Rechtsaußen-Koalition aus FPÖ und ÖVP scheitert: Der Kampf um den Fortbestand der Demokratie wird umso wichtiger

Herbert Kickl ist gescheitert. Mehr als einen Monat nachdem der FPÖ-Chef von Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hatte, muss er ihn wieder zurückgeben. Die Verhandlungen mit der ÖVP um eine Koalition endeten in Chaos und Theater.
Die öffentlich gewordenen Verhandlungspapiere zeigen: auf die drängenden Fragen unserer Zeit hatten die beiden Parteien zwar kaum Antworten, bei Angriffen auf ärmere Menschen und vielen Fantasien zum Umbau der Republik in eine autoritäre Richtung war man sich aber bereits einig. Schlussendlich hat Kickl den Bogen aber überspannt. Seine Forderungen – einerseits um blaue Posten, andererseits auch bei Vorstellungen zu einigen kritischen Politikfeldern – gingen sogar dem weitgehend schmerzlosen, heutigen Machtzirkel der ÖVP zu weit.
Dass Blau-Schwarz scheitert, ist eine Ausnahme
Das war keineswegs absehbar. Als die Volkspartei auf Geheiß von Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer und Raiffeisen die Verhandlungen mit der SPÖ kurz nach den Neos verließ, schienen die Weichen wieder einmal auf Blau-Schwarz gestellt. Immerhin entsorgte man dafür sogar den eigenen Bundeskanzler. Dass nicht nur der, sondern praktisch die ganze Partei im Wahlkampf hoch und heilig versprochen hatte, dass es keine Regierung mit der Kickl-FPÖ geben werde, wurde schon wieder über Bord geworfen.
Denn auch, wenn sie es vor Wahlen selten sagt. In der Regel nutzt die ÖVP in den vergangenen 25 Jahren die Option mit der FPÖ, wenn sie sich rechnerisch ausgeht. In Vorarlberg, Salzburg, Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark regieren ÖVP und FPÖ heute zusammen. Nur unmittelbar nach dem Ibiza-Skandal fand man auf Bundesebene nicht zusammen – auch damals scheiterte es daran, dass die FPÖ sich an Herbert Kickl festklammert. 2006 gab es keine Mehrheit, weil FPÖ und BZÖ miteinander nicht konnten. 2008 und 2013 hatten Schwarz und Blau zu wenig Stimmen.
Kickls Versagen gibt Österreich noch eine Chance
Dass es auf Bundesebene diesmal nicht genügt, ist also auch ganz klar ein politisches Versagen von Kickl. In blauen Medienkanälen wird man das freilich in den kommenden Monaten nicht zu hören bekommen. Aber er hatte den Auftrag, eine Regierung zu bilden. Und die FPÖ scheiterte daran. Obwohl die ÖVP sich in eine katastrophale strategische Lage manövriert hatte und keine grundsätzlichen Skrupel gegenüber Koalitionen mit der FPÖ hat, konnte Kickl sie nicht von einer Regierung überzeugen. Dass die ÖVP an dem ganzen Theater mitverantwortlich ist, ist natürlich auch eine Erwähnung wert.
Für Österreich ist das eine gute Nachricht. Die Blau-Schwarzen Pläne wären für Arbeitnehmer:innen, finanziell Schwache, Mittelschicht, kleine und mittlere Unternehmen, Frauen, Migrant:innen und Minderheiten sowie für die gesamte Europäische Union eine Katastrophe gewesen. In Anbetracht der politischen Mehrheiten in den Ländern und den internationalen Entwicklungen muss man sagen: Es hätte anders als bei früheren Rechtsaußen-Regierungen diesmal kaum noch ein politisches Gegengewicht gegeben. Demokratie und Rechtsstaat waren in diesen Wochen in so großer Gefahr, wie noch nie in der Zweiten Republik. Was jetzt passiert, gibt der demokratischen Mehrheit vielleicht eine letzte Chance auf eine Kurskorrektur.
Es braucht ein Umdenken
Denn egal, ob es jetzt doch noch zu einer alternativen Mehrheits-Koalition kommt, oder ob vorübergehend eine Experten– oder Minderheitsregierung die Republik leitet. Irgendwann wird wieder gewählt. Und es gibt Gründe für den bedrohlichen Aufstieg der FPÖ, die ebenso wie ihr Zuspruch nicht über Nacht verschwinden.Das lähmt die Republik, weil Mehrheiten ohne die rechtsradikale Partei immer schwieriger werden.
Schlussendlich lässt sich das Problem nur lösen, wenn mehr Menschen für bessere politische Antworten gewonnen werden. Wie die aussehen, darüber muss und kann es in einer Demokratie vielfältige Antworten und einen ehrlichen Wettbewerb geben, der schlussendlich ohne klare Mehrheiten auch Kompromissfähigkeit braucht. Aber der Dienst an der Bevölkerung und das demokratische Grundverständnis müssen von links bis rechts außer Streit gestellt sein. Wer das nicht tut, verdient von Demokrat:innen mehr Gegenwehr als andere Kräfte.
Das betrifft auch die Medien
Eine gesunde Demokratie lebt aber nicht nur von Parteien und dem Verhalten von deren Spitzenpersonal. Wenn eine Republik in Gefahr gerät, dann steckt kein vereinzeltes, sondern systemisches Versagen dahinter. Das bedeutet, dass es von vielen verschiedenen Akteur:innen in Politik, Medien, Wirtschaft und Gesellschaft verursacht wird. Also braucht es auch ein breites Bemühen, die Gefahr wieder zu beseitigen.
Vielleicht war der entscheidende taktische Fehler von Kickl, der offensichtliche Angriff auf die Medienlandschaft. Für sein eigenes Publikum braucht er die eigentlich kaum noch. Das konsumiert die Medien, die die FPÖ selbst steuert. Aber mit den Angriffen auf ORF, Standard, Presserat, Medienförderungen und Rechte von Journalist:innen bei gleichzeitiger Absicht, die eigenen Propagandamedien zu bedienen, haben Kickl und die ÖVP doch noch auch bürgerlichen Widerstand und einen Widerspruch in der veröffentlichten Meinung ausgelöst. Der war – und das ist ein Problem für die Republik – vorher bestenfalls in homöopathischen Dosen zu spüren.
In den vergangenen Wochen schienen dann doch mehr Medienmacher:innen erkannt zu haben, welche Gefahr die FPÖ wirklich ausstrahlt. Zumindest wurde die Kritik wesentlich lauter. Noch im vergangenen Wahlkampf war dieses Bewusstsein in den Medienhäusern nicht so klar zu spüren. Die Themenwahl der Titelseiten und Diskussionssendungen entsprangen – entgegen aller Warnungen und anderer wichtiger Krisen – den feuchten Träumen von Rechtsaußen-Politiker:innen.
Und auch als die Verhandlung der Dreierkoalition scheiterte (vor allem einfach, weil die ÖVP eben lieber mit der Kickl-FPÖ verhandelte) wurde die Verantwortung für diese einseitige Entscheidung fleißig gleichverteilt. Damit sagten diese Kommentator:innen aber auch aus, dass die Verhandlung mit Rechtsradikalen eine normale, demokratische Option sei.
Freiheit braucht Demokratie
Das späte Umdenken schien einzutreten, als es wirklich für alle offensichtlich wurde, dass die Blau-Schwarze Politik nicht nur andere bedrohte, sondern auch die Medien und Pressefreiheit selbst. In einem von autoritärer Politik geprägten Staat gibt es eben sehr schnell auch keinen Platz für freie Medien.
Ohne Demokratie und Rechtsstaat sind alle Freiheiten und Sicherheiten gefährdet. Wer ab morgen wieder erzählt, die FPÖ sei eine normale Partei, trägt seinen Teil zur Gefahr bei.