6.000 Euro Sozialhilfe für Großfamilie? Wie FPÖ und „Heute“ mit Fantasiezahlen Stimmung machen

Es sind nach Empörung schreiende Meldungen unter dem Motto: Hat schon einmal gut funktioniert, probieren wir nochmal. Über „skandalös hohe Sozialhilfegelder ohne jegliche Leistung oder Arbeit“ regt sich FPÖ-Spitzenkandidat Mario Kunasek auf. Denn in der Steiermark „gibt es tatsächlich ausländische Haushalte mit zwei Erwachsenen und acht Minderjährigen, die Sozialunterstützung beziehen“, so die FPÖ wörtlich. Diese könnten einen „Gesamtbezug von bis zu 6.000 Euro netto pro Monat erreichen“.
Es ist der Versuch, die äußerst erregt geführte Sommerdebatte um 4.600 Euro Sozialhilfe für eine Wiener Großfamilie in die Steiermark zu holen. Dort soll am 25. November ein neuer Landtag gewählt werden.
Streit um Sozialhilfe für Familie – mit falschen Zahlen
Die FPÖ habe hier „neue, ähnliche Fälle aufgedeckt“, tönt die Heute. Denn die Partei habe herausgefunden, dass es in der Steiermark drei Familien mit jeweils acht Kindern gibt, die Sozialunterstützung vom Land erhalten. Diese könnte bis zu 3.681,34 Euro monatlich betragen. Dazu könnten laut den Freiheitlichen noch bis zu 2.300 Euro Familienbeihilfe kommen. Und so „kann eine zehnköpfige Familie bis zu 6.000 Euro Sozialleistungen kassieren“, schreibt Heute.
Doch das stimmt so nicht – und das weiß die FPÖ und müsste auch die Zeitung wissen.
Es sind eigene Berechnungen der FPÖ, die die Zeitungen wiedergeben. Die Berechnungen sind irreführend. Grundlage der gewollten Empörung ist eine Antwort auf eine Anfrage an die Soziallandesrätin Doris Kampus. Die FPÖ wollte da ganz genau wissen, wie viele Familien mit wie vielen minderjährigen Kindern in ihren Haushalten in der Steiermark Sozialunterstützung erhalten und wie viel – natürlich fein unterteilt in Österreicher:innen, EU-Bürger:innen, Drittstaatsangehörige und Asylberechtigte.
Die FPÖ fragte einzeln durch: „Wie viele Haushalte mit drei minderjährigen Sozialunterstützungsbeziehern gab es im Jahr 2023“, wie viele mit vier, mit fünf und bis hinauf zu zehn. Dazu wollte die FPÖ ausgerechnet bekommen, wie hoch die theoretisch mögliche Sozialunterstützung für die Familien wäre. 56 einzelne Fragen stellten die Freiheitlichen. Die Anfragebeantwortung wurde sehr lang und tabellenreich.
Aus ihr lässt sich genau herauslesen, dass die von FPÖ, Kleine Zeitung und Heute herausgegriffene Zahl von „bis zu 6.000 Euro“ Sozialleistungen für eine der drei zehnköpfigen Familien in der Steiermark eine Fantasiezahl ist.
FPÖ verschweigt: Niemand bekommt solche Sozialleistungen
Denn: Von den drei Familien mit acht Kindern kamen je genau ein:e Antragsteller:in aus der EU oder dem EWR. Ein weiterer Antrag wurde von Drittstaatsangehörigen gestellt und der dritte von Asylberechtigten. Da also aus jeder dieser Gruppen genau eine Familie mit acht Kindern Sozialunterstützung erhielt, lässt sich ermitteln, wie hoch diese konkret war.
Datenschutzrechtlich ist das problematisch. In anderen Anfragen – etwa wenn es um Steuerzahlungen von besonders reichen Menschen geht – verweigern Regierungsstellen gerne einmal Antworten in parlamentarischen Anfragen. Begründung: Weil der Personenkreis so wenig Leute umfasse, seien sie leicht zu identifizieren. Bei Empfänger:innen von Sozialhilfe scheint das kein großes Problem zu sein.
Im Falle der asylberechtigten Familie waren es im Jahr 2023 monatlich im Durchschnitt 1.568 Euro. Das ist weit entfernt von den theoretisch möglichen 3.681,34 Euro an monatlicher Unterstützung, auf deren Grundlage die FPÖ die „skandalös hohen Sozialhilfegelder“ errechnet haben will, die von den Zeitungen 1:1 übernommen werden.
Großfamilie wäre dennoch armutsgefährdet
Doch das ist noch nicht alles: Zu diesem Betrag sollen ja noch „je nach Alter der Kinder“ rund 2.300 Euro an Familienbeihilfe kommen, die die Republik auszahlt. So hat es die FPÖ berechnet. Nur: Wie sie auf diesen Betrag kommt, lässt sich schwer nachvollziehen. Aber möglicherweise haben wir da etwas übersehen.
Update 31.10., 14:54 Uhr: Wir haben tatsächlich etwas übersehen. Nämlich den Kinderabsetzbetrag. Der betrug im Jahr 2023 monatlich 61,80 Euro pro Kind. Damit ist es möglich, auf eine Familienbeihilfe von monatlich rund 2.300 Euro zu kommen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
MOMENT.at fragte bei Mario Kunasek und seinem Büro nach, auf welcher Grundlage er seine Rechnungen angestellt habe und welche Altersstruktur seine “Modellfamilie” habe. Wir fragten, warum er verschweigt, dass keine Familie in der Steiermark annähernd die höchstmögliche Sozialunterstützung erhält, die er als “skandalös hoch” bezeichnet.
Wir wiesen Kunasek auch darauf hin, dass die Schwelle zur Armutsgefährdung für Haushalte mit 2 Erwachsenen und 8 minderjährigen Kindern nach Zahlen und Berechnungsformeln der Statistik Austria bei etwas mehr als 6.100 Euro im Monat liegt. Selbst mit den augenscheinlich fehlerhaft berechneten “bis zu 6.000 Euro”, wäre die Familie also noch immer unter der Armutsgefährdungsschwelle. Wo solle da noch gekürzt werden? Eine Antwort erhielten wir bis Redaktionsschluss nicht.
Entspricht 1 Prozent vom FPÖ-Finanzskandal
Aber wenn wir schon bei Zahlenspielen sind: Die knapp 19.000 Euro, die eine asylberechtigte Familie mit acht Kindern im Jahr 2023 – berechtigterweise und bewilligterweise – erhalten hat, entsprechen rund einem Prozent von 1,8 Millionen Euro. Diese 1,8 Millionen Euro sind der Betrag, den die Grazer FPÖ aus Partei- und Klubförderungen der Stadt Graz veruntreut haben soll – also aus dem Geld der Steuerzahler:innen. Die Finanzaffäre der FPÖ beschäftigt die Justiz bereits seit drei Jahren. Einer von 18 Beschuldigten ist der Landesparteiobmann der FPÖ und deren Spitzenkandidat bei der Steiermark-Wahl am 25. November: Er heißt Mario Kunasek. Es gilt die Unschuldsvermutung.
* Update 31.10.: Korrekturhinweis eingefügt