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Demokratie

Exklusive Staatsbürgerschaft: Wer in Österreich (nicht) wählen darf

Klaudia Wegschaider ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet am Institut für Staatswissenschaften der Universität Wien. Foto: Sophia Aigner
Demokratie lebt von Beteiligung, nicht von Ausschluss. Eigentlich. In Österreich dürfen Millionen von Menschen im Wahlalter politisch nicht mitbestimmen, weil ihnen der österreichische Pass fehlt. Obwohl sie in Österreich zuhause und oft sogar hier aufgewachsen sind. Politikwissenschaftlerin Klaudia Wegschaider untersucht, wie Wahlrecht reformiert werden kann. Mit uns spricht sie darüber, wie es um die Demokratie in Österreich steht.

MOMENT.at: Österreich hat eines der strengsten Staatsbürgerschaftsgesetze Europas. Aktuell sind 1,4 Millionen Menschen hierzulande von Wahlen ausgeschlossen. Wie würde das Land aussehen, wenn alle, die hier leben, wählen dürften?

Klaudia Wegschaider: Die aktuelle Forschung zeigt: Durch Staatsbürgerschaft wird Integration gefördert. Es gibt zahlreiche Ergebnisse, die belegen, dass sich ein lokales Wahlrecht positiv auf Integration auswirkt. Man kann das Wahlrecht und die Staatsbürgerschaft also als gemeinsames Instrument sehen, das die soziale und die politische Integration stärkt.

Eine Prognose, wie Österreich konkret aussehen könnte, kann ich nicht abgeben. Aber Forschungsergebnisse aus anderen Ländern geben Hinweise. In der Schweiz wurde beobachtet, dass dort, wo Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft auf lokaler Ebene mitreden können, Parteien eher Kandidat:innen mit Migrationshintergrund aufstellen. Und in Schweden – einem der Länder, in dem das Wahlrecht inklusiver ist als in Österreich – wurde festgestellt, dass dadurch Ausgaben im Bereich von Bildung, Familien und Sozialpolitik erhöht werden. 

MOMENT.at: Neben Bulgarien verweigert kaum ein EU-Land seinen Menschen so lange das Recht zu wählen. Wer darf in Österreich politisch mitbestimmen? 

Wegschaider: Das Wahlrecht haben grundsätzlich alle Staatsbürger:innen ab 16 Jahren. Bei den meisten Wahlen dürfen auch die wählen, die im Ausland leben und die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Das gilt für nationale Wahlen für das Parlament und den Bundespräsidenten, für EU-Parlamentswahlen, und manche Wahlen auf Landesebene.

Und dann gibt es 1,4 Millionen Menschen, die zwar in Österreich leben, aber die Staatsbürgerschaft (noch) nicht haben. 300.000 davon sind hier geboren und aufgewachsen. Die EU-Bürger:innen unter ihnen können auf lokaler Ebene mitwählen. Damit meine ich Gemeindewahlen beziehungsweise Bezirkswahlen. Bei EU-Parlamentswahlen können EU-Bürger:innen entweder in jenem EU-Land wählen, in dem sie leben, oder dem Land ihrer Staatsbürgerschaft. Drittstaatsangehörige sind bei allen genannten Wahlen ausgeschlossen.

MOMENT.at: Um Österreicher:in zu werden, muss man einige Voraussetzungen erfüllen. Neben der langen Aufenthaltsdauer im Land ist es vor allem eine Frage des Geldes. Ist Demokratie in Österreich eine Preisfrage?

Wegschaider: Beim Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft spielt das Einkommen tatsächlich eine Rolle. Ein Kriterium von vielen: Man muss einen sogenannten gesicherten Lebensunterhalt haben. Das bedeutet monatliche Einkünfte auf dem eigenen Konto über einen längeren Zeitraum. Dieser regelmäßige Betrag muss eine bestimmte Höhe haben —wie hoch genau, hängt davon ab, ob auch ein:e Partner:in oder Kinder da sind. Je mehr Personen, desto höher der notwendige Betrag.

Und das ist nicht nur eine theoretische Hürde. Daran scheitert es laut Erhebungen häufig, dass
die Staatsbürgerschaft nicht erteilt wird. Dazu kommt, dass das Verfahren selbst mit Kosten
verbunden ist. Einerseits fallen die auf Bundesebene an. Zusätzlich schlagen die Länder ihre
eigenen Gebühren obendrauf. Für eine Familie kann das schnell eine sehr teure Angelegenheit werden.

MOMENT.at: Überspitzt gesagt: Hast du Geld, kannst du am Ende politisch mitbestimmen. Ist das gerecht? 

Wegschaider: Im Wahlrecht direkt spielt das Einkommen an sich keine Rolle. Das ist gut und auch eine der historischen Errungenschaften in Österreich. Wahlberechtigte waren lange in Gruppen und Klassen eingeteilt. Im sogenannten Kurienwahlrecht waren Faktoren wie der Großgrundbesitz entscheidend dafür, ob man wählen darf oder nicht. Heutzutage ist es nicht mehr so. 

Aber ja, indirekt formt das Staatsbürgerschaftsrecht natürlich, wer an den Wahlen teilnehmen kann. Ob das gerecht ist? Ich würde sagen, dass das Wahlrecht zu einem gewissen Ausmaß immer das Selbstverständnis einer Demokratie und eines Landes widerspiegelt. 

MOMENT.at: In Österreich wird Staatsbürgerschaft nach Abstammungsland der Eltern verliehen und nicht nach Geburtsort. Ist man hier zur Welt gekommen, die Eltern aber nicht, muss man sich selbst um die österreichische Staatsbürgerschaft kümmern. Warum hält man daran so stark fest?

Wegschaider: Es gibt nur sehr wenige Länder auf der Welt, die ein reines Territorialprinzip haben. Das heißt, in denen allein die Geburt im Land ausreicht, um die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Ein Beispiel sind die USA. In Europa bieten einige Länder eine gute Kombination aus Voraussetzungen an, wie ich finde. Eltern müssen zum Beispiel nicht die Staatsbürgerschaft des Landes haben, aber wenn sie mehre Jahre dort gewohnt haben, dann haben ihre dort geborenen Kinder einen vereinfachten Zugang zur Staatsbürgerschaft. Erste Hürden werden dadurch schon mal abgebaut. 

MOMENT.at: In welchen Ländern ist das in Europa der Fall?

Wegschaider: In Belgien ist es zum Beispiel so. Haben die Eltern vor der Geburt des Kindes bereits zehn Jahre im Land gelebt, hat das Kind bis zum zwölften Geburtstag einen vereinfachten Zugang zur Staatsbürgerschaft. Deutschland hat sich für eine Kombination entschieden. Sofern ein Elternteil mehr als fünf Jahre regulär im Land lebt und das unbefristete Aufenthaltsrecht hat, kann das Kind bei der Geburt im Land die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Auch Doppelstaatsbürgerschaften werden möglich, die Wartezeiten gesenkt, und auch andere Hürden bei der Einbürgerung abgeschafft. 

MOMENT.at: Manchmal drückt Österreich bei der Einbürgerung aber ein Auge zu. Durch “wirtschaftliches Engagement und außerordentliche Leistungen” ist es möglich, sich die österreichische Staatsbürgerschaft quasi zu kaufen. Was heißt das genau?

Wegschaider: Ein reines Citizenship by Investment gibt es in Österreich nicht. Eigentlich. Wenn eine Person aber in einem relevanten Ausmaß ein großer wirtschaftlicher Faktor für das Land ist, zum Beispiel, wenn sie viele Arbeitsplätze schafft, wird es ihr leichter fallen, in Österreich eingebürgert zu werden. Sprich: Personen mit einer gewissen Finanzkraft können dieses Kriterium leichter erfüllen. 

Solche Verfahren wurden sehr lange undurchsichtig gehandhabt. Seit einigen Jahren scheint das transparenter zu werden. Mittlerweile weiß man, welche Personen das sind. Aber es ist tatsächlich ein sehr kleiner Teil von Menschen, auf die das zutrifft. An sich verschwindend gering.

MOMENT.at: Wie könnte das Wahlrecht geändert werden, damit es inklusiver wird? 

Wegschaider: Was man wissenschaftlich als fair und gerecht sieht, hängt von der Definition ab, die man da verwenden möchte. Innerhalb der Europäischen Union besteht das Wahlrecht auf lokaler Ebene und für die Wahlen des Europäischen Parlaments. Ersteres heißt EU-Bürger:innen können in anderen EU Ländern auf lokaler Ebene, also bei Bürgermeister:innen mitbestimmen. Als das eingeführt wurde, haben manche Länder die Entscheidung getroffen: Wir wollen das inklusiver definieren und weiteten das lokale Recht auch auf Drittstaatsangehörige aus. 

In Österreich wurde so eine Reform auch mal überlegt. Wien hat vor ungefähr 20 Jahren versucht, das einzuführen. Vor dem Verfassungsgerichtshof ist es dann aber gescheitert. 

MOMENT.at: Hat die aktuelle Regierung ein Interesse daran, dass das Wahlrecht im Land eben nicht inklusiver wird?

Wegschaider: Wissenschaftlich kann ich nichts Konkretes über die einzelnen Politiker:innen sagen. Aber ja, natürlich gibt es Parteien, die diese Reform eher kritisch sehen. Parteien, die glauben sie würden an der Urne profitieren, sind eher dafür – und umgekehrt. Und es geht es auch darum, welche ideologischen Signale an die bestehenden Wähler:innen gesendet werden. Da sind Parteien vorsichtig.

MOMENT.at: Schafft die Staatsbürgerschaft überhaupt eine Art Zugehörigkeitsgefühl beziehungsweise ist sie Voraussetzung für eine „gute Integration“?

Wegschaider: Da gibt es zwei Sichtweisen, vor allem in der Politik. Zum einen ist Staatsbürgerschaft etwas, das man durch eine Art der Integrationsleistung erst erwerben muss. Die andere Sichtweise ist, dass die Staatsbürgerschaft eben eine Hilfe bei der Integration selbst ist. 

Rein aus der Forschung würde ich letzteres unterschreiben. Bei Schweizer Studien ist herausgekommen, dass die soziale und politische Integration jener Menschen profitiert hat, die die Staatsbürgerschaft erhalten haben. Da geht es unter anderem darum, ob Menschen aktiv am Vereinsleben teilhaben sowie um politisches Wissen über das Land, in dem sie leben. Besonders stark war der Effekt, wenn ein sehr früher Zugang zur Staatsbürgerschaft möglich war. Deshalb sollte man sich schon überlegen, ob man das nicht auch für Österreich will.  

Foto: Sophia Aigner

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