Stellt die FPÖ sich über das Recht? “Sie versucht es zumindest”

MOMENT.at: Die FPÖ will die EU-Außengrenzen schließen, Grenzkontrollen der Mitgliedstaaten entgegen des Schengener Grenzkodexes und illegale Pushbacks. Stellt die FPÖ sich über das Recht?
Marianne Schulze: Sie versucht es zumindest. Doch es gibt Grundgesetzmäßigkeiten, wie der Staatenverbund funktioniert. Spannenderweise sind diese Gesetzmäßigkeiten sogenanntes Gewohnheitsrecht. Sie sind so etabliert, dass man sie gar nicht festschreiben hätte müssen. Man hat es aber dennoch getan, in einem grundlegenden Dokument zu Vertragsrecht internationaler Art.
Außerdem ist Österreich auch Teil der Europäischen Union, innerhalb derer es auch gewisse Gesetzmäßigkeiten gibt, und es gibt das österreichische Bundesverfassungsgesetz. Das regelt zum Beispiel, dass es ein Legalitätsprinzip gibt, dass also verwaltungsrechtliche Handlungen den Gesetzen folgen müssen. Das gilt auch für die FPÖ.
MOMENT.at: Der FPÖ ist durchaus bewusst, dass viele ihrer Pläne gegen Gesetze verstoßen. Deswegen sollen die Gesetze geändert werden. Sie wollen beispielsweise Pushbacks legalisieren. Wie realistisch sind solche Änderungen?
Schulze: Da geht es nicht um die rechtliche Dimension. Der FPÖ geht es darum, mit Provokationen den Spielraum dessen, was gesagt oder angekündigt werden kann, drastisch zu verschieben. Die Frage, was rechtsstaatlich möglich ist beziehungsweise vor Gericht halten würde, ist nicht einmal sekundär. Die Schwierigkeit ist die, diesem ständigen Provokationsspiel nicht auf den Leim zu gehen.
Was hinzukommt und nicht nur die Rechte regelmäßig tut, ist diese massive Provokation in den Raum zu stellen und auf die Zurückweisung hin ein Stück nachzugeben. Dann tun sie so, als ob es einen Konsens und einen Kompromiss gibt und sie haben den Diskurs wieder weiter verschoben.
Das ist eine Unkultur, die in Österreich schon länger Einzug gehalten hat und die in den letzten Jahren gerade auch bei Begutachtungsverfahren ein großes Problem war. Bei Gesetzesentwürfen mit viel zu kurzen Fristen sind kritische Rückmeldungen oft komplett ignoriert worden oder nur in Bruchteilen berücksichtigt worden. Damit ist schon Vorarbeit geleistet worden und die FPÖ treibt das jetzt auf die Spitze.
MOMENT.at: Auch die nationale CO2-Bepreisung will die FPÖ beenden. Sie weiß offenbar auch, dass das europäische Recht die CO2-Steuer ohnehin bald wieder nach Österreich bringen wird. Deswegen will sie den europäischen CO2-Zertifikatehandel aussetzen. Ist das umsetzbar?
Schulze: Das ist wieder so eine Geschichte, die einen kommunikativen Spielraum aufmacht. Hier wird ein gewisses Handeln inszeniert, das rechtlich an Grenzen kommt. Die FPÖ interessiert sich dafür aber überhaupt nicht in dem Moment, in dem sie skandalisiert, provoziert und versucht, eine gewisse Handlungsmacht zu inszenieren.
MOMENT.at: Werden die geltenden Gesetze die FPÖ also davon abhalten, ihre Pläne umzusetzen?
Schulze: Das kann man in der Pauschalität nicht sagen. Es gibt das eine oder andere, wo eine FPÖ-Regierung versuchen würde, geltende Gesetze zu ändern. Und dass man Gesetze ändert, ist nun einmal Teil der Politik in einer Demokratie. Aber es gibt Grenzen, vor allem bei Gesetzen, die eine Verfassungsmehrheit brauchen – also eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Und es gibt Grenzen dessen, was in Gesetzen drinnen stehen darf, weil das Bundesverfassungsgesetz beziehungsweise andere verfassungsrechtliche Vorgaben hier Grenzen ziehen.
Dass gerade die FPÖ das ausreizen möchte, ist nicht nur ihrer Natur geschuldet, sondern auch dem leider teilweise recht schlechten Vorbild, das auch andere regierende Parteien gegeben haben. Beispielsweise wurde bei der Sozialhilfe versucht, Bestimmungen so zu formulieren, dass sie vom Verfassungsgerichtshof nicht aufgehoben werden können.
MOMENT.at: Wie sicher sind unsere Gesetze, die Rechtsrahmen und die Institutionen – gerade mit Blick auf den steigenden Anteil der rechten bis extrem rechten Parteien in politischen Ämtern sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene?
Schulze: Die Gesetze sind über weite Strecken ziemlich gut. Entgegen der populistischen Meinung funktioniert die Gerichtsbarkeit in Österreich im internationalen Vergleich sehr gut. Es gibt allerdings ein paar Aspekte, bei denen Österreich schon länger Schwierigkeiten hat. Das ist auch der Fall, wenn es darum geht, den Rassismus der FPÖ einzufangen.
Österreich hatte immer schon Schwierigkeiten, antirassistische rechtliche Vorgaben umfassend umzusetzen. Es beginnt damit, dass die Verpflichtungen aus dem Anti-Rassismus-Abkommen der Vereinten Nationen nicht ansatzweise umgesetzt sind. Und zieht sich durch in der Art, wie der Gleichstellungssatz verfassungsrechtlich interpretiert wird. Es gibt eine Abstufung zwischen jenen, die die Staatsbürgerschaft haben, und jenen, die sie nicht haben. Dadurch wird dieses strukturelle, rassistische Problem bis zu einem gewissen Grad einbetoniert – mit einer verfassungsrechtlichen Begründung. Und in dieser Lücke versucht die FPÖ mit ihren Provokationen und Skandalisierungen politische Meter zu machen. In diesem Bereich könnte es jetzt noch schwieriger werden.
Die Schwierigkeit ist, dass diese Provokationen nichts Neues sind. Sie sind in der Zwischenzeit dermaßen salonfähig, dass sie über weite Strecken unwidersprochen bleiben.
MOMENT.at: Dass sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Änderung der Verfassung erreichen, halten Sie aber für unwahrscheinlich?
Schulze: Es kommt auf das Thema an, aber über weite Strecken würden sie an sehr deutliche praktische Grenzen stoßen.
MOMENT.at: Wie sieht es auf EU-Ebene aus, wo die Rechte ebenfalls immer stärker wird?
Schulze: Das ist schwieriger einzuschätzen. Bald sind Wahlen in Deutschland – mit unbekanntem Ausgang. Dass die Rechtsaußen-Parteien in Europa erstarken, ist leider Faktum. Wie sich das auf die Dynamik auch im EU-Parlament auswirkt, ist unklar. Man hofft, dass es nicht zu schlimm wird. Noch ist aber nicht absehbar, dass sie ihre Pläne auf EU-Ebene umsetzen können.
MOMENT.at: Die FPÖ hält nicht viel von der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der EU-Grundrechtecharta und der Rechtsprechung der höchsten Gerichte wie des Verfassungsgerichtshofs, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Das sind grundlegende Werte, auf die wir uns als Gesellschaft geeinigt haben und Institutionen, die Sorge tragen, dass wir diese einhalten. Bereitet es Ihnen Sorge, dass sie öffentlich angegriffen und in Frage gestellt werden?
Schulze: Das bereitet mir schon längst Sorge. Die Schwierigkeit ist, dass diese Provokationen nichts Neues sind. Das gibt es schon länger. Und sie bleiben. Sie sind in der Zwischenzeit dermaßen salonfähig, dass sie über weite Strecken unwidersprochen bleiben.
Parallel dazu haben wir sichtlich Probleme damit, einem Großteil der Bevölkerung klarzumachen, welche Errungenschaften das sind. Welch großer Beitrag all diese Institutionen und Regelungen für die eigene – auch ökonomische – Sicherheit und für den gesellschaftlichen Frieden sind. Und was für ein Bumerang es ist, diese Errungenschaften dermaßen anzupatzen und in Frage zu stellen.
MOMENT.at: Was meinen Sie mit Bumerang?
Schulze: Es wird auch jene treffen, die sie zu vertreten behaupten. Jene, die sich ökonomisch absichern können – und dazu zählt sicherlich auch die Führungsriege der FPÖ – werden wenig persönliche Betroffenheit entwickeln. Doch es werden jene betroffen sein, die gewisse arbeitsrechtliche Absicherungen wollen oder einen Schutz ihrer Privatsphäre datenschutzrechtlicher Art. Jene, die Beschwerdestellen zwar vielleicht nie selber in Anspruch nehmen, aber dennoch von deren Wirkung profitieren. Und jenen ist vielleicht nicht klar genug, wie sehr die Einschränkung dieser Institutionen und Regelungen ihre eigene Lebensqualität beschneidet.
Und die FPÖ plant auch, die Vielfalt an Meinungsbildung drastisch einzuschränken. Angesichts dessen wird es umso schwieriger, zu erklären, wie essenziell all diese Institutionen und Regelungen für unser aller Zusammenleben sind.
MOMENT.at: Die Rede war in den Verhandlungen offenbar auch von einer “Fokussierung der internationalen Gerichtshöfe auf ihre ursprünglichen Kompetenzen” und davon, dass Entscheidungen nach “höchstmöglichen Berücksichtigung österreichischer Interessen” bewertet werden sollen. Was bedeutet das in der Praxis?
Schulze: Das bedeutet eine Abkehr von internationalen Grundstandards: Dass man kooperiert; dass man versucht, den internationalen Frieden zu stärken, indem man sich kompromissfähig zeigt und mögliche nationale Interessen – soweit das irgendwie möglich ist – hintanzuhalten.
Es ist im Prinzip eine Absage an den Multilateralismus. Es ist aber auch eine Ansage in Richtung weniger Rechenschaftspflicht der politisch Handelnden. Und das ist ein Angriff auf den Rechtsstaat und die Demokratie.
MOMENT.at: Was könnte mit “Verfassungsänderungen zur Stärkung der Souveränität Österreichs” gemeint sein?
Schulze: Das würde ich als einen verklausulierten Rückzug aus der Europäischen Union lesen. Es gibt ja mehrere Analysen, dass seitens der FPÖ-Vertreter nicht explizit von einem Austritt Österreichs aus der Europäischen Union gesprochen wird – mit Verweis auf Natascha Strobl. Aber das wäre implizit deren Ziel. Und das Genannte wäre ein Teilstück dieses Unterfangens.
MOMENT.at: Eine andere Formulierung: “EU-Recht darf nicht in Form von Rechtsprechung des EGMR und des EuGH-Vorrang vor nationalem Recht haben”. Dafür soll es Zusatzprotokolle geben. Ist das juristisch überhaupt möglich oder ist das Teil der Strategie “Flood the zone with shit”? Dass es also rechtlich bedeutungslos wäre und lediglich der Diskurs wieder verschoben werden soll?
Schulze: Es entspricht einer gewissen populistischen Abneigung gegen die Europäische Union, zu sagen, dass sie überreguliert und dass gewisse Urteile des Europäischen Gerichtshofs als überbordender Eingriff dargestellt werden. Demgemäß scheint es angebracht, auch hier wieder mit Provokationen zu schauen, wie weit man gehen kann.
Fakt ist aber: Österreich ist Teil der Europäischen Union. Die ÖVP betont, dass diese Mitgliedschaft für sie unerlässlich ist. Daher gehe ich davon aus, dass der mögliche Koalitionspartner davon überzeugt ist, dass dieses Gefüge erhalten bleiben soll.
Ansonsten ist es eben eine Mischung aus Provokation und schauen wir, wie weit wir damit kommen. Plus, wie Sie gesagt haben, die Strategie “Flood the zone with shit”.
Wenn man gegen die Grundfeste von Rechtsstaatlichkeit sowie rechtsstaatliche Prinzipien geht und es eine Mehrklassenjustiz gibt, die ins Autoritäre hineingeht – dann bleibt nicht mehr viel Demokratie übrig.
MOMENT.at: Wäre es ohne den möglichen Koalitionspartner und dessen europäischen Überzeugungen eine andere Situation? Wäre es eine ernstzunehmende Drohung?
Schulze: Es ist durchaus denkbar, dass sie so tun, als ob sie über den Gesetzen stehen und sie alles nichts angeht. Dieses Imponiergehabe zeigen mehrere rechte Parteien in Europa und auch Trump macht es noch deutlicher als in seiner ersten Amtszeit. Was sie als Regierungspartei dann machen könnte, ist, dass sie Urteile des Europäischen Gerichtshofs nicht ernst nimmt. Dass sie sagt: “Ich setze es nicht um. Ich tue fürs Erste so, als ob ich sie nicht zur Kenntnis nehme. Ich lasse die Frist verstreichen und muss dann halt mit den Konsequenzen leben.”
Mittelfristig sind das Dinge, die sich summieren und den Menschen in Österreich schaden. Diese Verfahren zur Verletzung von EU-Recht kosten eine Menge Geld und das kommt dann sicherlich nicht aus der Privatschatulle der FPÖ, sondern aus der Portokasse der Steuerzahler:innen.
MOMENT.at: Für wie gefährlich halten Sie die Pläne der FPÖ?
Schulze: Für absolut gefährlich – im Sinne von Untergrabung der Demokratie und des Rechtsstaats. Es ist die Zerstörung eines gewissen Grundkonsens, der dahin geht, dass man in einer Demokratie gerade auf Minderheiten Bedacht nimmt. Dass man eine gewisse Kompromissfähigkeit übt und entsprechend auch andere Meinungen bis zu einem gewissen Grad toleriert. Dass man versucht, auch auf diese einzugehen und einen sozialen Frieden, der sich eben auch darin äußert, dass sich darauf einigen kann, unterschiedlicher Meinung zu sein.
Wenn man nun gegen die Grundfeste von Rechtsstaatlichkeit sowie rechtsstaatliche Prinzipien geht und es eine Mehrklassenjustiz gibt, die ins Autoritäre hineingeht – dann bleibt nicht mehr viel Demokratie übrig.
MOMENT.at: Andere Meinungen akzeptieren und aushalten – das ist etwas, das die Rechten gerne für sich beanspruchen, dass das ihnen gegenüber nicht gilt. Was entgegnen Sie?
Schulze: Das ist eine bekannte Methode der Rechtsrechten, dass sie sich als Opfer inszenieren und eine sehr verminderte Kritikfähigkeit zur Schau stellen. Das mag populistisch möglicherweise eine gewisse positive Wirkung in puncto Wählerstimmen zeigen. Ihrer Funktion als gewählte Volksvertreter wird das aber nicht gerecht.