Die falsche Angst vor der 4-Tage-Woche
Der neueste Schrei ist das Konzept übrigens nicht: Vor 100 Jahren haben wir pro Woche noch 48 Stunden gearbeitet. Dann gabs eine 45-Stunden-Woche, schließlich haben wir auf 43 Stunden verringert, 1975 auf 40 Stunden und 1985 haben die meisten Branchen die 38,5-Stunden-Woche eingeführt.
Wann kommt die nächste Arbeitszeitverkürzung?
Stellt sich die Frage: Wenn die letzte großflächige Verringerung der Arbeitsstunden jetzt fast 40 Jahre her ist … wann ist es dann Zeit für die nächste?
Die Leute, für die wir arbeiten, haben darauf eine klare Antwort: niemals.
Bei jeder Stunde, die die Arbeitszeit reduziert wurde, haben sie regelmäßig den Untergang der Welt und der Wirtschaft vorausgesagt.
Heute ist die Welt eine völlig andere als in den 70er-Jahren, aber drei Dinge haben sich bis heute gehalten: Die Rolling Stones sind immer noch auf Tour, die Leute schauen immer noch “Star Wars” – und die Konzerne haben immer noch die gleichen, alten Argumente gegen verringerte Arbeitszeiten.
Angst Nummer 1: Es belastet die Wirtschaft.
„Aber eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich erhöht die Lohnkosten. (…) Eine generelle Arbeitszeitverkürzung wäre schlecht für den Standort.“ Martin Kocher, Salzburger Nachrichten, 14.1.2021
Nein, schlecht für „den Standort” ist es viel mehr, wenn die Menschen länger belastet werden, als es sein müsste. Wir stellen heute knapp doppelt so viel her wie noch in den 1980er Jahren, unsere Produktivität wächst ungebrochen. Bessere Maschinen, besseres Material.
Aber der Wohlstand, der damit gewonnen wurde, der wurde nicht gerecht verteilt. Im Gegenteil: Während alles effizienter und effektiver wurde und wird, wird gleichzeitig die Arbeit auch immer dichter und intensiver. Jeder zweite Chef erwartet Erreichbarkeit auch in der Freizeit.
Also: Wir schaffen heute in einer Stunde Arbeit viel mehr als in den 80ern. Und trotzdem haben wir seither die Arbeitsstunden nimmer runtergeschraubt. Obwohl die Mehrheit der Vollzeit-Kräfte gern weniger hackeln würde. Ja, warum können wir das denn nicht?
Angst Nummer 2: Dann haben wir nicht genug Arbeitskräfte, um all die Arbeit zu schaffen!
Ja, die Babyboomer gehen in Pension. Und Unternehmen tun sich nicht mehr so leicht, Stellen nachzubesetzen. Das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verschiebt sich gerade in Richtung der Arbeitnehmer. Wir wissen aber auch: Nur in solchen Phasen, in denen der Hebel bei den Leuten liegt – und nicht bei den Konzernen -, können die Arbeitsbedingungen in den Verhandlungen auch verbessert werden.
Außerdem: An Arbeitskraft mangelt es uns derzeit nicht. Auf 370.000 Arbeitssuchende kommen 110.000 offene Stellen. Hunderttausende Frauen arbeiten derzeit WENIGER Stunden, als sie wollen. Weil sie Verwandte pflegen oder sich um die Kinder kümmern … und mobile Pflege in diesem Land genauso fehlt wie Kindergartenplätze. Wir müssen einfach nur die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Bezahlte und unbezahlte Arbeit fair verteilen. Und ganz nebenbei: Vielleicht gibt es ja viel mehr Menschen, die in der Pflege arbeiten würden … wenn das nicht so ein 40-Stunden-Knochenjob wäre? Sondern mit weniger Stunden ginge?
Angst Nummer 3: Wer soll das bezahlen?
“Die Arbeitszeit zu verkürzen und das bei vollem Lohnausgleich, geht nicht.” – IHS-Volkswirt Helmut Hofer
Steigen muss außerdem nur die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität, nicht die jeder einzelnen Branche. Reserven aus der Vergangenheit sind ja auch noch genug da. Die Produktivität ist seit 1985 gestiegen, während die Gewinnquote der Unternehmen deutlich gestiegen ist. /2 pic.twitter.com/Tei1ksZ4ZY
— Oliver Picek (@OliverPicek) March 1, 2023
Natürlich geht eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Ging früher schon, geht heute auch. Ihr erinnert euch – die Produktivität steigt ja. Wir wirtschaften ja heute ganz anders als vor 40 Jahren. Ohne Handy, ohne Internet … dann bleibt nur mehr die Frage übrig: Das, was wir da mehr erwirtschaften; das, was wir alle gemeinsam “produktiver” sind – wie verteilen wir das? Stecken wir das in die Gewinne der Konzerne? Oder kriegen die Arbeitnehmer:innen auch was davon ab? Mehr Lohn und weniger Stunden?
Und, ja, nach 40 Jahren wäre es mal wieder Zeit, die Stunden runter zu schrauben. Denn MEHR ist nicht immer BESSER. Die europäischen Länder, die am wenigsten Stunden die Woche arbeiten, sind pro Stunde überdurchschnittlich produktiv. In den Ländern wo die Leute pro Woche viel länger arbeiten müssen, sind sie pro Stunde weniger produktiv.
Es ist Zeit für die 4-Tage-Woche
In unzähligen Studien wurden die positiven Effekte einer kürzeren Arbeitswoche bereits nachgewiesen. Jetzt grade wurde in Großbritannien eine große Pilotstudie dazu gemacht. Tausende britische Angestellte haben die 4-Tage-Woche ausprobiert.
Von 61 Unternehmen, die ihre Arbeitszeit auf 34 Stunden verkürzten, sagen 56 Betriebe: Wir behalten die kürzere 4-Tage-Arbeitswoche. Lange Arbeitswege und sinnlose Besprechungen fielen weg, die Organisation der Betriebe wurde besser. Die Umsätze wurden gehalten. Die Beschäftigten sind gesünder und weniger gestresst, die Burn-Out-Rate ist stark gesunken. Von gesunden Mitarbeiter:innen hat auch der Chef was. Weniger Krankenstand, hohe Produktivität, die Loyalität der Mitarbeiter:innen steigt, offene Stellen werden leichter nachbesetzt.
Noch einmal, weil es so … grandios banal ist: Weniger Arbeit heißt mehr Familie, mehr Freunde; wer weniger arbeitet, ist gesünder, glücklicher und besser in seinem Job. Und: Weniger Arbeit ist besser für die Umwelt. Arbeiten wir weniger, verbrauchen wir auch weniger Ressourcen. Wieviele gute Gründe braucht es denn noch? Wir warten seit 40 Jahren auf die 4-Tage-Woche. Holen wir sie uns endlich.