Katastrophale Pflege in Heimen: „Leute starben, weil sie nicht behandelt wurden“
Ich habe nicht mehr schlafen können bei den Gedanken, was in der Arbeit passiert. Was für gravierende Dinge falsch liefen in unserem Pflegeheim. Es ging gegen jede Form der Menschlichkeit. Es war eine Art von Sozial-Darwinismus: die Stärksten werden überleben.
Patient:innen haben zu wenig Schmerzmittel bekommen. Es sind Leute verstorben, praktisch verhungert, weil Ärzt:innen nichts getan haben. Sie haben entschieden, Patient:innen nicht palliativ zu behandeln. Sie haben zugleich aber keine Maßnahmen gesetzt, damit es den Menschen besser geht, etwa durch künstliche Ernährung. Sie haben nicht gehandelt und es hat keine Konsequenzen gegeben.
Patient:innen hatten Zeichen von Misshandlung.
Immer wieder hatten Patient:innen Zeichen von Misshandlung. Von blauen Flecken bis Frakturen. Das ist oft nicht bösartig von den Kollegen. Es passiert, weil die einfach überfordert sind und es selber nicht wahrnehmen, wenn sie den Pflegebedürftigen wehtun.
Es gibt Freiheitseinschränkungen. Ein Bewohner muss nachts auf Klo und läutet deshalb. Er ist etwas schwerer zu mobilisieren, braucht Hilfe. Die Pflegerin sagt dann: Nein, ich bin allein im Dienst hier, du kannst jetzt nicht aufs Klo. Du musst in die Flasche pinkeln oder dich auf den Sessel mit dem Topf setzen.
Zu wenig Personal in den Pflegeheimen
Das passiert natürlich auch, weil zu wenige Mitarbeiter:innen da sind. Wenn ich einen normalen Tag hatte, war ich mit zwei Pflegehelfer:innen zuständig für 24 Leute, davon neun demente und einige bettlägerige. Ich selbst habe also rund acht Personen versorgt.
Wenn man sich anschaut, wie viele Minuten du brauchst und wie viele dafür vorgesehen sind: Das ist einfach nicht einmal am Papier möglich. Das ist eine Idealvorstellung von Pflege, die an der Realität scheitert. Das geht sich nur aus, wenn die zu pflegende Person quasi wie eine Puppe daliegt.
Die sich am wenigsten wehren können, bleiben über.
Die Folge ist, dass wir uns gar nicht mehr so gut um alle kümmern können, damit wirklich alle angemessen versorgt sind. Das führt meistens dazu: Die am lautesten schreien, die also am besten beieinander sind, holen sich dann die Leistung. Die haben eine Glocke, die sie läuten können. Die haben Angehörige, von denen du dann einen am Deckel bekommst.
Und die, die sich am wenigsten wehren können, bleiben über. Die demente Frau, die sich nicht beschweren kann, bekommt ihr Frühstück halt erst um 11 Uhr. Denn das hat keine Konsequenzen. Aber es heißt auch: Die Medikamente für die Früh bekommt sie auch erst kurz vor der Mittagszeit. Das passt fachlich und medizinisch einfach nicht.
In meinem letzten Job ist das von der Pflegedienstleitung und auch vom Rechtsträger geduldet worden – das ist die Gemeinde. Die sagen, dann müsst ihr euch das eben besser einteilen oder schneller sein. Ich hatte Kolleg:innen, die sind um 6 eine halbe Stunde vor Dienstantritt gekommen, damit sie mit ihrer Arbeit zusammenkommen.
Die haben das unbezahlt gemacht natürlich. Das ist auch für die zu pflegende Person unangenehm. Die werden in der Früh geweckt, gewaschen, angezogen und liegen dann von 6 Uhr bis 9 im Straßengewand im Bett. Und irgendwann, wenn ein:e Kolleg:in Zeit hat, werden sie rausgeholt. In den meisten Pflegeheimen kommen Patient:innen zu Schaden. Wegen mangelnder Fachkenntnis vom Pflegepersonal oder wegen fehlender Zeit. Das habe ich in jedem zweiten Pflegeheim.
Der Pflegemangel ist ein Gewinn für die Unternehmen.
Das ganze System geht in die falsche Richtung. Wenn ich sage, ich bekomme auch dafür Geld, wie viele Pfleger:innen ich habe und nicht nur wie viele Patient:innen, dann würde das vielleicht besser funktionieren. Jetzt ist es so: Wenn ich mehr Bewohner:innen hab und weniger Pfleger:innen, dann ist das ein Gewinn, gerade bei privaten Häusern. Wenn ich also einen Pflegemangel hab, ist das eigentlich ein Gewinn fürs Unternehmen.
Ich glaube, dass es in den von den Gemeinden betriebenen Heimen noch schlimmer ist als bei privaten. In großen Betrieben wie dem Roten Kreuz habe ich gemerkt: Wenn ich schriftlich was einbringe an die Leitung, dann ändert sich auch was. Weil die sagen, wir müssen etwas machen, sonst bekommen wir Ärger.
In Gemeinden kann man das noch viel eher vertuschen. Da heißt es dann: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Es kommt nicht an die Öffentlichkeit. Du hast keine Qualitätssicherung. In meinem letzten Pflegeheim war die Dienstleitung gleichzeitig auch zuständig, die Leistungen zu überprüfen – also Richterin und Angeklagte in einem.
Kolleg:innen wurden finanziell unter Druck gesetzt, damit sie ruhig bleiben.
Ich habe mit dem Amtsleiter und mit der Pflegedienstleitung gesprochen. Das ist gegen mich ausgelegt worden. Ich war dann der, der immer kritisiert. Der, der andere Mitarbeiter:innen schlecht macht. Mir wurde vorgehalten, Kolleg:innen hätten Angst davor, mit mir zu arbeiten. Ich habe gute Beziehungen zu meinem Kolleg:innen. Ich bin mit ihnen teilweise auch privat in gutem Kontakt.
Ihr Feedback war: Sie arbeiten gern mit mir zusammen. Wenn Kolleg:innen Probleme hatten, sind sie zu mir gekommen. Sie wussten, das ist einer, der hält nicht einfach die Klappe. Mein Eindruck von der Pflegedienstleitung war: Wir machen jetzt Druck und probieren mal, ob er zusammenbricht.
Sobald du was sagst, wirst du auf die Treuepflicht hingewiesen und dass du dem Betrieb nicht schaden darfst. Ich habe es relativ leicht, weil ich keine Familie zu versorgen habe und keinen Kredit abzuzahlen. Ein Kollege wurde finanziell unter Druck gesetzt. Dem ist dann gesagt worden: Wir werden dein Gehalt kürzen und wissen genau, dass du einen Kredit laufen hast und dir das nicht leisten kannst. Wenn Leute rechtlich nicht so den Durchblick haben, geben sie dann schnell klein bei.
Es kommen Menschen zu Schaden und man könnte es besser machen, selbst im bestehenden Pflegesystem. Mein Eindruck ist: Es wird einfach nicht gewollt. Es wird von der Führung nicht gewollt, von den Ärzt:innen nicht und von den Versicherungen auch nicht.
*Name geändert
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