. Er und seine Amtsarzt-KollegInnen machten „die Gesundheitschecks, die vorgesehen sind“. Welche das sind und wie diese in den Hotels der 24-Stunden-BetreuerInnen genau ausgeführt wurden, beantwortet er nicht. „Ich kann Sie da nur an die Pressestelle verweisen, die haben eine eigene Abteilung dafür“, sagt er.

Es ist die Pressestelle des Landes Niederösterreich, die gegenüber MOMENT darauf hinweist, dass sie nicht zuständig sei. Das Land verweist an die Wirtschaftskammer Niederösterreich und zuletzt an die Bezirke, deren Amtsärzte zuständig seien. Und der ebenfalls von MOMENT kontaktierte zweite Amtsarzt von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha verweist wiederum an die Pressestelle. Somit ist die Verantwortung für die Durchführung der Quarantäne einmal im Kreis geschickt worden. Vorbei an Behörden, Kammern, Pflegeagenturen und Ministerien, die offenbar alle irgendwie nicht zuständig sind oder nicht wissen, was während der zwei Wochen Quarantäne passiert ist.

Wir haben Angst. Sie spielen mit unserem Leben!
24-Stunden-Betreuerin während der Quarantäne

In diesen zwei Wochen saßen 231 BetreuerInnen pflegebedürftiger Personen in einem Hotel nahe des Flughafens Wien-Schwechat und klagten über eine unzureichende Quarantäne. „Wir haben Angst uns gegenseitig anzustecken“, berichtete eine von ihnen. Und sie hätten große Angst davor, das Virus danach zu den hochbetagten Personen zu tragen, die sie betreuen. „Sie spielen mit unserem Leben“, sagte die Betreuerin.

Bald sollen wieder BetreuerInnen aus Rumänien nach Österreich kommen. An diesem Donnertagmorgen präsentierte Österreichs Regierung, sich mit Ungarn darauf geeinigt zu haben, ab Mai Transitzüge mit rumänischen BetreuerInnen nach Österreich durchfahren zu lassen. Organisiert werden auch diese Fahrten von der Wirtschaftskammer. Tage zuvor sagte Evelyn Uitz, Geschäftsführerin der Pflegeagentur Grüner Apfel, zu MOMENT: „Es wird daran gearbeitet, dass weiteres Personal kommt. Die Details werde ich ihnen jetzt nicht sagen. Fragen Sie in der Wirtschaftskammer nach.“ Es könnte dauern, eine Antwort zu erhalten.

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