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Arbeitswelt
Ungleichheit

Gemeinnützige Arbeit für Asylwerber:innen: „Es scheitert an strukturellen Gründen“

Gemeinnützige Arbeit für Asylwerber:innen: „Es scheitert an strukturellen Gründen“
Foto: Pascal Kuffer, Pexels
Warum arbeiten so wenige Asylwerber:innen? Hat es Sinn, sie zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten, wie es das Burgenland ab Juli tun will? Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger im Interview.

Die SPÖ-geführte Landesregierung im Burgenland will Asylwerber:innen ab 1. Juli zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten. Wer zweimal eine solche Tätigkeit verweigert, soll die Grundversorgung verlieren. Ob das sinnvoll ist und warum überhaupt so wenige Asylwerber:innen erwerbstätig sind, erklärt die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien.

MOMENT.AT: Frau Kohlenberger, wie groß ist denn der Anteil der Asylwerber:innen in Österreich, die arbeiten, und wie viele weigern sich?

Judith Kohlenberger: Wir haben dazu keine Zahlen, weil das AMS, von dem solche Daten sonst kommen, für Asylwerber:innen nicht zuständig ist. Es dürfte tatsächlich ein geringer Anteil sein. Aber die Arbeitsaufnahme von Asylwerbenden scheitert weniger an fehlendem Willen als an strukturellen Gründen und den hohen Hürden.

MOMENT.AT: Was sind das für Hürden?

Kohlenberger: Bis vor ein paar Jahren durften Asylwerber:innen in Österreich gar nicht arbeiten. Seit der Verfassungsgerichtshof diesen sogenannten Bartenstein-Erlass 2021 aufgehoben hat, dürfen sie zwar an sich eine reguläre Arbeit aufnehmen. Dazu muss aber das Unternehmen das sogenannte Ersatzkräfteverfahren durchlaufen: es muss zweifelsfrei festgestellt werden, dass diese Stelle nicht mit einer einheimischen Arbeitskraft oder eine regulär hier aufhältige Person aus einem Drittstaat besetzt werden kann. ­Das ist eine riesige bürokratische Hürde, sehr aufwändig und dauert. Viele Unternehmen wollen sich das nicht antun. Dazu kommt, dass die meisten Asylwerbenden erst seit kurzem im Land sind und keinen Zugang zu Deutschkursen oder anderen Integrationsangeboten haben. Diesen Zugang will die neue Bundesregierung für Asylwerber:innen mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit nun schaffen, aber bisher gab es ihn nicht.

MOMENT.AT: Was halten Sie von der Idee des Burgenlands, Asylwerber:innen zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten?

Kohlenberger: Eine solche Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit gibt es ja eigentlich schon auf Bundesebene. Sie scheitert vor allem daran, dass nicht genügend Angebot da ist: Es gibt viel Interesse von Asylwerber:innen an gemeinnützigen Tätigkeiten, aber nicht genügend solche Stellen. Viele Organisationen oder Gemeinden, die so etwas anbieten könnten, sagen, dass sie keine Tätigkeiten haben, die man mit ganz geringen Deutschkenntnissen durchführen kann. Oder dass der Mehraufwand, um die Leute anzulernen und einzuschulen, zu groß ist.

MOMENT.AT: Die burgenländische Landesrätin Daniela Winkler (SPÖ) hat am Mittwoch als einen der positiven Effekte der neuen Regelung genannt, dass die Asylwerber:innen Land und Gemeinden „bei alltäglichen Aufgaben entlasten“ werden. So wie Sie es beschreiben, wäre eher das Gegenteil der Fall.

Kohlenberger: Eine einzelne Gemeinde hat oft nur zwei, drei Mitarbeitende, und dann sollen die noch Flüchtlinge anstellen, die noch nicht lange da sind, die noch nicht gut Deutsch können, nicht mit dem System vertraut sind, die vielleicht traumatisiert sind. Das bedeutet gerade am Anfang oft eher Mehraufwand. Dazu kommt: Im Burgenland sollen die Asylwerber:innen zum Beispiel für die Gemeinden Schnee räumen oder den Rasen mähen. Aber das machen in den allermeisten Gemeinden regulär bezahlte Gemeindebedienstete. Wenn das jetzt Asylwerber:innen für einen Stundenlohn von 1,60 Euro machen sollen, gehen regulär bezahlte Jobs verloren, man betreibt Lohndumping durch die Hintertüre und schafft eine Verteilungs- und Neiddebatte im Sinne von: „Die Flüchtlinge nehmen uns die Arbeit weg.“

MOMENT.AT: Ist also die Idee, dass Asylwerber:innen gemeinnützige Arbeit machen sollen, von vornherein unsinnig?

Kohlenberger: Die Möglichkeit zu gemeinnütziger Tätigkeit ist prinzipiell sinnvoll. Viele Asylwerbende wollen ja eh irgendetwas tun in der Zeit des Asylverfahrens. Und durch gemeinnützige Arbeit findet mehr Austausch mit der Bevölkerung statt. Ein Problem habe ich mit den geplanten Sanktionen. In der Grundversorgung bekommen die Leute ohnehin schon sehr wenig Geld. Wenn das noch gekürzt oder Dinge wie Verpflegung und medizinische Versorgung gestrichen werden sollen, erzeugt man Armut und kommt stark an die Grenze dessen, was rechtlich möglich ist. Man müsste also eher die potenziellen Anbieter solcher Stellen unterstützen.

MOMENT.AT: Sie haben vorhin schon erwähnt, dass Asylwerbende bis vor ein paar Jahren gar nicht arbeiten durften.

Kohlenberger: Die Doktrin war, die Menschen während des Asylverfahrens möglichst fernzuhalten von der Aufnahmegesellschaft. Wenn Einzelne, die in letzter Instanz einen negativen Asylbescheid bekommen und abgeschoben werden sollen, nämlich schon gut integriert sind, gibt es gegen ihre Abschiebung oft Widerstand aus der Bevölkerung. Solche Härtefälle wollte man verhindern. Jetzt sagt man: die Asylwerber:innen sollen was tun. Auch das ist ein legitimes Anliegen, aber man muss solche Ideen zu Ende denken.

MOMENT.AT: Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?

Kohlenberger: In manchen europäischen Ländern, beispielsweise in Deutschland, gibt es für solche Fälle mittlerweile die Möglichkeit eines Spurwechsels vom Asylsystem in einen regulären Aufenthaltstitel. Eine solche Möglichkeit wäre auch für Österreich hilfreich.

MOMENT.AT: Was wäre aus Ihrer Sicht generell eine sinnvolle Regelung, um mehr Asylwerber:innen in Arbeit zu bringen?

Kohlenberger: Derzeit haben wir so wenige Menschen in der Grundversorgung, wie seit zehn Jahren nicht. Das wäre ein guter Zeitpunkt, um das Ersatzkräfteverfahren entweder ganz abzuschaffen oder zumindest einfacher zu gestalten. Und es braucht mehr Unterstützung für Betriebe, vor allem für Klein- und Mittelbetriebe, die Flüchtlinge anstellen wollen. Natürlich ist die erste Zeit im neuen Job bei Menschen mit Fluchthintergrund oft aufwändiger. Gerade bei der ersten geflüchteten Person im Betrieb ist die Hemmschwelle oft hoch. Wenn man diesen Prozess einmal durchlaufen hat, tut man sich bei der zweiten, dritten Person leichter.

 

Zur Person

Judith Kohlenberger ist Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin am Institut für Sozialpolitik der WU Wien, wo sie zu Fluchtmigration, Integration und Zugehörigkeit forscht und lehrt.

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