Gasbohrung bei Naturschutzgebiet in Molln: Österreich ist stolz auf seine Natur, im Zweifel wird sie für Geld vernichtet
Ein hüfthoher Holzpfahl – ein klassischer “Stüpfi”, wie man in Oberösterreich sagt – steht einsam in die Wiese eingeschlagen da. Nicht ganz 20 Minuten fährt man von der oberösterreichischen Gemeinde Molln aus mit dem Auto, bis man bei ihm ankommt. Eine kleine Asphaltstraße windet sich neben einem Bach, der Krummen Steyrling, entlang, bis man auf eine Schotterpiste abbiegt. Links davon ist das Naturschutzgebiet “Jaidhaus”, rechts davon sind Wiesen. Die Grenze zum Nationalpark Kalkalpen ist knapp 2 km entfernt.
Fuchs und Henne sagen sich hier nicht gute Nacht, denn für Hennen bräuchte es Menschen – und die trifft man hier nur selten an. Dafür findet man viele andere Tierarten, die teils streng geschützt sind.
Es ist einer dieser Orte, auf die man in Österreich stolz verweist, wenn die Idylle und Naturverbundenheit unserer Landschaft gefeiert wird. Nur ein kleiner See fehlt noch, um ihn bei einer Ausgabe der ORF-Show “9 Plätze, 9 Schätze” einzureichen.
Mit der Idylle wird es bald vorbei sein. Denn der “Stüpfi” zeigt den Platz an, an dem bald eine Bohranlage der Firma ADX Energy – genauer gesagt ihrer österreichischen Tochter ADX VIE – stehen soll. Von der Wiese wird dann nicht mehr viel hier sein. 5.134 m² davon sollen geschottert werden, insgesamt sind 7.183 m² betroffen. Zufahrt, Einschnitt und Bohrkeller brauchen ihren Platz. Generatoren werden brummen, eine Flamme brennen. 24 Stunden, sieben Tage die Woche – zumindest über ein paar Monate. Dann wird es möglicherweise noch viel schlimmer.
Es geht um Gas und um Geld. Und um die Frage, was wir bereit sind, dafür zu opfern.
Gasbohrung in Molln: Natur oder Wirtschaft?
Im naturschutzrechtlichen Verfahren wurde jetzt entschieden, dass die wirtschaftlichen Interessen die “naturschutzfachlichen Bedenken” übersteigen. Zuständig dafür war die Naturschutzbehörde. Manfred Haimbuchner (FPÖ), Naturschutz-Referent und Landeshauptmann-Stellvertreter in der Schwarz-Blauen Koalition, hatte sich bereits zuvor für das Projekt ausgesprochen.
Von den “naturschutzfachlichen Bedenken” gab und gibt es einige – das besagt ein Gutachten des Amtssachverständigen für Natur- und Landschaftsschutz (liegt der Redaktion vor). Es diente der Behörde als eine Grundlage.
Dabei ist das Gutachten nicht unbedingt positiv ausgefallen. Es bestätigt, dass die Probebohrung dem öffentlichen Interesse am Natur- und Landschaftsschutz zuwiderläuft – und zwar auf mehreren Ebenen. Es sei “jedenfalls von einer Schädigung der Lebensgemeinschaften von Pflanzen-, Pilz- und Tierarten zu sprechen.” Der Erholungswert der Gegend würde eine “wesentliche Beeinträchtigung” erfahren. Das Projekt würde auch zu einer Störung des Landschaftsbildes führen, “welche dem öffentlichen Interesse am Natur- und Landschaftsschutz widerspricht und das beantragte Projekt somit aus fachlicher Sicht negativ zu beurteilen ist.”
Naturschützer schlagen Alarm
Der Umweltdachverband, Greenpeace, WWF, Naturschutzbund und andere Organisationen sind schockiert von der Entscheidung und wollen Schritte dagegen prüfen. Das Problem: Beschwerden gegen die Entscheidung haben keine aufschiebende Wirkung. Sie werden also nichts daran ändern, dass die Probebohrung durchgeführt wird. Außer die Politik schreitet ein. Die Vorbereitungen seien bereits im Gange, noch diesen Winter soll gebohrt werden, informiert ADX.
Besonders enttäuscht ist die Bürgerinitiative “Pro Natur Steyrtal”. Sie gründete sich, kurz nachdem die Pläne von ADX bekannt wurden. Ökologe Christian Hatzenbichler kümmert sich als Naturraummanager um das Naturschutzgebiet Jaidhaus und ist Sprecher von “Pro Natur Steyrtal”. Er setzt sich mit anderen Bürger:innen seit Bekanntwerden des Projekts dagegen ein. Fragen muss man ihm kaum stellen. Er erzählt nicht zum ersten Mal, was er von dem Projekt hält: “Das Gebiet ist einzigartig und einer der letzten ökologisch intakten Lebensräume bei uns. Es ist zum Beispiel ein idealer Lebensraum für Insekten, teilweise auch seltene. Ständig wird vor Insektensterben gewarnt, und dann will man so ein Projekt durchsetzen?”
Gasbohrung in Molln: Projekt neben Naturschutzgebiet
Der Ort der Probebohrung ist besonders umstritten. Das sensible Ökosystem rund um das Naturschutzgebiet würde dadurch enorm beeinträchtigt, so der Vorwurf der Bürgerinitiative “Pro Natur Steyrtal”.
Dabei hätte es durchaus Alternativen zum Standort gegeben. Die kamen für ADX allerdings nicht infrage. Den Ort zu ändern, wäre mit zusätzlichen Kosten verbunden. Denn bereits im Dezember 2022 hat das Unternehmen mit den Österreichischen Bundesforsten einen Abbauvertrag für das Grundstück geschlossen. Noch bevor die Öffentlichkeit von dem Vorhaben erfuhr.
Gasbohrung in Molln: Projekt neben Naturschutzgebiet
Der Ort der Probebohrung ist besonders umstritten. Das sensible Ökosystem rund um das Naturschutzgebiet würde dadurch enorm beeinträchtigt, so der Vorwurf der Bürgerinitiative “Pro Natur Steyrtal”.
Dabei hätte es durchaus Alternativen zum Standort gegeben. Die kamen für ADX allerdings nicht infrage. Den Ort zu ändern, wäre mit zusätzlichen Kosten verbunden. Denn bereits im Dezember 2022 hat das Unternehmen mit den Österreichischen Bundesforsten einen Abbauvertrag für das Grundstück geschlossen. Noch bevor die Öffentlichkeit von dem Vorhaben erfuhr.
Hatzenbichler kritisiert, dass man zumindest nicht wertvollste Naturräume opfern solle. Schon gar nicht angesichts der Klima- und der Biodiversitätskrise. Seine Wut darüber, dass der Bohrplatz in 20 Meter Entfernung zum Naturschutzgebiet gebaut werden soll, ist greifbar. Zumal die von der ADX kommunizierten Zahlen von Expert:innen kritisiert werden.
Gasbohrung in Molln ein Luftschloss?
Ein kurzer Rückblick: Anfang des Jahres wurde bekannt, dass das Unternehmen ADX Energy einen großen Gasvorrat in der Region der oberösterreichischen Kalkalpen vermutet. Wirklich neu ist diese Information nicht: Bereits 1987 hat die OMV in der Region nach Erdöl und Erdgas gesucht. Ein Gasvorrat wurde vermutet, aber als unwirtschaftlich abgetan.
Laut ADX würden neue geologische Methoden darauf hinweisen, dass durchaus große Mengen Gas unter der Erde schlummerten. So viel, dass es den österreichischen Gasbedarf drei Jahre lang decken könne. Mit Probebohrungen will man das nun überprüfen.
Dass das Gasvorkommen tatsächlich so groß sei, habe sich bereits als Luftschloss herausgestellt, kritisiert “Pro Natur Steyrtal”. Die Wahrscheinlichkeit, dass man tatsächlich auf eine so große Menge stoßen könnte, wurde viel zu hoch angesetzt. Geologen sprechen von einer Wahrscheinlichkeit von 0 bis 20 Prozent. Auch die Qualität des Gases und ob es überhaupt genutzt werden kann, ist unklar. Garantie, dass das Gas auch in Österreich bleibt und nicht exportiert wird, gibt es keine. ADX kann nicht dazu gezwungen werden, das Gas in Österreich zu verkaufen.
Die Pläne und Kommunikation von ADX werfen viele Fragen auf: Wie lange könnten die Probebohrungen insgesamt dauern? Und was folgt, wenn man bei der Bohrung tatsächlich ein massives Gasvorkommen bestätigt? Es würden wohl viele weitere Bohrstellen folgen. ADX geht von bis zu zehn aus, Gegner:innen von bis zu 25. Wo sollen diese gebaut werden? ADX müsste auf jeden Fall Infrastruktur dafür schaffen, sprich: Pipelines müssten verlegt, neue Bohrstellen erst genehmigt und dann auch gebaut werden. Wann würden Förderungen überhaupt beginnen können? Je später, desto eher würde das Projekt mit dem Ziel des Ausstiegs aus Gas aneinanderkrachen.
Tatsächlich kann laut ADX “frühestens” in drei Jahren mit dem Fördern begonnen werden. Für das Klima- und Energieministerium könnte das noch rechtzeitig sein.“Felder, die erst nach 2030 erstmals Gas liefern, sind mit Blick auf die Klimakrise selbstverständlich nicht vernünftig”, heißt es von dort. Für andere könnte es schon zu spät sein. Der europäische Thinktank E3G hat sich 2022 angesehen, ob die EU auf dem richtigen Pfad ist, ihren Gasverbrauch wie geplant zu senken. Ergebnis: die nächsten zwei bis vier Jahre sind entscheidend. Eines davon ist heute bereits vergangen.
Brauchen wir das Gas aus Molln?
Es stellen sich grundsätzliche Fragen: Benötigen wir solche Projekte, um unseren Gasverbrauch abzusichern? Schließlich wollen wir doch von Gaslieferungen autokratischer Staaten loskommen. Oder zementieren wir uns mit neuen Förderungen nur weiter in unseren Verbrauch von fossilen Brennstoffen ein – von dem wir dringend loskommen müssen, wenn wir die Erderhitzung auf ein erträgliches Ausmaß eindämmen wollen?
Einerseits ist wichtig, dass der Gasverbrauch in Europa seit 2022 stark gesunken ist. Dieser Abwärtstrend soll weitergehen. Denn Pläne und Gesetze der EU sehen vor, dass wir bis 2030 30 bis 52 Prozent weniger Gas verbrauchen. Und zwar aus gutem Grund.
Wollen wir die Klimakrise eindämmen, müssen wir aufhören, CO2 zu verursachen. Laut Berechnungen bleiben uns mit unserem aktuellen CO2-Ausstoß nicht einmal mehr drei Jahre, ehe das 1,5-Grad-Ziel unerreichbar wird. Nahezu alle Staaten – auch Österreich – haben sich dazu verpflichtet, alles zu versuchen, um dieses Ziel einzuhalten. In drei Jahren, wenn in Molln dann frühestens Gas gefördert werden kann, ist es also zu spät.
Aktuell sind die Gasspeicher gut gefüllt – sowohl in Europa als auch in Österreich. Weitere Gas-Importprojekte sind bereits geplant und werden gebaut. Obwohl die bereits vorhandenen Kapazitäten gar nicht ausgeschöpft sind.
Außerdem importieren nur mehr wenige EU-Staaten Gas aus Russland. Österreich ist einer davon. Auf Anfrage erklärt das Klima- und Energieministerium, dass auch diese Abhängigkeit ein Grund dafür ist, warum man die Suche nach Erdgas unterstützt: “Gasproduktion, die uns in den nächsten Jahren hilft, russisches Erdgas zu ersetzen, soll ordentlich untersucht werden.”
Nur: Abhängig von russischem Gas sind wir nicht, weil wir es so dringend brauchen. Sondern wegen Verträgen zwischen der OMV und der russischen Gazprom. Das erklärte E-Control-Chef Wolfgang Urbantschitsch gegenüber Medien Anfang November. Dieser Vertrag wurde 2018 im Beisein von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Russlands Präsidenten Wladimir Putin bis 2040 verlängert. Bis dahin will Österreich aber endlich klimaneutral sein.
Österreich bezieht bereits Gas aus Norwegen. Ein kompletter Umstieg sei wegen einer Klausel im Gazprom-Vertrag aber nicht möglich. “Offensichtlich liefert der Vertragspartner und solange sie liefern und der Vertrag aufrecht ist, muss die OMV wahrscheinlich auch diesen Vertrag erfüllen”, sagt Urbantschitsch.
Gasbohrung: (Noch) Keine Polarisierung in Molln
So zerstritten man mit dem Unternehmen ADX ist, eines will Hatzenbichler aber klarstellen: Dass die Stimmung im Ort aufgeheizt ist, sei von Medien herbeigeschrieben. Dass sich zwei große Lager gegenüberstehen, stimme nicht. Vor allem deswegen nicht, weil das Thema die Menschen im Ort nicht sonderlich beschäftige.
Das bestätigt nicht nur er. Auch unsere anderen Gesprächspartner betonen das – obwohl gerade sie stellvertretend für die Polarisierung stehen könnten. Der eine, Martin Schober, ist Gemeindevorstand. Der andere, Andreas Rußmann, Bürgermeister. Beide gehören der SPÖ an. Beide stehen dem Projekt sehr unterschiedlich gegenüber.
Martin Schober ist Teil von „ProGasMolln“. Eine „lose Gruppierung“, die sich für das Projekt ausspricht. Sie sieht vor allem finanzielle Vorteile. Örtliche Unternehmen bekämen dadurch Aufträge, die Gemeinde käme dank ADX an mehr Geld. Der Ort der Probebohrung ist für ihn nicht optimal: „Vielleicht nicht für die Natur. Aber er hat sich als beste geeignete Fläche herausgestellt.“ Nicht direkt im Naturschutzgebiet oder Nationalpark, dafür weit weg von der Bevölkerung.
Wer nichts mitkriegt, regt sich auch nicht auf
Vielleicht ist das der Grund, dass es die Bevölkerung so wenig beschäftigt. Wenn das Projekt fortschreite, könnte sich das ändern, dann sei es aber zu spät. Das sagt Bürgermeister Rußmann. Er spricht von einer „Salamitaktik“ bei ADX. Man habe immer nur alles zufällig und stückerlweise über Medien erfahren.
Rußmann weiß, dass die bis zu 100.000 Euro im Jahr reizvoll sind, die die Gemeinde von dem Projekt haben könnte. Glücklich ist er damit trotzdem nicht. “So Zahlungen haben aber gerade im Hinblick auf die überall stattfindenden Naturkatastrophen schon einen bitteren Beigeschmack. Irgendwer hat einmal Blutgeld dazu gesagt.”
Rußmann wäre es lieber, würden die Bohrungen nicht so abgelegen stattfinden. „Wenn wir hier schon Gas erschließen für die Menschen, dann können sie auch was davon spüren.“ Vielleicht würde den Menschen dann bewusster, was hier passiert.
Wiese ohne Zukunft
Fehlendes Bewusstsein, das beklagt auch Christian Hatzenbichler. “Die Menschen sind nicht sensibilisiert. Sie sehen eine grüne Wiese und glauben, dass es eine Wiese wie jede andere ist.” Für Menschen wie ihn, die sich täglich mit der Einzigartigkeit dieses Ökosystems und dessen Schutz beschäftigen, kann es kaum Absurderes als die Pläne von ADX geben.
Von der Politik ist er enttäuscht. Reaktionen habe es bisher kaum welche gegeben, obwohl die Probebohrungen großes Thema waren. Bei unserem Gespräch vor der Entscheidung der Naturschutzbehörde des Landes Oberösterreich war sich Hatzenbichler eigentlich noch ziemlich sicher, dass es keine Erlaubnis für eine Bohrung geben würde. Hier in Jaidhaus, wo in der Zwischenzeit ein Bauer aus der Gegend mit dem Traktor die Wiese um den Holzpfahl mähte.
Das wird er sich im Frühjahr sparen können.