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Demokratie

Die ÖVP und die Kinderbetreuung: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?

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Ewig gegen mehr Kinderbetreuung, heute plötzlich für mehr Kinderbetreuung - Die ÖVP flippt floppt … und kommt damit durch? Natascha Strobl analysiert, warum in der Partei so ein Zickzackkurs möglich ist - und wieso sie damit durchkommt.

Wir erinnern uns, im Juni 2016 fragte Sebastian Kurz bei Thomas Schmid, ob er ein Bundesland aufhetzen solle. Stein des Anstoßes waren Investitionen in die flächendeckende Kinderbetreuung in der Höhe von über einer Milliarde Euro.

Im Juli 2022, der Kanzler heißt mittlerweile Karl Nehammer, beschließt die türkis-grüne Regierung vollmundig die “Kindergarten-Milliarde” – die im Kleingedruckten dann allerdings auf fünf aufgeteilt sein sollte. Jetzt – wieder ein Jahr später – verkündet Nehammer wieder großspurig, dass man in Kinderbetreuung investieren möchte. Diesmal 4,5 Milliarden bis 2030.

Ein Zick-Zack-Kurs, der vor allem eins klarmacht: Verantwortung für die Worte von gestern müssen nicht mehr übernommen werden. Einen Tag so, heute so und morgen ganz anders. Das zeigt vor allem Prinzipienlosigkeit. 

Zwischendurch hat Nehammer ja zum Beispiel auch noch verkündet, dass er eigentlich zurücktreten möchte, wenn Sebastian Kurz nicht mehr Kanzler ist. Alles mit Unterschrift und sehr offiziell.

Der verlorene Wertekompass der ÖVP machts möglich

Normalerweise haben Parteien eine Richtschnur, das sind die eigenen Werte und ein Parteiprogramm. Liberale Parteien halten die Eigenverantwortung hoch und werden nicht auf einmal für Staatsintervention sein. Sozialdemokratische Parteien halten es mit der Solidarität und werden sich tendenziell immer für sozialstaatliche Leistungen aussprechen. Und konservative Parteien sehen sich als Hüterinnen der Familie, die aufeinander aufpassen muss. Über all diese Zuschreibungen und Ideen und ihre Stärken und Schwächen kann man trefflich diskutieren. Das ist eine vielfältige Demokratie.

Die ÖVP hat jedoch kein Verhältnis mehr zu einem politischen Programm. Sie macht das, was in den Umfragen gerade opportun ist. Das war das Markenzeichen von Sebastian Kurz. Fokusgruppen und Umfragen ersetzen die politische Diskussion. Gegen den Ausbau von Kinderbetreuung war man, weil es ein sozialdemokratischer Vorschlag war. Man wollte der SPÖ und dem damaligen Kurz-Widersacher Reinhold Mitterlehner den Erfolg einfach nicht gönnen. Die Kinder und Familien spielten da keine Rolle, sondern waren nur Verschubmasse. Wenn sie dem Erfolg der ÖVP im Weg steht, dann gibt es keine Kinderbetreuung. 

Orban macht es ähnlich

Ähnlich agiert auch die FIDESZ in Ungarn. Von heute auf morgen werden Infrastrukturprojekte oder Energiezuschüsse in Budapest eingestellt, weil die Region um Budapest traditionell die Opposition unterstützt.

Einen sachlichen Grund gibt es für diese Politik nicht – und es wird auch keiner genannt. Politische Projekte werden hier als Bestrafung oder Belohnung verstanden. Oder um die eigenen Umfragewerte zu boosten. Genauso schnell rückt man auch wieder davon ab, wenn es gerade nicht mehr opportun ist. Dass es hier um reale Auswirkungen auf Menschen, auf Kinder und Familien geht, gerät in den Hintergrund. Diese sind nur Schachfiguren im imaginären 3D-Schach der Politik. Statt begründet, pragmatisch oder wertegeleitet Politik zu machen, wird Politik zum wankelmütigen Zufallsprodukt. 

In dieser Logik gibt es dann auch keine Verantwortung mehr. Weder für das, was man gerade noch gesagt hat, noch für das, was man gemacht oder nicht gemacht hat. Es zählt immer nur die gegenwärtige Verfassung. 

Hauptsache Schlagzeile

Deswegen schaut so oft auch nicht mehr als Ankündigungen heraus. Hauptsache eine Schlagzeile produziert, Hauptsache in den Medien vorgekommen. Danach kann der Vorschlag rund in Vergessenheit geraten.  Man imitiert Politik, aber ohne sich irgendwie verantwortlich zu fühlen für das, was man sagt. 

Umso erstaunlicher, dass man damit durchkommt. Genauso gut könnte morgen das Gegenteil verkündet werden. Zum Beispiel eine Mutter-am-Herd-Prämie, wie in Salzburg. Es würde kein Widerspruch erklärt werden. Das funktioniert, weil die politische Aufmerksamkeitsspanne sehr kurz (haha) geworden ist. Auch, weil es ständig neue Ankündigungen gibt. Journalist:innen versäumen das. Sie haben auch immer weniger Ressourcen – manche wohl auch keinen Willen – das alles zu recherchieren. Und tut es jemand in einem Medien einmal doch, dann erreicht das ja bei weitem nicht die ganze Öffentlichkeit.

Heraus kommt eine sich windende Regierungspartei, deren Widersprüche in vielen Fällen nicht besprochen werden. Wenn es keine Konsequenzen gibt, was interessiert mich dann das Geschwätz von gestern?

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