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Ungleichheit
Demokratie

Ich bin Arbeiterkind: Warum das Ende der Bildungskarenz mich wütend macht

Ich bin Arbeiterkind: Warum das Ende der Bildungskarenz mich wütend macht
Was das Ende der Bildungskarenz für ein Arbeiterkind bedeutet. (Sybmoldbild: Andrea Piacquadio/Pexels)
Die Blau-Schwarze Regierung will die Bildungskarenz abschaffen. Das Studieren wird vielleicht wieder teurer. Das betrifft nicht nur ohnehin privilegierte Menschen, sondern gerade die Arbeiter:innenklasse - Leute, die sich ein besseres Leben erarbeiten wollen. Als Arbeiterkind erzählt Esther Gschweitl, was sie wirklich denkt.

Ich komme aus einer Arbeiter:innenfamilie. Meine Mutter hat mich mit 21 Jahren  bekommen, dann kam mein Bruder. Alleinerziehend hat sie alles getan, um uns über Wasser  zu halten. Sie hat hart gearbeitet, meist in schlecht bezahlten Jobs im Care-Bereich. Und weil  wir keine “klassische Familie” darstellten, hat uns die Gesellschaft auch genau so behandelt. 

Schon als Kind in der Schule wurde mir gesagt, dass aus mir nichts wird. Aus Scheidungskindern kann ja eh nichts werden. Meine Familie passte nicht ins Bild. Das Schulsystem wollte mich einfach nicht sehen. 

Schlechte Erfahrungen als Arbeiterkind in Schule und Lehre

Die Ablehnung von allen Seiten hat mich schon sehr früh tief verletzt. Ich fühlte mich  wertlos, allein. Natürlich wurde ich irgendwann als „verhaltensauffällig“  abgestempelt. Lehrer:innen sahen mich als schlechten Einfluss und wollten mich nicht in ihren Klassen haben.  Aber wie sollte ich auch anders auf dieses System reagieren? Ich habe Schulen abgebrochen. Dann fing ich eine Lehre an. Das wollte ich gar nicht. Aber, es war dann “das Einzige, was für mich noch ging”. Dabei ging es mir noch schlechter. Ich kam als Jugendliche in einen stark konservativen Handwerksbetrieb, wo ich Sexismus, Übergriffe und ständige Demütigung erlebt habe. Mir wurde gesagt, ich sei zu dumm für alles. 

Ich wollte weg. Als ich die Chance dazu sah, ging ich für ein Jahr nach Innsbruck, für ein soziales Jahr. Dafür bekam man ein Taschengeld, lebte in einer WG. Ich arbeitete viel, trotzdem hatte ich kaum Geld für Essen. Ich bin eines der Kinder, die nie Taschengeld erhalten haben. Das kannte ich nicht. Ich musste mir immer alles selbst bezahlen. Ich habe hart gearbeitet, aber es fühlte sich an, als würde ich mich nur in einem Hamsterrad vorwärts bewegen. 

Soziale Arbeit als Ausweg

Nach dem sozialen Jahr wechselte ich mit Anfang 20 wieder die Stadt. Meinen Lehrberuf konnte ich nicht mehr ausüben. Das AMS unterstützte die Möglichkeit, eine Ausbildung zur diplomierten Sozialbetreuer:in zu machen. Dort wurden dringend Leute gesucht. Ich habe das gemacht und abgeschlossen. Da habe ich eine Stelle gefunden und endlich an einem Ort gearbeitet, wo Menschen an mich geglaubt haben. Sie haben mir vermittelt, dass ich genauso eine Existenzerlaubnis habe wie jede andere Person. 

Um das Wissen nachzuholen, das mir so nie beigebracht wurde, habe ich das Abendgymnasium begonnen. Ich habe jahrelang tagsüber gearbeitet und bin abends in die Schule gegangen. Es war anstrengend, manchmal kam ich auch nur sehr langsam voran. Ich habe gesehen, wie viele Menschen es nicht geschafft haben, weil es verdammt schwer ist, alles unter einen Hut zu bringen. Wie viele Menschen wieder abbrechen mussten – weil das Geld und die Zeit einfach nicht reichten.

Bildungskarenz als echte Chance nach vorne

Jetzt bin ich 29. In ein paar Monaten werde ich 30. Mein Traum ist es schon lange, etwas mit Kunst zu machen. Ich will studieren. Ich will existieren dürfen – mit meinen Wünschen und Träumen. 

Vor einem Jahr habe ich meine Bildungskarenz genehmigt bekommen, um endlich in der Abendschule weiterzukommen. Die Bildungskarenz war auch persönlich so wichtig für mich – für meine psychische Gesundheit und um endlich mal Luft zu holen. Trotzdem konnte ich mir in dieser Zeit nicht mal eine Woche Urlaub gönnen. Das Geld reicht gerade für die Fixkosten. 

Und jetzt? Jetzt soll mit der Bildungskarenz genau diese Unterstützung, die mir das möglich gemacht hat, für andere in ähnlichen Situationen gestrichen werden? Und sogar das Studieren für Menschen mit wenig Geld noch schwieriger, weil womöglich wieder viel kosten? Menschen, die sich weiterbilden und sich ein besseres Leben erkämpfen wollen, wird eine Möglichkeit genommen – ihnen wird erneut ein Stein in den Weg gelegt. Das ist ein Angriff auf diejenigen, die versuchen, aus der Spirale von Ungerechtigkeit auszubrechen. 

Kürzungen treffen Arbeiter:innenklasse

All diese Kürzungen treffen nicht die Privilegierten. Sie treffen Menschen wie mich, die kämpfen mussten, um überhaupt einen Platz in dieser Gesellschaft zu finden. Es ist ein Rückschritt, der unsere Gesellschaft in noch tiefere Ungleichheit stürzt. 

Ich appelliere an unsere nächste Regierung, diese Entscheidungen zu überdenken. Und an all die Menschen, die glauben, eine FPÖVP-Regierung würde uns retten, genauer hinzusehen. 

Bildung und soziale Unterstützung dürfen nicht als Kostenfaktor gesehen werden – sie sind  eine Investition in eine gerechtere und bessere Zukunft für uns alle.  Die Ankündigung der neuen Budgetkürzungen fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Ich fühle mich wütend und ohnmächtig. Diese Maßnahmen gegen die Arbeiter:innen treffen genau jene Menschen, die ohnehin schon kämpfen müssen, um sich ein Leben aufzubauen.

In unserer Serie „Was ich wirklich denke“ sprechen Betroffene aus der Ich-Perspektive über ihre Sicht auf aktuelle gesellschaftliche Themen. Die Betroffenen schreiben die Texte entweder selbst oder erarbeiten sie mithilfe unserer Redaktion. 

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