30-Stunden-Woche: "Alle Arbeitszeitreformen haben mit kleinen Schritten begonnen"
„Wir haben bei der Altenpflege begonnen, weil wir da die größten Probleme im Arbeitsumfeld sehen: Ein hoher Anteil an Krankenständen und großer Bedarf an mehr Personal“, sagt Daniel Bernmar, Göteborgs ehemaliger Vizebürgermeister, im MOMENT-Interview. Laut dem linken Politiker war die Aktion erfolgreich: Krankenstände und Überstunden wurden reduziert, die Angestellten waren zufriedener.
Der größte Kritikpunkt betraf die Kosten des Projekts: Die Personalausgaben stiegen um 25 Prozent an. Diese Kritik lässt Bernmar so allerdings nicht gelten, denn die positiven Effekte führten zu indirekten Einsparungen im Sozialsystem. Und dabei waren die Langzeiteffekte noch nicht mit eingerechnet: „Wenn wir ein besseres Arbeitsumfeld schaffen, schafft man es, dass die Leute später in Pension gehen wollen. Und das hat starke Auswirkungen auf die tatsächlichen Kosten der Arbeitszeitreduzierung.“
MOMENT: Was war die Idee hinter dem Projekt?
Daniel Bernmar: Wir wollten herausfinden, wie wir ein besseres Arbeitsumfeld und attraktivere Jobs schaffen können. Denn in Zukunft werden wir wesentlich mehr Menschen für Berufe im öffentlichen Sektor brauchen. Ein weiterer Aspekt war, dass wir den Menschen die Verkürzung der Arbeitszeit als eine Möglichkeit aufzeigen wollten, wie man ein nachhaltiges Arbeitsleben schaffen kann. Egal in welchem Sektor.
Wir haben also mehr PflegerInnen angestellt und die Dienstpläne verändert. Es war zu jeder Zeit mehr Personal anwesend, das sich mit den PatientInnen beschäftigte und sich um sie kümmern konnte. Auch für die Fälle, in denen etwa jemand extra Pflege benötigte oder ins Krankenhaus gebracht werden musste, war jemand verfügbar. Die Qualität der Pflege und die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen ist deutlich gestiegen. Nicht zuletzt sahen wir einen Anstieg bei den Bewerbungen.
MOMENT: Wie hoch waren die Kosten für das Projekt?
Die Personalkosten stiegen um 25 Prozent. Allerdings konnte die Hälfte durch indirekte Auswirkungen wieder eingespielt werden. Dabei geht es um verschiedene Ausgaben im öffentlichen Sektor: Weniger Krankenstände führten beispielsweise zu weniger Ausgaben bei den Krankenversicherungen. Natürlich sind auch 13% höhere Ausgaben immer noch viel Geld. Was wir allerdings nicht messen konnten, waren die dynamischen Langzeiteffekte.
MOMENT: Es gab speziell wegen der Kosten Diskussionen in Göteborg. Einige meinten, dass es hinsichtlich des Budgets nicht vernünftig sei, die Kosten für Personal so zu erhöhen.
Das Problem ist, dass in Schweden die Stadtverwaltungen für fast alle soziale Dienste zuständig sind. Wir mussten also die Kosten tragen und die positiven Auswirkungen waren auf nationaler Ebene spürbar. Würde man das also auf einer größeren Skala einführen, müsste man einen Weg finden um den regionalen Verwaltungen mehr Geld zukommen zu lassen.
MOMENT: Eine Hauptkritik gegen Arbeitszeitverkürzungen ist, dass die Wirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig ist im Vergleich zu anderen Ländern. Was sagen sie dazu?
Die Annahme, dass viele Arbeitsstunden mit hoher Wettbewerbsfähigkeit einhergeht, ist falsch. Einige der Länder mit niedrigen Arbeitszeiten sind am effizientesten und haben hohe Zuwächse bei der Produktivität, umgekehrt genauso. Ich glaube also, dass KritikerInnen diese Behauptung erst beweisen müssten.
MOMENT: Wie realistisch ist denn eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 6 Stunden täglich?
Ich glaube die Geschichte gibt uns die Antwort. Die Arbeitszeit wurde immer wieder verkürzt. 40 Stunden wird nicht der Endpunkt sein. Der Arbeitsmarkt strebt immer mehr danach, Angestellte mit anderen Angeboten zu locken als mit höherer Bezahlung. Eine Möglichkeit sind bessere Arbeitsbedingungen – und Arbeitszeit ist hier ein wichtiges Werkzeug. Es sind momentan kleine Schritte. Aber alle Arbeitszeitreformen haben mit kleinen Schritten begonnen.
MOMENT: Sie haben sich vor einiger Zeit in einem Kommentar im Guardian über schlechte Berichterstattung zu ihrem Projekt beschwert. Können Sie sich den Grund dafür erklären?
Die Berichte haben den Erfolg, den wir erlebt und gemessen haben, nicht widergespiegelt. Außerdem wurde nicht erklärt, warum das Projekt beendet wurde: Es war keine Frage der Kosten, sondern ganz einfach die Tatsache, dass der Versuchszeitraum zu Ende war. Wir wussten vorher schon um die Kosten Bescheid. Das haben wir versucht zu erklären.
MOMENT: Wie hat sich die öffentliche Meinung dazu die letzten Jahre entwickelt?
Als das Projekt beendet wurde, gab es plötzlich nationale und internationale Aufmerksamkeit. Ich denke die Menschen sehen die großen Probleme, die wir mit schlechten Arbeitsbedingungen haben. Unser Projekt hat eine andere Möglichkeit aufgezeigt. Nur bei Entscheidungsträgern war die Reaktion negativ. Sie werden nie die sein, die hier Veränderung anstoßen – das muss immer von Gewerkschaften und ArbeiterInnen kommen, nicht von den Eliten.