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Wie die Grundversorgung für Flüchtlinge unter FPÖ und ÖVP eingeschränkt werden soll

Wie die Grundversorgung für Flüchtlinge unter FPÖ und ÖVP eingeschränkt werden soll
FPÖ und ÖVP wollen den Zugang zu medizinischen Leistungen für Geflüchtete erschweren. Foto: Fernando Zhiminaicela auf Pixabay
FPÖ und ÖVP wollen den Zugang zur medizinischen Grundversorgung für Geflüchtete einschränken. Expert:innen warnen: Das spart kein Geld, sondern kostet. Rechtlich dürfte es gar nicht halten. Moralisch ist es äußerst verwerflich.

Was sind die konkreten Pläne der blau-schwarzen Verhandler:innen?

Menschen, die nach Österreich kommen und hier Asyl beantragen, bekommen die sogenannte Grundversorgung. Dazu gehört auch die E-Card mit all den verbundenen Leistungen im Gesundheitswesen. 

Geht es nach FPÖ und ÖVP, soll sich das ändern. Denn im Zuge der Koalitionsverhandlungen wird ein neues Modell diskutiert – nach deutschem Vorbild. Dort erhalten Asylsuchende in den ersten 36 Monaten ihres Aufenthaltes nur eine eingeschränkte medizinische Notversorgung durch den Staat. Darunter fallen die Behandlung bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie die wichtigsten Vorsorgeuntersuchungen. Auch Schutzimpfungen und Geburt inklusive Nachbetreuung sind inkludiert. Arztbesuche und Behandlungen, die über akute Notfälle hinausgehen, fallen demnach weg. Das sind beispielsweise die Behandlung chronischer Erkrankungen oder präventive Gesundheitsmaßnahmen. Außerdem wird die Versorgung psychischer Erkrankungen sowie Rehabilitation eingeschränkt. 

Erst nach Ablauf der Frist verbessert sich für alle der Zugang zur medizinischen Versorgung. 

Die Ärmsten der Gesellschaft werden zur Kasse gebeten

Wie die “Kronen Zeitung” berichtet, wird in Verhandlerkreisen bereits an den Details gearbeitet. Wie in Deutschland sollen Geflüchtete nur mehr eine Notversorgung bekommen. Darüber hinausgehende medizinische Leistungen sollen für sie nicht mehr zugänglich sein. 

Asylsuchende sollen für die Notversorgung außerdem Geld bezahlen müssen. Dafür soll ihnen ein Betrag ihrer Grundversorgung abgezogen werden. Doch die Grundversorgung ist bereits jetzt äußerst knapp bemessen. Eine Mutter mit zwei minderjährigen Kindern, die privat wohnt und Grundversorgungsleistungen bezieht, hat gerade einmal Anspruch auf 880 Euro pro Monat, um ihr Leben zu bestreiten. Wohnt die Familie in einer betreuten Unterkunft, ist es noch viel weniger. Finanziell würde das dem Staat auch keinen großen Mehrwert bringen wie Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich erklärt: ”Wenn man 10 Euro Grundsicherung der Geflüchteten einbehält, würde das gerade einmal Einnahmen von 1,5 Millionen Euro pro Jahr bedeuten.“

Auch nach Asylverfahren weitere Einschränkungen 

Nach erfolgreichem Asylverfahren soll der Zugang zur Gesundheitsversorgung erweitert werden. Blau-Türkis will diesen vollen Zugang aber an Integrations-Kriterien koppeln. Für Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien eine Maßnahme, die rechtlich jeglicher Grundlage entbehrt und “sicher nicht halten” wird. Sie ist Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin am Institut für Sozialpolitik der WU Wien, wo sie zu Fluchtmigration, Integration und Zugehörigkeit forscht und lehrt. Die Forderung nach verknüpften Integrationskriterien ist für sie besonders perfide: „Die FPÖ wird kaum Integrationsangebote ausbauen. Dann die Kriterien zu erfüllen ist oft sicher gar nicht möglich.“

Das Ziel hinter dieser ganzen Schlechterstellung von geflüchteten Menschen: Österreich als Asylland so unattraktiv wie möglich zu machen. Sowohl FPÖ als auch ÖVP haben das längst als Ziel definiert. Das würde laut Kohlenberger dadurch aber nicht funktionieren. Das Gesundheitssystem sei kein primäres Auswahlkriterium für welches Land sich flüchtende Menschen bei ihrem Aufbruch entscheiden. “Vorrangig ist vielmehr, ob man mit seiner Familie in Sicherheit und Freiheit leben kann und ein faires Asylverfahren erhält”.

Mehrkosten statt Einsparungen

Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass es nicht unbedingt Geld spart, die Gesundheitsversorgung für asylsuchende Menschen einzuschränken. Werden Krankheiten nicht rechtzeitig behandelt, benötigt man später oft aufwändigere Behandlungen. Das verursacht erst recht höhere Kosten als eine ordentliche medizinische Grundversorgung von Beginn an. Gahleitner-Gertz gibt außerdem zu bedenken, dass diese Maßnahmen in Deutschland zu einem großen bürokratischen Mehraufwand geführt und hohe Mehrkosten verursacht haben, da jeder Arztbesuch erst bewilligt werden muss. “Von Einsparungen kann also keine Rede sein. Ein absolutes Scheinargument!“

Gerade einmal 13.000 Geflüchtete befinden sich aktuell in der Grundversorgung, so wenige wie schon seit 10 Jahren nicht mehr. „Das entspricht 0,1 Prozent der Bevölkerung. Wenn man diesen 0,1 Prozent den Zugang zur Gesundheitsversorgung erschwert, ist das überhaupt keine Entlastung“, rechnet Gahleitner-Gertz weiter vor. 

Rechtliche Fragen sind noch offen

Abgesehen davon: Ob dieser ganze Vorschlag europarechtlich zulässig ist, wird sich erst noch zeigen müssen. Die Verhandler:innen haben ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis steht noch aus.  Sicher ist: Gemäß der EU-Aufnahmerichtlinie gibt es Mindeststandards, die eingehalten werden müssen. Darunter fallen zum Beispiel die Gesundheitsversorgung und Notfallmedizin. „Es muss ein menschenwürdiger Lebensunterhalt möglich sein“, fasst Kohlenberger zusammen. Für Gahleitner-Gertz sind die geplanten Maßnahmen Teil eines „schikanösen Systems“. Anhand der derzeit bekannten Details könne man aber noch nicht einschätzen, ob es rechtlich halten könnte. Das größere Problem sieht er ohnehin aber darin, dass Personen Angst davor haben könnten, sich dagegen zu wehren. Sie könnten befürchten, dass sie dann gar keine Versorgung mehr bekommen.

Sicher sind sich beide Expert:innen, dass ein Verknüpfen von Integrationsmaßnahmen an weitere Gesundheitsleistungen definitiv rechtswidrig wäre.

Zusammengefasst: Die Pläne würden kein Geld sparen, sondern Mehrkosten verursachen. Rechtlich dürften sie zumindest in Teilen gar nicht umsetzbar sein. Profitieren würde aller Voraussicht nach niemand. Verlieren hingegen sehr wohl: Jene Menschen, die meist bereits viel durchgemacht haben und ohnehin schon benachteiligt werden. 

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