Adele Neuhauser: “Wir sind nur Begleiterscheinung, Verhinderer oder verängstigte Wesen, auf dem Weg zum Ruhm eines Mannes.”
MOMENT.at: Du bist eine sehr erfolgreiche Schauspielerin. Manch einer könnte sagen, du bist der Beweis, dass man als Frau alles erreichen und Erfolg haben kann. “Gleichberechtigung durchgespielt.“ Was würdest du dazu sagen?
Adele Neuhauser: Ich würde das nicht der Gleichberechtigung zuschreiben. Ich habe Glück gehabt. Ich habe auch mit meinen Rollen einen Alterungsprozess vorweggenommen, der einen neuen Zugang zu meiner Person ermöglicht hat. Ich bin vor den Augen des Publikums schneller gealtert als ich eigentlich vorangeschritten bin.
Dass Frauen alles schaffen können, das glaube ich sehr wohl. Aber das hat nicht wirklich mit Gleichberechtigung zu tun.
MOMENT.at: Werden Frauen in deiner Branche immer noch benachteiligt?
Neuhauser: Absolut und das ist sehr traurig. Es passiert schon im ersten Entstehungsprozess, sprich bei Büchern. Frauen ab einem gewissen Alter sind entweder nur noch Großmütter, die keinen großen Einfluss haben. Oder sie kommen einfach nicht mehr vor, sind einfach nicht mehr da. Es ist immer noch das Spiel der weißen Männer, die ihre Geschichten abhandeln und wir sind nur Begleiterscheinung, Verhinderer oder verängstigte Wesen, auf dem Weg zum Ruhm eines Mannes.
MOMENT.at: Frauen werden immer noch schlechter bezahlt als Männer. Oft, wenn sie denselben Job machen. Oft werden aber auch jene Berufe schlechter bezahlt, die hauptsächlich von Frauen ausgeübt werden. Ist das auch ein Problem in der Filmbranche?
Neuhauser: Ja, das ist auch ein Problem in der Branche. Ich habe das auch am eigenen Leib erleben müssen und lange Jahre ertragen, irgendwann aber zurückgeschlagen.
Männliche Kollegen haben für ihre Rollen mehr bezahlt bekommen. Das war auch beim Tatort so. Ich bin neu dazugestoßen, musste noch einen Weg machen, musste mich noch beweisen. Irgendwann war dann aber die Zeit reif für Gleichberechtigung. Da haben wir sie dann eingefordert.
Das hat nichts mit den Kollegen zu tun. Das ist rein diese seltsame strukturelle Ungleichbehandlung.
Es geht nicht darum, dass wir mit Samthandschuhen behandelt werden wollen, sondern eben gleichberechtigt.
MOMENT.at: Wie hat sich das in der Zeit, in der du in dieser Branche arbeitest, verändert? Hat sich was verbessert?
Neuhauser: Sehr wohl. Es hat sich auch die Wahrnehmung geändert, wie man mit Frauen umzugehen hat. Es geht nicht darum, dass wir mit Samthandschuhen behandelt werden wollen, sondern eben gleichberechtigt. Das ist absolut legitim. So gehört sich das einfach.
Ich glaube, dass gerade das Bewusstsein von jungen Frauen und Männern sich verändert hat. Da ist schon ein anderer Umgang zu sehen.
MOMENT.at: Hat da auch #Metoo etwas bewegt in Österreich?
Neuhauser: Unbedingt. Das mutige Vorgehen von Frauen, die Übergriffe öffentlich gemacht und angeprangert haben, hat zum Bewusstsein geführt, dass das nicht hinnehmbar ist. Das musste auch in den eigenen Köpfen erst korrigiert werden – auch von Frauen. Und das hat dazu beigetragen.
Ich bin einer Generation zugehörig, die vieles ertragen hat, “weil es einfach so ist”. Da war ein Lernprozess notwendig.
Von Frauen könnten wir einen menschlicheren Umgang erwarten und dafür sollten wir offen sein.
MOMENT.at: Was würdest du sagen: Was muss noch besser werden?
Neuhauser: Vieles. Wir haben das auch wieder bei den Wahlen in den USA gesehen. Es gibt immer noch Stimmen – auch von Frauen -, die sagen: “Nur Männer können diesen Job richtig gut machen”. Es ist leider noch immer stark in manchen Köpfen verankert, dass Frauen nicht genügend Durchsetzungsvermögen besitzen. Nur weil sie einen anderen Weg wählen und ich glaube, dieser Weg muss in einem anderen Licht gesehen werden. Dann stellt sich die Frage, ob Frauen so ein Amt stemmen können, nicht mehr.
MOMENT.at: Was meinst du mit anderem Weg?
Neuhauser: Frauen wählen oft eine andere Toleranz, einen anderen, menschlicheren und diplomatischeren Umgang. Der ist völlig auf der Strecke geblieben. Wir haben es mit Willkür zu tun und mit wirklich grauslichen Aussagen der Politiker. Dadurch wird ein Ton wieder en vogue, der nicht haltbar ist. Und das hat Konsequenzen – nicht nur für Frauen und ihre Rechte. Es nehmen beispielsweise auch antisemitische Äußerungen und Übergriffe wieder zu. Wir bewegen uns leider wieder mindestens zehn Schritte zurück.
Von Frauen könnten wir einen menschlicheren Umgang erwarten und dafür sollten wir offen sein.
MOMENT.at: Weg von den binären Geschlechtern: In Ungeschminkt hast du eine trans Frau gespielt und früher Mephisto, also eine männliche Rolle. Wie sehr beschäftigen dich Geschlechterrollen?
Neuhauser: Immer schon, weil ich in dem Sinne nicht so ein weibliches Wesen war und in meiner frühen Karriere auch nicht diese typischen weiblichen Rollen spielen durfte. Ich wurde immer schon in eine härtere, männlichere, androgyne Richtung gedrängt. Das war für mich nicht unbedingt negativ, weil ich es sehr spannend fand, zu ergründen, wie viel des anderen Geschlechts in mir ist.
MOMENT.at: Doch dir wurde die Entscheidung abgenommen.
Neuhauser: Ja, auch wenn ich mit dem Ausgang kein Problem hatte, wurde mir die Entscheidung abgenommen. Ich hatte auch das Gefühl, in ein bestimmtes Selbstverständnis hineinwachsen zu müssen. Dennoch bin ich damit zufrieden. Ich habe durch meine Rollen sehr viel über mich selbst gelernt und für mich mitnehmen können.
Wir sind duale Wesen. Wir sind nicht nur explizit ein Geschlecht und bedienen uns immer wieder auch im alltäglichen Leben an Eigenschaften, die dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden – um weicher, härter oder wie auch immer zu wirken. Wir spielen damit und benutzen es.
MOMENT.at: Filme und Medien machen Personen, Identitäten, Phänomene sichtbar. Würdest du sagen, die österreichische Filmbranche wird der Realität gerecht? Wird die Vielfalt, in der wir leben, abgebildet? Oder sehen wir hier eher konservative Rollenbilder?
Neuhauser: Es fängt sich langsam an zu ändern. Es ist schon ein Versuch da, der Wahrheit gerecht zu werden. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es ein Nutzen der Vorlagen ist, um nicht kritisiert zu werden. Damit nicht gesagt werden kann, “das ist alles noch veraltet”. Dabei werden manchmal Rollenbilder eingearbeitet, die meiner Meinung nach sehr herbeigeholt sind, nur um sagen zu können, es werden alle Menschen unserer Gesellschaft abgelichtet.
Ich würde aber vorsichtig sein und nicht direkt mit einer Kritik loslegen. Alles braucht seine Zeit und das Bemühen ist schon anerkennenswert.
MOMENT.at: Vermittelt werden auch Männer- und Frauenbilder, die auch Politik beeinflussen können. Wir sehen die Sehnsucht nach einem “starken Mann”. Diese Sehnsucht hat auch Herbert Kickl und Donald Trump zu ihren Wahlsiegen verholfen. Siehst du einen Backlash, was Frauenrechte betrifft?
Neuhauser: Ja, extrem, leider. Ich weiß nicht, ob wir als Medium Film/Fernsehen dazu beigetragen haben. Aber ich sehe auch gerade in amerikanischen Produktionen, dass immer noch die Brutalität und die Lust an der Brutalität Hochkonjunktur hat und das halte ich für gefährlich. Man muss die Geschichten anders erzählen.
MOMENT.at: Wie muss man sie erzählen?
Neuhauser: Wir versuchen zum Beispiel beim Tatort, die Waffe nicht immer präsent sichtbar zu tragen, die Waffe nicht schnell zum Einsatz zu bringen oder auch, nicht lange blutüberströmte Leichen im Bild zu haben. Ich glaube, dass diese Bilder zu einer seltsamen Normalität des Grauens führen. Und ich glaube, damit muss man sensibler umgehen.
MOMENT.at: Von allen Figuren, die dich in deinem Leben begleitet haben – ob du sie selbst gespielt oder auf den Bildschirmen verfolgt hast – welche hättest du am liebsten im echten Leben?
Neuhauser: Ich würde mir eine Figur wünschen, die ehrlich und sichtbar um Menschlichkeit in der Gesellschaft ringt. Die dabei nicht als Opfer wahrgenommen wird, sondern dass es Spaß macht, ihr zu folgen. Dass es eine lustvolle, neugierige Figur ist, die uns Freude am Prozess zu einer gesunden Gesellschaft macht. Da fällt mir Peter Ustinov ein. Der hat für mich diese Ausstrahlung, etwas Lustvolles, wirkt am Leben neugierig. Den hätte ich gerne kennengelernt.