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Arbeitswelt

Teilzeit arbeiten: Alle Fakten aus dem Arbeitszeitreport 2023

Gerade Frauen arbeiten oft nicht freiwillig Teilzeit, sondern weil es Betreuungspflichten nicht anders zulassen. Foto: Julia M Cameron/Pexels
Immer wieder diskutieren wir über fehlende Arbeitskräfte. Die Spitze der Diskussion lieferte zuletzt Arbeitsminister Martin Kocher als er vorgeschlagen hat, Teilzeitarbeit mit weniger Sozialleistungen abzustrafen. Die Menschen sollen so zu einer Vollzeitanstellung "motiviert" werden. Kritik wurde laut. Sehr laut. Berechtigterweise, wie der neue Arbeitszeitreport des Momentum Instituts zeigt.

Das Kräfteverhältnis am Arbeitsmarkt entwickelt sich von den Arbeitgeber:innen hin zu den Arbeitnehmer:innen. Immer mehr müssen sich die Arbeitgeber:innen um die Arbeitskräfte bewerben und nicht umgekehrt. Unternehmen müssten Löhne und Arbeitsbedingungen verbessern, um die Arbeitskräfte für sich zu gewinnen.

Die Regierung nimmt den Unternehmen Druck zur Verbesserung, schreibt Jakob Sturn im „Arbeitszeitreport 2023“. Mit Vorstößen, wie zuletzt Arbeitsminister Kocher, der vorgeschlagen hat, Teilzeitarbeit mit weniger Sozialleistungen abzustrafen. Die Menschen sollen so zu einer Vollzeitanstellung motiviert werden. Doch so einfach ist das nicht. Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Arbeitszeitreport:

#1 Teilzeitbeschäftigte sind bereits im Nachteil

Minister Kocher wollte Teilzeitarbeit unattraktiver machen und sprach von niedrigeren Sozialleistungen. Die Menschen sollen so zu Vollzeitanstellungen animiert werden. Teilzeitbeschäftigte haben bereits heute gegenüber Vollzeitbeschäftigten erhebliche Nachteile. Die Löhne und Pensionsansprüche sind niedriger und ebenso alle einkommensabhängigen Sozial- und Versicherungsleistungen wie das Arbeitslosengeld, Notstandsgeld, Kinderbetreuungsgeld oder die Bildungskarenz.

#2 Nur wenige arbeiten freiwillig in Teilzeit

Fast jede zweite Frau in Österreich arbeitet Teilzeit. Im Schnitt sind es 31,3 Wochenstunden Erwerbsarbeit. Bei den Männern sind es 11,6 Prozent und 38,9 Stunden pro Woche. Frauen arbeiten deswegen nicht weniger Stunden – im Gegenteil. Zumindest, wenn man die unbezahlte Care-Arbeit mitrechnet. Das ist auch der Hauptgrund, weshalb Frauen „nur“ Teilzeitstellen annehmen.

Rund 41 Prozent der Frauen, die Teilzeit arbeiten, geben an, das wegen der Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Älteren zu tun. Andere Gründe für unfreiwillige Teilzeitanstellungen sind Ausbildung (10 Prozent), familiäre oder persönliche Gründe (7 Prozent), die erfolglose Suche nach einer Vollzeitstelle (7 Prozent), Krankheit oder Behinderung (3 Prozent) oder sonstige Gründe (7 Prozent). Nur ein Viertel gibt an, freiwillig nicht mehr zu arbeiten.

Männer arbeiten hingegen meist wegen Ausbildungen (26 Prozent) oder freiwillig (24 Prozent) Teilzeit. Betreuungspflichten kommen für Männer mit 7 Prozent erst an fünfter Stelle.

#3 Reiche verkürzen Arbeitszeit am stärksten

Um die Arbeitszeit verringern zu können, benötigen die Arbeitnehmer:innen einerseits ausreichend finanzielle Mittel und andererseits eine starke Verhandlungsposition gegenüber den Arbeitgeber:innen. Beides trifft vor allem für die oberen Einkommensschichten zu. Von 2014 bis 2021 hat das Einkommenszehntel mit dem höchsten Stundenlohn seine Arbeitszeit stärker verkürzt und die Teilzeitquote gesteigert hat als alle anderen Einkommenszehntel. 

Ein finanzieller Nachteil für Teilzeitarbeitende würde bei dieser Gruppe nicht dazu führen, dass sie mehr arbeitet. Sie kann es verkraften. Gleichzeitig würde er zu Einkommensverlusten führen, die gerade für Betroffene in unteren Einkommensschichten existenzbedrohend sein können. Vor allem Frauen, die aufgrund von Betreuungspflichten nicht Vollzeit arbeiten können, sind besonders häufig von Armut bedroht oder betroffen. 

 
Grafik Arbeitszeit nach Einkommen – Arbeitszeitreport

#4 Unternehmen suchen Teilzeitkräfte

Der Teilzeit-Debatte geht die Annahme voraus, dass Arbeiter:innen ihre Arbeitszeit frei wählen können. Das ist eben nicht der Fall.

So wollen Teilzeitbeschäftigte im Schnitt 8,4 Prozent mehr arbeiten, während Vollzeitbeschäftigte im Schnitt 4 Prozent weniger arbeiten wollen. In sechs Branchen geben die Beschäftigten an, mehr arbeiten zu wollen. Doch die Rahmenbedingungen geben das nicht her. Einerseits, weil vor allem Frauen Betreuungsaufgaben übernehmen müssen, die eine Vollzeitanstellung nicht zulassen. Andererseits, weil Unternehmen häufig nur Teilzeitstellen ausschreiben – nämlich bis zu einem Drittel aller ausgeschriebenen Stellen.
 

 
Grafik offene Teilzeitstellen – Arbeitszeitreport

Arbeitszeit verkürzen, statt verlängern

Der technische Fortschritt erlaubt uns als Gesellschaft, die Löhne zu erhöhen und die Arbeitszeit zu verkürzen, ohne dabei auf Wohlstand verzichten zu müssen. Österreichs Arbeitskräfte sind heute siebenmal so produktiv wie 1950 und bis in die 1980er-Jahre waren entsprechende Arbeitszeitverkürzungen auch üblich. Es gab entweder geringere gesetzliche Höchstarbeitszeiten oder einen höheren Urlaubsanspruch. Seitdem wurden wir zwar noch produktiver, es gab aber keine Arbeitszeitreduktion mehr. Anstelle der Debatte um die Arbeitszeitverlängerung sei eine Debatte um eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung also viel eher angebracht, schreibt Sturn.

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