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Ungleichheit

“Ich bin inter* und musste mich in der Arbeit viel zu lange verstecken”

Foto: Alex Jürgen

 Anfeindungen, Diskriminierung, Geheimniskrämerei: Arbeiten als Intersex-Person ist eine Herausforderung. Alex Jürgen wurde mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren. Alex ist weder Mann noch Frau - doch in der Arbeitswelt gab es keinen Platz für diverse Personen.

Was heißt “intersex”?

Menschen sind intersex (Synonym: inter*, intergeschlechtlich), wenn sie mit uneindeutigen oder alternativen Geschlechtsmerkmalen geboren werden, also medizinisch weder klar männlich noch weiblich zugeordnet werden können. Bis zu 1,7% der Bevölkerung sind auf die eine oder andere Weise intergeschlechtlich. Inter* Menschen werden teilweise in Österreich auch heute noch operiert, obwohl es keine medizinische Notwendigkeit gibt. Es passiert nur, um die Geschlechtsmerkmale dem Standard „männlich“ oder „weiblich“ anzupassen.

Schon bei der Geburt hatten weder Hebammen noch Mediziner:innen auch nur den leisesten Schimmer, welchem Geschlecht ich nun zuzuordnen wäre. Ich wuchs erst als Junge, dann als Mädchen auf. Meine Genitalien waren zu uneindeutig gewachsen. Das war damals wohl das Trauma meiner Eltern. Meines fing an, als man mir stückchenweise alles weggeschnitten hat, was nicht zu einem Mädchen gehörte, samt Austreibung jeglichen Verhaltens, das nicht ladylike war. Das hat mein gesamtes Leben beeinflusst, somit auch meinen beruflichen Werdegang.

In der Arbeit muss ich mich verstellen

Ich habe viele Jobs gehabt. In fast allen musste ich mich verstellen und damit umgehen, dass weder Chef:innen noch Kolleg:innen verstehen, “was” ich bin. Man sieht mich, und denkt, ich bin ein Mann. Oder man hört mich am Telefon, und denkt, ich bin eine Frau. Eines von beiden muss man jedenfalls sein. Den Freiraum, so zu sein, wie ich bin, den gab es in der Berufswelt für mich nicht. Auch für Aufklärung gab es keinen Platz. Das sein zu müssen, was ich nicht war, trieb mich erst in die Alkohol- dann in die Drogensucht.

Einmal habe ich in einer Auto-Stanzerei gearbeitet, wo es eine Umkleide für Männer gab. Da habe ich mir einen künstlichen Penis in die Hose gesteckt, weil ich so Sorge hatte, dass sie mir draufkommen, dass ich keinen habe. In der Arbeit habe ich versucht, als “Mann” durchzugehen. Ich habe mich immer wie ein U-Boot gefühlt, immer Angst gehabt, jemand könnte draufkommen, wer ich bin. Das waren die schlimmsten Momente, in diese Umkleiden zu gehen.

Ich habe mich versteckt, so etwas will ich nie mehr

In Bürojobs wurde ich für eine Frau gehalten, aber das war ich nicht. Ich habe alle ausgebessert, die mich mit Frau angesprochen haben, und dann hieß es meistens „Entschuldigung, Herr…“. Ich meinte, auch das bin ich nicht. Wenn ich der Kundschaft erklärt habe, was intersex bedeutet, sagte der Chef, das ginge so nicht. Das sollte ich für mich behalten. Es gab offenbar keinen Platz für mich im Berufsleben.

Später wurde ich Coach für behinderte Menschen. In der Zeit ist mir der Film „Tintenfischalarm“ passiert, welcher von mir und meinem Leben als inter* Mensch handelt. Als ich damals beschlossen habe, an die Öffentlichkeit zu gehen, habe ich immer damit gerechnet, dass mich mal jemand auf offener Straße erschlägt. Ich bereue den Film nicht, aber ich möchte mich auch nicht mehr fragen, warum die Menschen mich so seltsam anschauen.
Mir ist es immer wieder passiert, dass Leute den Film gesehen haben. Aber es kam nicht gut an, in der Arbeit darüber zu sprechen.

Ausgrenzung und Mobbing am Arbeitsplatz

Einer meiner letzten Jobs war als Portier:in. Dort gab es eine Chat-Gruppe, die hieß „Das Portier-Tier“. Damit war ich gemeint.  Dort wurde die Frage gestellt, was ich bin. Ob ich ein Mann bin, oder eine Frau, und wie arg ich nicht ausschaue. Und dann gab es da Leute, die meinten, sie würden mich kennen und wissen, dass ich früher eine Frau gewesen sei.

Daraufhin habe ich eine ziemliche Psycho-Krise gekriegt. Ich hatte Nachtschicht, als es besonders arg war, und las all die Nachrichten, die über mich geschrieben wurden. Ich bin heimgefahren. Ich war müde und bin über einen ungesicherten Bahnübergang gefahren. Fast hätte der Zug mich erwischt. Das war der Moment, in dem ich wusste, ich muss kündigen.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon Krebs. Der öffnete mir schlussendlich die Tür zur Pension. Heute bin ich eigentlich pensioniert, aber arbeite als Aktivist:in und Künstler:in. Ich kenne auch durch meinen Aktivismus viele inter* Personen, die zum Beispiel Lehrer:innen oder Geolog:innen sind, oder in Bürojobs arbeiten. Aber die wenigsten von ihnen sind geoutet. Ich möchte mit meiner Arbeit einen Beitrag dazu leisten, dass wir sichtbar werden. Dass wir akzeptiert und nicht nur toleriert werden. Dafür braucht es Vorbilder, die offen darüber sprechen.

 
 

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