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Ungleichheit
Gesundheit

Diskriminierende Medizin? Struktureller Rassismus im österreichischen Gesundheitsbereich

Rassismus im Gesundheitsbereich: Ein langer Gang in einem Krankenhaus, wo Gesundheitspersonal steht und Pause macht. Eine Frau sieht aus dem Fenster.
Im Gesundheitsbereich werden Menschen täglich aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihres Namens diskriminiert und angefeindet. Foto: StockSnap/Pixabay
Rassismus ist ein tief verwurzeltes Problem. Auch in Österreich zieht sich Diskriminierung durch Herkunft, Aussehen oder Namen praktisch durch alle Lebensbereiche - auch im Gesundheitswesen. Wir haben unsere Community gefragt, welche Erfahrungen sie dabei gemacht hat. Ein Überblick über die vielen Zuschriften - und die Datenlage.

Ich hab’ kroatischen Migrationshintergrund und mir wurde beim ersten Frauenarzt Besuch gesagt, “dass ich aber wenig Haare hab, ihr Slawen seid ja meist doch etwas behaarter.“

Im Gesundheitsbereich werden Menschen täglich aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihres Namens diskriminiert und angefeindet. Das Problem entsteht nicht erst im Gesundheitswesen. Es hat Struktur in unserer Gesellschaft – und es betrifft wohl alle Menschen, denen Vorurteile entgegengebracht werden.

Insbesondere Rassismus und Benachteiligung von Schwarzen, muslimischen und asiatisch gelesenen Personen im Gesund­heitssystem sind keine Seltenheit. Ein Bericht aus Deutschland aus 2023 legt den Verdacht nahe, dass es in Österreich ähnlich ist – auch wenn hiesige Zahlen rar sind. Beide Länder gehören schließlich zu jenen in der EU, wo die meisten Menschen Diskriminierungen wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Religion melden. 

Etwa ein Drittel der muslimischen Frauen und Männer erleben nach eigenen Angaben eine Benachteiligung im Ge­sundheitswesen. Schwarze Frauen berichten mit 38 Prozent noch häufiger von Diskriminierungserfah­rungen, bei Schwarzen Männern ist es etwa jeder Vierte. Mehr als jede dritte von Rassismus betroffene Person gibt an, dass ihre Beschwerden nicht ernst ge­nommen werden. Bei muslimischen Frauen sind es sogar fast 40 Prozent.

Ich war mit meiner einjährigen Tochter im Krankenhaus. Es musste wahnsinnig schnell gehen – Rettung, Notarzt. Mein Mann – ein Syrer – wollte später die Spezialmilch für das Baby und Kleidung für uns beim Portier abgeben. Dieser schickte ihn weg mit den Worten: “Jetzt nix Besuch!”. Mein Mann spricht Deutsch auf B2-Niveau. Auch das erneute Klingeln wurde ignoriert. Erst als die Krankenschwester unten anrief, nahm der Portier die Dinge entgegen.

Die Beratungsstelle Zara (Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit) unterstützt unter anderem Personen, die sich Rassismus im Krankenhaus ausgesetzt sehen. Patient:innen berichten, dass Ärzt:innen die Gesundheitsversorgung verweigern oder sie mit rassistischen Aussagen beleidigen. Wie häufig solche Fälle wirklich vorkommen, ist nicht klar: Viele Betroffene melden rassistische Diskriminierungen erst gar nicht. ZARA warnt vor einer hohen Dunkelziffer. Eine übergreifende Stelle für die koordinierte Dokumentation gibt es bislang nicht.

Diskriminierung hat ernsthafte Auswirkungen auf die Gesundheit der Patient:innen, da ihre Beschwerden und Krankheiten nicht ernst genommen oder ignoriert werden. Fehlende angemessene Behandlung kann zu weiteren Gesundheitsrisiken führen oder sogar tödlich sein. Auch Angststörungen oder depressive Symptome hängen laut Bericht mit Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen zusammen. Die Erlebnisse lösen häufig starke Stressreaktionen aus.

Meine Therapeutin verstand nicht, dass mein schlechtes Verhältnis zu meinem Körper vom rassistischen Mobbing in der Schule rührte: Sie versuchte mich zu beschwichtigen, sagte, dass sie „gern so braun wäre“ wie ich, dass ich doch „so tolle Locken“ hätte. Ich fühlte mich mit meinem Problem nie ernst genommen, weil sie das mit solchen Sprüchen verharmloste.

Rassismus in der Medizin beginnt bereits in der Lehre: Studium und Lehrbücher der Humanmedizin sind stark auf den weißen, cis-sexuellen, männlichen Körper abgestimmt. Diese Standards führen zu Problemen bei der Diagnose bestimmter Krankheitsbilder. So sehen beispielsweise bestimmte Hautkrankheiten und Symptome auf verschiedenen Hautfarben unterschiedlich aus.

Laut einer Studie der Universität Wien ist des Weiteren nur ein Drittel der Menschen mit Migrationsbiografie mit ihrer Gesundheit zufrieden. Bei Menschen ohne Migrationsgeschichte sind es zwei Drittel. Patient:innen mit Migrationshintergrund leiden überdurchschnittlich häufig an Kopf- und Magenschmerzen, Schlaflosigkeit und Einsamkeit und nehmen im Durchschnitt seltener Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch – vor allem Vorsorgeuntersuchungen.

Die Datenlage im deutschsprachigen Raum ist noch dünn, das meiste beruht auf Erfahrungsberichten. Studienergebnisse und die Ausmaße von Problemen aus den USA sind wegen kultureller und historischer Unterschiede vielleicht nicht direkt auf Europa zu übertragen. US-Forschung deutet aber jedenfalls auf weitere mögliche Probleme hin, die auch hier beachtet und erforscht werden sollten.

Eine US-Untersuchung aus 2016 zeigte etwa, dass ein Großteil der Ärzt:innen Schwarzen Patient:innen im Gegensatz zu Weißen deutlich weniger Schmerzmedikationen verschreiben. Sie unterschätzen den Schmerz bei Schwarzen Menschen eher und verschreiben ihnen seltener Schmerzmedikamente.

Eine weitere Studie aus den USA hat ergeben, dass bei derselben Grunderkrankung mit geringerer Wahrscheinlichkeit aufwendige Behandlungsmethoden zum Einsatz kommen als bei Patient:innen der Mehrheitsgesellschaft. Das hat große gesundheitliche Konsequenzen: BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) haben ein deutlich höheres Risiko für Herzerkrankungen, Krebs, Diabetes oder HIV-Infektionen. 

Durch rassistische Diskriminierung im Gesundheitsbereich sinkt wiederum das Vertrauen der Betroffenen auf eine angemessene Behandlung. Dann werden Leistungen oft nicht in Anspruch genommen, was folglich zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit der betroffenen Personen führt. Das verstärkt Ungleichheitsmechanismen noch weiter.

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung gibt es beim medizinischen Personal, speziell bei Ärzt:innen, unterdurchschnittlich wenige Menschen mit Migrationshintergrund oder BIPoC. 

Ich messe die Vitalwerte einer älteren Dame. Ein männlicher Besucher von ihr kommt und redet plötzlich in Baby-Sprache mit mir. Zuerst dachte ich, es liegt an seinen Deutschkenntnissen. Aber mit der Patientin spricht er fließend Hochdeutsch. Dann wendet er sich wieder an mich: „Du bringen uns Wasser mit Sprudel, blub blub.“

Eine vielfältigere Zusammensetzung könnte positive Rollenmodelle fördern und Rassismus in der Medizin entgegenwirken. Aber auch beim Personal gibt es Menschen, die von Rassismus betroffen sind.

Ich arbeite in einem Spital und höre regelmäßig Sätze wie:  “Ich möchte nicht, dass mein Kind von ihr angefasst oder behandelt wird.”,  “Können Sie überhaupt deutsch?” , “Fass mich nicht an, du Schwarze Ratte”, “Wusste nicht, dass N**** im Krankenhaus arbeiten dürfen.”

Solche Erfahrungen entstehen nicht nur im Umgang mit den Patient:innen – sondern eben auch unter den Kolleg:innen. Gesundheitspersonal sollte außerdem besser geschult und auf Stereotype und Rassismus aufmerksam gemacht werden. Interkulturelles Training und Weiterbildungen können helfen.

Wir hatten einen Arzt aus Syrien auf Station. Er sprach gebrochen Deutsch,  darunter hat die Arzt-Patient:innen-Kommunikation aber nicht gelitten. Nach einem Vorfall mit einem unverschämten Patienten, lies er seinen Frust im Pflegezimmer ab. Daraufhin haben Oberarzt und Krankenschwestern angefangen zu lästern. Das Argument: “Die Leute aus dem Mittleren Osten sind viel zu emotional.”

Da es nach wie vor nicht viele Studien und offizielle Zahlen zu Rassismus im Gesundheitswesen gibt, ist es noch wichtiger, diese Erfahrungen aufzuzeigen und genauer zu untersuchen. Es muss sichtbar gemacht werden, dass diese Erlebnisse keine Einzelschicksale sind, sondern aus einem strukturellen Problem entspringen. Wir bedanken uns deshalb umso mehr für die vielen Zuschriften aus unserer Community.

Rassismus muss als System erkannt werden, in das wir alle hineinsozialisiert werden. Die Regierung muss endlich angemessen handeln – und wir alle müssen uns gegen Rassismus stark machen. 

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