CO2-Kompensation: Kann man ohne schlechtes Gewissen fliegen?
Hinter dem sperrigen Wort CO2-Kompensation steckt eine einfache Idee: Wer Treibhausgase ausstößt, kann Geld dafür zahlen, dass sie an anderer Stelle ausgeglichen werden. Mit dem Geld, das man zahlt, werden woanders Klimaschutzprojekte finanziert. Zum Beispiel indem Bäume gepflanzt werden.
Fürs CO2, das man mit dem Flug Richtung Sonne verursacht, kauft man also Klimaschutzzertifikate. Die bescheinigen, dass man unterm Strich klimaneutral gehandelt hat.
Das geht teilweise direkt über Fluggesellschaften. Es gibt aber auch Anbieter, die Zertifikate ein- und dann verkaufen. Und es gibt Anbieter, die eigene Projekte umsetzen. In Österreich relevant sind zum Beispiel Atmosfair, Klima Kollekte oder Myclimate.
Klimaschutz zum Schnäppchenpreis
Ein Beispiel: Fliegst du diesen Sommer von Wien nach Venedig und wieder zurück, verursacht das laut Atmosfair 228 kg CO2 pro Person. Das auszugleichen kostet auf der Plattform schlappe 10 Euro. Ein richtiges Schnäppchen!
Und bei den anderen Anbietern ist es noch günstiger. Bei MyClimate muss man mit 346 kg CO2 zwar mehr Emissionen ausgleichen. Das kann man aber schon um neun Euro. Laut Klima Kollekte verursacht die Reise nur 160 kg CO2 und die sind mit nur vier Euro wieder wettgemacht.
Die Unterschiede könnten teilweise erklärt werden: Werden abgesehen vom CO2-Ausstoß des Fluges auch andere Emissionen wie die Herstellung berücksichtigt? Oder die Flughöhe? Vielleicht wurde mit unterschiedlichen Flugzeugen kalkuliert? So oder so: Die Preise sind zu niedrig.
Eine Tonne CO2 kostet etwa 800 Euro
Nehmen wir mal den “teuren” Anbieter her: Umgerechnet auf eine Tonne kassiert Atmosfair etwa 44 Euro. Das ist ziemlich genau der Preis, den Österreich aktuell an Steuern für CO2 verlangt.
Alles viel zu wenig, sagt die Wissenschaft. Wenn heutige und zukünftige Schäden berücksichtigt werden, sollte laut deutschem Umweltbundesamt eine Tonne CO2 etwa 800 Euro kosten.
Das zeigt schon: Billig wäre es nicht, sich von seinem schlechten Gewissen freizukaufen.
Kompensationsprojekte halten nicht was sie versprechen
Dass die Zertifikate viel zu billig sind, ist aber nicht das einzige Problem: CO2-Kompensation ist ein völlig unregulierter Markt. Viele Projekte sind wirkungslos oder zerstören im schlimmsten Fall die Artenvielfalt oder verletzen Menschenrechte. Laufend werden Skandale aufgedeckt.
Auch der Verein für Konsumenteninformation warnt: “Ein Problem des freiwilligen Kompensationsmarktes ist, dass es praktisch keine gesetzlich verankerten Ziele und Regeln gibt. So kann buchstäblich jede:r ein Klimaschutzprojekt entwickeln – inklusive theoretisch frei erfundener CO2-Einsparungen. Man muss nur eine Zertifizierungsstelle davon ‘überzeugen’, dass alles seine Richtigkeit hat.”
Eine große Recherche von “Guardian”, “Zeit” und “SourceMaterial” zeigte, dass über 90 Prozent der verkauften Zertifikate eines der größten Unternehmen der Branche komplett nutzlos sind. Nur wenig bis kein CO2 wurde wirklich ausgeglichen.
Das Unternehmen Verra sollte mit dem Geld für die Zertifikate eigentlich die Abholzung des Regenwalds stoppen. Große Unternehmen wie Gucci, easyJet und Shell kauften die Zertifikate – und verkauften sich danach als “grün”. Aber: Das Versprechen war völlig übertrieben. Mit dem Geld für die Zertifikate “schützte” die Firma Regenwald, der sehr wahrscheinlich so oder so nicht abgeholzt worden wäre.
Ausbeutung von Menschen und Natur
Auch Berichte von Landraub, Gewalt gegen und die Vertreibung von Einheimischen gibt es. Von Projekten, die der Natur sogar schaden. Beispielsweise wenn auf einem Moor eine Monokultur an Wald errichtet wird – also ein ganzer Wald mit nur einer Baumart. Ein Moor bindet mehr CO2 und ist Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten. Die Monokultur nicht.
Es gibt natürlich einige Zertifizierungsstellen, die sauberer arbeiten. Die höchsten Ansprüche hat der “Gold Standard”. Ein Prüfsiegel, das der WWF zusammen mit anderen NGOs ins Leben gerufen hat. Mit dem arbeitet auch Atmosfair zusammen – jener Anbieter, bei dem wir unseren Venedig-Flug um 10 Euro ausgleichen können. Offensichtlich funktioniert das noch nicht gut genug. Die Preise sind jedenfalls viel zu niedrig.
CO2-Kompensation hat als Marktinstrument versagt
CO2-Kompensation hat als Marktinstrument deshalb versagt – zumindest bislang. Zumindest, bis es staatlich reguliert wird. Bis dahin ist es vor allem Greenwashing. Für Privatpersonen, die ihr schlechtes Gewissen beruhigen wollen. Aber viel wichtiger noch für Unternehmen, die nachhaltiger wirken wollen als sie sind – und mit dem grünen Image noch Gewinne machen wollen.
Was heißt das für dich? Das Wichtigste ist: so wenig CO2 verursachen wie möglich. Der Grundsatz lautet: vermeiden, dann verringern, dann erst kompensieren.
Vor allem, weil jede:r von uns nur 1,5 Tonnen CO2 im Jahr verursachen dürfte, würden wir das 1,5-Grad-Ziel ernst nehmen. Warum wir das unbedingt ernst nehmen sollten, das erfährst du in diesem Video.